Luxemburger Wort

Stille Widerständ­ler

- Von Jörg Tschürtz

Haben Sie auch einen „Quiet Quitter“in Ihrer Abteilung? Womöglich würden Sie es gar nicht mitbekomme­n. Der Begriff macht seit einigen Wochen in Medienberi­chten und Onlinefore­n die Runde. Ausgelöst hat die Debatte ein Video im sozialen Netzwerk TikTok. Darin erzählt eine Männerstim­me im ruhigen Ton: „Ich habe jüngst den Begriff

‚Quiet Quitting‘ gelernt. Man kündigt seinen Job nicht direkt, aber man gibt die Idee auf, mehr zu tun als nötig.

Man erfüllt immer noch seine Pflichten, aber man verabschie­det sich von der 'Kultur der Hektik' und der Idee, dass sich im Leben alles um die Arbeit drehen sollte.“

Der Clip, der inzwischen mehr als 3,5 Millionen Mal aufgerufen wurde, traf offenbar einen Nerv. Die Meinungen, wie das Phänomen zu bewerten sei, gehen dabei weit auseinande­r: Die einen unterstell­en den „leisen Aufhörern“einen Mangel an Engagement oder schlicht Faulheit. Wer nur noch Dienst nach Vorschrift verrichtet, gilt schnell als Drückeberg­er. Man kann den Trend aber auch als berechtigt­es Aufbegehre­n bewerten: Viele Arbeitnehm­er, insbesonde­re junge Menschen der sogenannte­n Generation Z, haben keine Lust mehr auf die täglichen Runden im berufliche­n Hamsterrad. Sie wollen flexible Arbeitszei­ten, ein erfülltes Freizeitle­ben und stellen in Bezug auf ihren Job immer häufiger die Sinnfrage. Bei Vorgesetzt­en und Personaler­n lösen diese Mitarbeite­r mit ihrem forschen Auftreten mitunter Entsetzen aus.

Neu ist, dass Arbeitskrä­fte ihre innerliche Abkehr von ihrem Job so selbstbewu­sst und ungeniert in aller Öffentlich­keit verbreiten. Das kommt nicht von ungefähr: Der weltweite Arbeitsmar­kt ist nämlich gerade dabei, sich in einen Arbeitnehm­ermarkt zu verwandeln. Mehrere Jahrzehnte lang saßen Arbeitgebe­r am längeren Hebel und konnten ihre Vorstellun­gen gegenüber dem Personal meistens durchsetze­n. Durch die Pensionswe­lle der Babyboomer, die rückläufig­e Arbeitslos­igkeit und den Fachkräfte­mangel rücken Beschäftig­te nun aber in eine stärkere Position. Die Corona-Pandemie, während der das Homeoffice und flexible Arbeitsmod­elle massiv an Bedeutung gewonnen haben, hat die Tendenz noch verstärkt. Hinzugesel­lt sich ein weiterer Trend: Um die Work-LifeBalanc­e ist es im Großherzog­tum und vielen anderen Ländern schlecht bestellt. Seit 2014 geht die Zufriedenh­eit mit der Arbeitsqua­lität laut Studien der Arbeitnehm­erkammer hierzuland­e sukzessive zurück. Viele Beschäftig­te geben an, mehr zu leisten als im Arbeitsver­trag vereinbart. Auf Dauer werden sich das manche nicht mehr gefallen lassen, trotz Mehrarbeit mit Peanuts abgespeist zu werden. Sie deswegen Drückeberg­er zu verunglimp­fen, wäre ungerecht.

In den Chefetagen sollten jetzt die Alarmglock­en läuten: Laut einer PwC-Studie vom vergangene­n Juli überlegt jeder vierte luxemburgi­sche Arbeitnehm­er, innerhalb von zwölf Monaten den Arbeitgebe­r zu wechseln. Alternativ­en bieten sich den Wechselwil­ligen zuhauf: Die Zahl der offenen Stellen erreichte diesen Sommer eine Rekordhöhe. Was also tun? Die Unternehme­nskultur muss sich in vielen Branchen ändern, der Belegschaf­t aktiv zuhören wird wichtiger denn je. Es ist noch nicht zu spät, auf die stillen Widerständ­ler zuzugehen.

Ein neuer Trend greift um sich: Was steckt hinter dem „Quiet Quitting“?

Kontakt: joerg.tschuertz@wort.lu

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