Stille Widerständler
Haben Sie auch einen „Quiet Quitter“in Ihrer Abteilung? Womöglich würden Sie es gar nicht mitbekommen. Der Begriff macht seit einigen Wochen in Medienberichten und Onlineforen die Runde. Ausgelöst hat die Debatte ein Video im sozialen Netzwerk TikTok. Darin erzählt eine Männerstimme im ruhigen Ton: „Ich habe jüngst den Begriff
‚Quiet Quitting‘ gelernt. Man kündigt seinen Job nicht direkt, aber man gibt die Idee auf, mehr zu tun als nötig.
Man erfüllt immer noch seine Pflichten, aber man verabschiedet sich von der 'Kultur der Hektik' und der Idee, dass sich im Leben alles um die Arbeit drehen sollte.“
Der Clip, der inzwischen mehr als 3,5 Millionen Mal aufgerufen wurde, traf offenbar einen Nerv. Die Meinungen, wie das Phänomen zu bewerten sei, gehen dabei weit auseinander: Die einen unterstellen den „leisen Aufhörern“einen Mangel an Engagement oder schlicht Faulheit. Wer nur noch Dienst nach Vorschrift verrichtet, gilt schnell als Drückeberger. Man kann den Trend aber auch als berechtigtes Aufbegehren bewerten: Viele Arbeitnehmer, insbesondere junge Menschen der sogenannten Generation Z, haben keine Lust mehr auf die täglichen Runden im beruflichen Hamsterrad. Sie wollen flexible Arbeitszeiten, ein erfülltes Freizeitleben und stellen in Bezug auf ihren Job immer häufiger die Sinnfrage. Bei Vorgesetzten und Personalern lösen diese Mitarbeiter mit ihrem forschen Auftreten mitunter Entsetzen aus.
Neu ist, dass Arbeitskräfte ihre innerliche Abkehr von ihrem Job so selbstbewusst und ungeniert in aller Öffentlichkeit verbreiten. Das kommt nicht von ungefähr: Der weltweite Arbeitsmarkt ist nämlich gerade dabei, sich in einen Arbeitnehmermarkt zu verwandeln. Mehrere Jahrzehnte lang saßen Arbeitgeber am längeren Hebel und konnten ihre Vorstellungen gegenüber dem Personal meistens durchsetzen. Durch die Pensionswelle der Babyboomer, die rückläufige Arbeitslosigkeit und den Fachkräftemangel rücken Beschäftigte nun aber in eine stärkere Position. Die Corona-Pandemie, während der das Homeoffice und flexible Arbeitsmodelle massiv an Bedeutung gewonnen haben, hat die Tendenz noch verstärkt. Hinzugesellt sich ein weiterer Trend: Um die Work-LifeBalance ist es im Großherzogtum und vielen anderen Ländern schlecht bestellt. Seit 2014 geht die Zufriedenheit mit der Arbeitsqualität laut Studien der Arbeitnehmerkammer hierzulande sukzessive zurück. Viele Beschäftigte geben an, mehr zu leisten als im Arbeitsvertrag vereinbart. Auf Dauer werden sich das manche nicht mehr gefallen lassen, trotz Mehrarbeit mit Peanuts abgespeist zu werden. Sie deswegen Drückeberger zu verunglimpfen, wäre ungerecht.
In den Chefetagen sollten jetzt die Alarmglocken läuten: Laut einer PwC-Studie vom vergangenen Juli überlegt jeder vierte luxemburgische Arbeitnehmer, innerhalb von zwölf Monaten den Arbeitgeber zu wechseln. Alternativen bieten sich den Wechselwilligen zuhauf: Die Zahl der offenen Stellen erreichte diesen Sommer eine Rekordhöhe. Was also tun? Die Unternehmenskultur muss sich in vielen Branchen ändern, der Belegschaft aktiv zuhören wird wichtiger denn je. Es ist noch nicht zu spät, auf die stillen Widerständler zuzugehen.
Ein neuer Trend greift um sich: Was steckt hinter dem „Quiet Quitting“?
Kontakt: joerg.tschuertz@wort.lu