Luxemburger Wort

Truss wird neue Premiermin­isterin

Die britische Außenminis­terin und Parteivors­itzende der Konservati­ven steht vor riesigen Herausford­erungen

- Von Peter Stäuber (London)

„Es war eines der längsten Jobintervi­ews in der Geschichte“, witzelte Liz Truss, kurz, nachdem sie als neue Premiermin­isterin feststand. So sahen es wohl auch die meisten Briten: Der Wahlkampf ums höchste Amt in Großbritan­nien war lang und missmutig, und er endete keine Minute zu früh. Das Resultat fiel so aus, wie erwartet: Favoritin Liz Truss ist von den Tory-Parteimitg­liedern zur neuen Vorsitzend­en gewählt worden. Damit wird sie am Dienstag als neue Premiermin­isterin antreten. Nach Margaret Thatcher und Theresa May ist Truss die dritte Frau an der Spitze Großbritan­niens.

Allerdings fiel ihr Sieg weniger deutlich aus als erwartet: Truss erhielt 81 000 Stimmen, ihr Rivale Rishi Sunak 60 000. Bereits sind Fragen aufgetauch­t, wie viel Autorität Truss innerhalb der Fraktion haben wird. „Ich habe den Wahlkampf als Konservati­ve geführt, und ich werde als Konservati­ve regieren“, sagte Truss in ihrer Ansprache nach ihrem Sieg – als ob noch jemand daran gezweifelt hätte.

Viele Politikexp­erten gehen davon aus, dass Truss die rechteste Regierung seit dreißig Jahren anführen wird. In ihrer kurzen Rede, die inhaltlich platt und wie üblich hölzern vorgetrage­n war, dankte sie ihrem „Freund“Boris Johnson und erwähnte seine größten Errungensc­haften, unter anderem den Brexit.

Auch bestätigte Truss ihr wichtigste­s wirtschaft­spolitisch­es Ziel: „Ich werde einen kühnen Plan vorlegen, um Steuern zu senken und die Wirtschaft wachsen zu lassen.“Ihre Schwäche für eine libertäre Wirtschaft­spolitik ist bestens bekannt. Während der vergangene­n Wochen hat sie immer wieder betont, dass sie die Wirtschaft durch tiefe Steuern auf Vordermann bringen will, und dass der Brexit eine einmalige Chance sei, Regulierun­gen abzubauen.

Wirtscjaft­sexperten kritisiere­n Strategie

Mit ihrer Wahl zur Regierungs­chefin hat sie die Chance, diese Pläne in die Tat umzusetzen. Sie wird wohl ihren Verbündete­n und libertären Weggefährt­en Kwasi Kwarteng zum Finanzmini­ster ernennen. Kwarteng schrieb am Montag in einer Kolumne in der Financial Times, dass eine Regierung Truss die Maßnahmen ergreifen wird, „die die Grundlage für den erforderli­chen langfristi­gen Wandel legen wird.“Das bedeute: Die Steuern müssen gesenkt werden, und die Unternehme­n müssen von „unangebrac­hten Regulierun­gen“befreit werden.

Aber Ökonomen kritisiere­n diese Strategie. Der nationale Rechnungsh­of Office for Budget Responsibi­lity schreibt, dass die geplante Fiskalpoli­tik „nicht nachhaltig“sei – die Steuern müssten vielmehr erhöht werden, um einen Anstieg der Staatsvers­chuldung zu verhindern. Auch sagen Experten, dass fiskale Anpassunge­n überhaupt nicht ausreichen werden, um der Krise der Lebenshalt­ungskrise auch nur annähernd abzuwenden. Dies ist derzeit das dringendst­e Thema für die Briten: Steigende Energiekos­ten drohen in einigen Wochen die tiefste soziale Krise seit Jahrzehnte­n auszulösen.

Tiefere Steuern werden dem Problem kaum beikommen, sagen Experten. Laut einer Kalkulatio­n würde beispielsw­eise die von Truss geplante Senkung der Sozialvers­icherungsb­eiträge den Bestverdie­nern 1.800 Pfund pro Jahr bescheren – den Leuten am untersten Ende der Einkommens­skala jedoch mickrige 7 Pfund. Als Truss in einem am Sonntag ausgestrah­lten BBC-Interview auf diese Rechnung angesproch­en und gefragt wurde, ob dies fair sei, sagte sie: „Ja, das ist fair.“

Westminste­r schmiedet Pläne für ein staatliche­s Hilfspaket

Allerdings hört man aus gut informiert­en Kreisen in Westminste­r, dass das Team rund um Truss ungeachtet dieser Rhetorik bereits Optionen durchspiel­t, wie man den Briten mit einem Hilfspaket direkt unter die Arme greifen kann; es ist die Rede von einem dicken staatliche­n Hilfspaket, vielleicht in Höhe von bis zu 100 Milliarden Pfund. Der drohende soziale Notstand könnte sie also zwingen, ihre Ideologie vorerst über Bord zu werfen. Unterdesse­n machen sich manche Parteikoll­egen Sorgen, ob es die neue Premiermin­isterin schaffen wird, die Partei zu einen – oder ob sie es überhaupt versuchen will.

Denn nach allem, was man bislang weiß, will sich die neue Regierungs­chefin ihr Kabinett mit loyalen Anhängern aus demselben rechten Tory-Flügel bestücken; nebst Kwarteng gilt es beispielsw­eise als gesichert, dass die Hardlineri­n und Truss-Anhängerin Suella Braverman als Innenminis­terin antreten wird. Das sorgt bei vielen Tory-Abgeordnet­en für Konsternat­ion.

Im Gegensatz zur Parteibasi­s hätte die große Mehrheit lieber Rishi Sunak als Premiermin­ister gehabt. Ihr fehlt also der Rückhalt in den eigenen Reihen, den ihr Vorgänger Boris Johnson genoss.

Dass Truss in dieser Situation nicht die Hand ausstreckt, sich versöhnlic­h zeigt und versucht, die Partei zu einen, dürfte die Bedenken ihrer Kollegen nicht gerade lindern. Ein anonymer Abgeordnet­er sagte gegenüber dem Nachrichte­nportal Politico: „Wenn sie nicht ein Team zusammenst­ellt, das die ganze Partei repräsenti­ert, könnte die Sache schnell ins Wanken geraten.“

Ich habe den Wahlkampf als Konservati­ve geführt, und ich werde als Konservati­ve regieren. Liz Truss

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Foto: AFP Die künftige britische Premiermin­isterin Liz Truss hat nach ihrem Wahlsieg bei den Konservati­ven dem scheidende­n Regierungs­chef Johnson gedankt.

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