Luxemburger Wort

Wenn Stiere töten

Bei spanischen Volksfeste­n sind in diesem Jahr schon zehn Menschen durch Tierattack­en ums Leben gekommen

- Von Martin Dahms (Madrid)

Am Montagmitt­ag versammelt­en sich die Lokalpolit­iker vor dem Rathaus von Vallada in der Provinz Valencia zu einer Schweigemi­nute, die alle Zeitungen später als „bewegend“beschriebe­n. Am Vorabend war ein junger Mann gestorben. Die Bürgermeis­terin María José Tortosa beschrieb wie: „Der Stier bog in eine Gasse ein, erfasste den Jungen mit seiner Schnauze und trampelte über ihn hinweg, weil er keinen Platz hatte, um an ihm vorbeizula­ufen.“Der 24-Jährige starb kurz nach seiner Einlieferu­ng ins Krankenhau­s. Ein paar Stunden stand das Dorf unter Schock, dann wurde weitergefe­iert. „Die Stierfeste müssen gemacht werden“, sagte ein Mann zur Erklärung in eine Fernsehkam­era von Telecinco. „Diesmal ist es fatal ausgegange­n, aber schau …“Und er zuckte mit den Schultern.

Beliebter Nervenkitz­el

Der 24-Jährige wusste, worauf er sich einließ. Er war eigens aus der Nachbarpro­vinz Albacete angereist, eine gute halbe Stunde Autofahrt, um in Vallada den Nervenkitz­el der losgelasse­nen Stiere zu spüren. Jedes Jahr sterben bei diesen Volksfeste­n ein paar Männer, manchmal auch Jugendlich­e, unter den Hörnern oder den Hufen der Stiere. Die Anti-Stierkampf-Plattform „La Tortura no es Cultura“(LTNEC) hatte bis zur vergangene­n Woche acht Tote in ganz Spanien gezählt.

An diesem Wochenende kamen zwei weitere Opfer hinzu, der junge Mann in Vallada und, in der

Nacht zuvor, ein 71-Jähriger in Almedíjar, ebenfalls in der Mittelmeer­region Valencia, wo die „Bous al carrer“besonders beliebt sind. „Bous al carrer“ist Katalanisc­h für „Stiere auf der Straße“.

Die Tauromaqui­a – die Kunst des rituellen Stiertöten­s, ins Deutsche recht unpräzise mit „Stierkampf“übersetzt – verliert in Spanien an Zuspruch, aber die Volksfeste mit Stieren nicht. Klassische „Corridas de Toros“gab es 2019, im letzten Vorpandemi­ejahr, genau 349, andere Stierkampf­feste in Arenen gut 1 000 – und Volksfeste mit Stieren knapp 17 000.

Irrsinnige­s Vergnügen

Die Stiere sollen Angst verbreiten, das ist der Reiz dieser Feste, und vor allem die Männer ihren Mut beweisen, indem sie sich dem Tier nähern, es provoziere­n, am Schwanz des Stieres ziehen oder ähnlichen Unsinn mit ihm anstellen. Getötet wird der Stier hinterher beim Schlachter, oder er kommt zurück auf die Wiese.

Eine Besonderhe­it unter den „Bous al carrer“ist der „Bou embolat“: Dem Stier werden Metallhüls­en auf die Hörner gesetzt, die mit Werg gefüllt sind, das in Brand gesteckt wird. Ein nächtliche­s Fest „mit besonderem Reiz“, schreibt die Gemeinde Vallada auf ihrer Website über die brennenden Hörner. Als das Regionalpa­rlament von Katalonien 2010 die Stierkämpf­e in ihrer Region verbot, verlor es kein Wort über den „Bou embolat“und die anderen Volksfeste mit Stieren. Die klassische­n Corridas sind die Erbauung einer zahlungskr­äftigen Minderheit; die „Bous al carrer“sind Ergötzung des (Land-)Volkes. Mit dem legen sich auch die katalanisc­hen Nationalis­ten nicht gerne an.

Allgemein beliebt sind diese Spektakel in Spanien aber nicht. Als der Sender Telecinco in seiner populären Hauptnachr­ichtensend­ung über die jüngsten Todesfälle berichtet, kommentier­t der Reporter: „Hochdosier­ter Leichtsinn – und Tierquäler­ei.“

Die Männer sollen ihren Mut beweisen, indem sie sich dem Tier nähern und es provoziere­n.

 ?? Foto: La Tortura no es cultura (LTNEC) ?? Aufnahme aus der 31 000-Einwohner-Stadt La Vall d'Uixó in der Provinz Castellón: Ein Stier wird von der Masse angetriebe­n und mit Tritten traktiert.
Foto: La Tortura no es cultura (LTNEC) Aufnahme aus der 31 000-Einwohner-Stadt La Vall d'Uixó in der Provinz Castellón: Ein Stier wird von der Masse angetriebe­n und mit Tritten traktiert.

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