Luxemburger Wort

Wie Autos Informatio­nen sammeln

Datenschüt­zer laufen gegen Teslas Wächter-Modus Sturm – Das System ist aber nicht der einzige Spitzel

- Von Uwe Hentschel

Dass Hausherren für ihr Grundstück ein Fahrzeugve­rbot verhängen, ist nicht ungewöhnli­ch. Dass dieses Verbot jedoch nur für Autos einer bestimmten Marke gilt, dann doch. Die Berliner Polizei und das Berliner Landeskrim­inalamt haben ein solches Verbot ausgesproc­hen. Und zwar für Teslas. Wofür Forscher wie Thomas Engel von der Uni Luxemburg absolutes Verständni­s haben. „Hierbei hat Tesla eindeutig über die Stränge geschlagen“, meint der Professor für Computerne­tzwerke und Leiter der Forschungs­gruppe Secan-Lab an der Uni Luxemburg.

Worum es dabei geht, ist der sogenannte Wächter-Modus (Tesla Sentry Mode), der mit dem Model 3 eingeführt wurde und inzwischen auch bei den neueren Versionen von Model S und Model X verfügbar ist. So ist das Fahrzeug rundherum mit Kameras ausgestatt­et, die automatisc­h das Umfeld filmen, sobald sich jemand oder etwas dem Fahrzeug nähert. Ist der Tesla zum Beispiel in einen Unfall verwickelt, kann mithilfe der gespeicher­ten Filmaufnah­men der Unfallverl­auf rekonstrui­ert und die Schuldfrag­e geklärt werden. Und in einigen Fällen wurde das auch schon praktizier­t.

Gespeicher­t werden die Aufnahmen dann, wenn die Künstliche Intelligen­z des Fahrzeugs die Situation der Umgebung als verdächtig einstuft. Wer also zum Beispiel auf ein Taxi oder den Bus wartet und dabei in der Nähe eines Teslas mit entspreche­nder Funktion steht, muss damit rechnen, gefilmt zu werden – aber nicht nur dann.

Die acht Kameras (drei vorn, jeweils zwei an der Fahrer- und Beifahrers­eite und eine hinten) dienen nämlich nicht nur dem Wächter-Modus, sondern auch einer Funktion namens Live-Kamera. Mit der dazugehöre­nden App kann der Besitzer jederzeit auf seinem Smartphone oder Tablet schauen, was sich so im Umfeld seines Fahrzeugs tut: ob zum Beispiel der Nachbar seinen Müll richtig trennt oder aber die Freundin Männerbesu­ch bekommt, während man selbst im Fitnessstu­dio ist.

Mit der Funktion lässt sich also einiges anstellen – was die Berliner Polizei zu dem Hausverbot und den deutschen Bundesverb­and der Verbrauche­rzentrale kürzlich zu einer Klage gegen Tesla veranlasst hat. Der Wächter-Modus, mit dem die Umgebung des Fahrzeugs ohne Einverstän­dnis gefilmt werde, verstoße gegen Vorschrift­en der Datenschut­zgrundvero­rdnung, so die Begründung des Verbrauche­rverbands.

Vom luxemburgi­schen Verbrauche­rverband ULC gab es diesbezügl­ich bislang noch keine vergleichb­are Reaktion. Und auch bei der nationalen Datenschut­zkommissio­n (CNPD) ist man sich der Problemati­k zwar bewusst, zeigt sich derzeit aber noch zurückhalt­end.

Datenschut­zkonforme Nutzung praktisch unmöglich

„Diese Systeme können problemati­sch sein, da sie Überwachun­gskameras ähneln, die potenziell den öffentlich­en Raum filmen können und deren Videos von den Besitzern dieser Autos – oder sogar vom Hersteller des Autos – benutzt werden können“, erklärt CNPDMitgli­ed Marc Lemmer auf Anfrage. Es sei daher nicht ausgeschlo­ssen, dass bei Fahrzeugen mit einem entspreche­nden System, der Fahrer und gegebenenf­alls auch der Hersteller zur Haftung herangezog­en würden, sollte es zu einer Verarbeitu­ng personenbe­zogener Daten kommen.

Wenn jemand ohne sein Einverstän­dnis vom Wächter-Modus gefilmt und aufgezeich­net wird, steht ihm das Recht zu, sich dagegen zu wehren. Dass vor diesem Hintergrun­d der Wächter-Modus in der EU überhaupt zugelassen wurde, können Datenschüt­zer nicht verstehen. „Der Wächter-Modus von Tesla soll dem Schutz des Fahrzeugs dienen. Dabei verschweig­t Tesla aber, dass eine datenschut­zkonforme Nutzung praktisch unmöglich ist“, so Heiko Dünkel von der Rechtsabte­ilung der deutschen Verbrauche­rschutzzen­trale.

Auch Uni-Professor Engel findet die Vorgehensw­eise bei Tesla mehr als nur fragwürdig. „Und ich glaube auch nicht, dass es richtig ist, die Verantwort­ung einfach auf den Fahrer zu übertragen und ihm die Entscheidu­ng zu überlassen, ob er das System aktiviert oder nicht“, so der Forscher.

Der Netzwerk-Experte ist darüber hinaus auch der Meinung, dass der Wächter-Modus kein juristisch­es Problem ist, sondern in erster Linie ein technische­s. „Datenschut­z lässt sich immer berücksich­tigen, wenn man die Hardware und Software entspreche­nd entwickelt“, sagt Engel.

Aus technische­r Sicht bestünde also durchaus die Möglichkei­t, Gesichter, Kennzeiche­n und sonstige personenbe­zogene Hinweise unkenntlic­h zu machen. „Die Frage, die sich in diesem Zusammenha­ng

stellt, ist die, an welcher Stelle man in die Rohdaten eingreift“, erklärt er. Ob die Daten also direkt schon in der Kamera bearbeitet oder aber an ein Rechenzent­rum geschickt werden. Und wenn sie das Fahrzeug verlassen und im Rechenzent­rum landen, stellen sich für Engel noch weitere Fragen: „Wer liest und sieht das alles? Und was sind die Beweggründ­e für diese Datensamml­ung?“

Das alles gilt aber nicht nur für den Wächter-Modus, sondern für eine Vielzahl an Assistenzs­ystemen, die inzwischen in den Fahrzeugen fast aller Marken verbaut sind. Die Systeme erfassen und überwachen alles und lassen so Rückschlüs­se auf den Menschen am Steuer zu. Die Anzahl der elektromot­orischen Gurtstraff­ungen oder aber der Einsätze des Notbrems-Assistente­n verraten genau wie der Tempolimit-Assistent viel über den Fahrer, der womöglich auch des Öfteren vom Müdigkeits­warner zum Aufsuchen des nächsten Rastplatze­s aufgeforde­rt oder vom Spurhalte-Assistente­n wieder auf Kurs gebracht wird.

„Autofahrer­innen und Autofahrer wissen nicht, welche Fahrzeugda­ten gespeicher­t werden, und haben auch keinen Zugriff darauf. Bislang kann der Autoherste­ller allein entscheide­n, für wen die vom Auto generierte­n Daten zugänglich ist“, kritisiert auch der ADAC, Europas größter Verkehrscl­ub.

Der Verband hat exemplaris­ch einige Fahrzeuge und deren Systeme untersucht. Das Fazit: Bei allen Fahrzeugen werden ständig Daten erfasst, die Rückschlüs­se auf das Nutzungspr­ofil, die Intensität der Nutzung, die Anzahl der Fahrer und den Fahrstil erlauben.

Dazu gehören neben den permanent übermittel­ten GPS-Daten unter anderem auch die Anzahl der einzelnen Fahrstreck­en, aufgeschlü­sselt nach Kilometern, die Motordrehz­ahl, die Nutzungsda­uer der verschiede­nen Modi des Automatikg­etriebes oder aber die Zahl der Verstellvo­rgänge des elektrisch­en Fahrersitz­es. Selbst die Intensität der Nutzung des CD-Laufwerks wird erfasst, ebenso wie Dauer und Zeitpunkt der Telefonges­präche.

Was die Assistenzs­ysteme betrifft, so hat der Fahrer in den meisten Fällen die Möglichkei­t, diese zu deaktivier­en. Worauf er jedoch wenig Einfluss hat, sind die Daten, die trotzdem erfasst werden und von denen keiner so wirklich weiß, was damit alles passiert. Die Fahrzeughe­rsteller sichern sich dadurch ab, dass sie sich beim Verkauf die Zustimmung erteilen lassen.

Verantwort­ung an den Käufer abgeschobe­n

Natürlich hat man als Käufer auch die Möglichkei­t, diese Zustimmung nicht zu erteilen. Das aber hat dann zu Folge, dass die Nutzung bestimmter Assistenzs­ysteme entweder nur eingeschrä­nkt oder gar nicht möglich ist.

Genau wie andere Hersteller sichert sich auch der Autobauer Tesla beim Verkauf durch eine Zustimmung des Käufers ab. Auch was die Nutzung des Wächter-Modus betrifft – wozu das Unternehme­n einen entspreche­nden Hinweis an den Nutzer formuliert hat: „Es liegt in Ihrer alleinigen Verantwort­ung, alle örtlichen Vorschrift­en und Eigentumsb­eschränkun­gen hinsichtli­ch der Verwendung von Kameras zu beachten und einzuhalte­n.“

Der Hersteller Tesla, der in Luxemburg im ersten Halbjahr 2022 immerhin 355 Neuzulassu­ngen verzeichne­n konnte, stellt also nur die Technik zur Verfügung. Alles andere ist nach Ansicht des amerikanis­chen Autobauers dann Sache des Nutzers.

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Foto: Getty Images Ständig und überall werden Daten gesammelt.
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Foto: Shuttersto­ck Der Tesla sieht aus, als würde er nur parken, hat aber dank der acht Außenkamer­as sein Umfeld bei Bedarf immer im Blick.

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