Optimismus im „Krypto-Winter“
Jean-Baptiste Graftieaux ist der neue Chef der Luxemburger Plattform Bitstamp – trotz fallender Kurse ist er zuversichtlich
Nach dem spektakulären Wachstum im vergangenen Jahr ging es zuletzt an den Kryptomärkten steil bergab. Digitalwährungen wie Bitcoin verloren massiv an Wert. Die Luxemburger Kryptobörse Bitstamp schlägt sich bisher wacker. Im Gespräch mit dem „Luxemburger Wort“spricht Unternehmenschef Jean-Baptiste Graftieaux über die Strategie der Firma und wie sie gestärkt aus der Krise kommen will.
Jean-Baptiste Graftieaux, Ihr Unternehmen Bitstamp hat kürzlich eine großangelegte Umfrage veröffentlicht, aus der hervorgeht, dass die Zahl der Kleinanleger in Europa, die in Krypto investieren, sich zuletzt deutlich erhöht hat. Überrascht Sie das Ergebnis angesichts des massiven Einbruchs an den Krypto-Märkten in den letzten Monaten?
Nein. In den letzten 24 Monaten haben wir ein deutlich gestiegenes Interesse von institutionellen Akteuren wie Banken, Brokern oder Zahlungsdienstleistern an Krypto gesehen, unabhängig von dem, was als „Krypto-Winter“bezeichnet wird. Daher hatte ich die Ergebnisse unserer „Crypto Pulse“Umfrage erwartet. Aber es ist immer gut, es durch die Zahlen bestätigt zu sehen. Natürlich gibt es noch viel zu tun, um Krypto weiter zum Mainstream werden zu lassen, zum Beispiel in der Aufklärung der Verbraucher. Darum starten wir bei Bitstamp ein Lernzentrum, wo sich Krypto-Interessierte über den Markt informieren können. Daneben passiert viel im Bereich der Regulierung für Krypto-Assets, wie kürzlich die Markets in Crypto-assets Regulation (MiCA, Anm. d. Red.) in der EU. Das dürfte dafür sorgen, dass sich das Vertrauen vor allem der Kleinanleger in dem Bereich verbessert.
Sie begrüßen also eine stärkere Regulierung des Segmentes?
Ja. Ich denke, es gibt da zwei wichtige Punkte. Der Erste ist, dass die Regulierung das Vertrauen stärken und dadurch die Krypto-Akzeptanz in hohem Maße erhöhen wird. Zweitens muss man sagen, dass wir uns in einer regulatorischen Übergangsphase für Krypto befinden. Einige Länder haben ihren eigenen Regulierungsansatz, andere Länder haben keine offizielle Krypto-Regulierung. Diese Fragmentierung macht es für uns als Börse sehr komplex und auch sehr teuer, mit all diesen Varianten der Krypto-Regulierung in den verschiedenen Ländern umzugehen. Wir haben damit nicht die Freiheit, Dienstleistungen anzubieten, wie sie eine Bank oder ein Zahlungsdienstleister hat. Wir müssen in jedem Land eine Krypto-Registrierung und -Lizenz beantragen, was extrem fragmentiert und komplex zu bewältigen ist. Eine Vereinheitlichung der Regulierung durch MiCA wird vieles vereinfachen, weil man eine Lizenz auf andere EU-Länder übertragen kann.
Im letzten halben Jahr sind die Werte der Krypto-Assets massiv abgestürzt. Denken Sie, dass inzwischen der Boden erreicht ist?
Natürlich waren die letzten neun Monate eine Herausforderung. Nicht nur für Krypto, sondern auch für die Märkte im Allgemeinen aufgrund der globalen Unsicherheit, der Situation in der Ukraine und der Inflation.
Wann werden die Kurse wieder steigen?
Es gibt ein paar Datenpunkte, die zeigen, dass wir immer mehr Neueinsteiger auf den Märkten sehen werden. Gerade von institutionellen Akteuren sehen wir massives Interesse, in Krypto einzusteigen. Ich bin also optimistisch, was die Zukunftsaussichten der Kryptomärkte angeht. Trotzdem ist es natürlich schwierig, das vorauszusehen, aber wir erwarten für Ende des Jahres, Anfang kommenden Jahres, eine Erholung.
Welche Form würde eine Erholung ihrer Einschätzung nach haben? Zurück zum astronomischen Wachstum der letzten Jahre oder eher ein gemäßigtes Tempo vergleichbar mit anderen Anlageklassen?
Die Krypto-Industrie ist zyklisch. Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass zum Beispiel Bitcoin auf 20 000 Dollar steigt, plötzlich um
6 000 fällt und sich etwas später erholt. Im letzten Jahr ist der Preis zwischenzeitlich auf über 65 000 gestiegen. Zuletzt sahen wir einen Preisverfall. Dieser Zyklus dauert normalerweise 18 Monate, vielleicht 24 Monate. Es ist also sehr schwierig, die Frage zu beantworten, wie die Preise sich in vier oder sechs Monaten entwickeln. Aber ich denke, wir sehen einige positive Signale, die mich glauben lassen, dass sich Krypto in den kommenden Quartalen erholen wird. Nur in welchem Rahmen, ist sehr schwer vorherzusagen. Da aber die Preise aktuell ziemlich niedrig sind, ist jetzt wahrscheinlich ein guter Zeitpunkt für Investoren, in den Bereich einzusteigen.
Konkurrenten wie Coinbase haben in der aktuellen Krise Mitarbeiter entlassen müssen. Wie stellt sich die Situation derzeit für Bitstamp dar?
Ich denke, dass der „Krypto-Winter“für uns tatsächlich eine sehr gute Zeit ist, um unsere Fähigkeiten weiter auszubauen, um vom nächsten „Bull-Run“profitieren zu können. Als ich vor vier Monaten der neue CEO des Unternehmens wurde, haben wir daher unsere Strategie und unsere Produkt-Roadmap aktualisiert. Wir wollen in dieser Phase weiter expandieren. Beispielsweise haben wir gerade in Italien die Registrierung für Krypto-Aktivitäten erhalten. Bis Ende des Jahres sollten wir weitere neue Lizenzen hinzufügen.
Sie planen also keine Entlassungen?
Wir stellen in einigen Bereichen des Geschäfts weiterhin sehr viele Mitarbeiter ein, auch wenn unsere Einnahmen natürlich nicht die gleichen sind wie im letzten Jahr. Bei uns gab es keine Stellenstreichungen wie bei Coinbase, Gemini oder crypto.com, wo zwischen zehn und 30 Prozent der Mitarbeiter entlassen wurden.
Worin besteht Ihre Strategie, um nicht nur die Krypto-Krise überleben, sondern vielleicht auch davon profitieren zu können?
Wir entwickeln zum Beispiel neue Produkte, um unseren Marktanteil zu erhöhen und unsere Kunden zu reaktivieren. Unsere Kundschaft besteht zu 50 Prozent aus institutionellen Investoren
und zu 50 Prozent aus Kleinanlegern. Für unsere institutionellen Kunden bieten wir „Bitstamp-as-aService“an. Damit können Banken beispielsweise Krypto-Assets an ihre Endkunden verkaufen, ohne selbst eine Krypto-Börse zu werden oder eigene Krypto-Liquidität aufbauen zu müssen. Wir stellen ein massives Interesse an diesem Produkt fest. Daher sollten wir in den kommenden Quartalen einige Ankündigungen von Partnerschaften zwischen Bitstamp und großen Akteuren auf dem Markt sehen. Wir haben auch neuerdings ein Angebot auf der Plattform, dass neue Nutzer Krypto-Währungen kaufen können, ohne eine Gebühr zu zahlen, so lange die Handelsaktivität unter 1 000 Dollar bleibt.
Werden Sie die Schwierigkeiten auf dem Markt nutzen, um Konkurrenten zu übernehmen?
Wir sind gerade vor einigen Wochen in eine Plattform für Kryptoderivate eingestiegen. Wir investieren in einige Firmen, aber nicht, um sie zu übernehmen, sondern erwerben nur Anteile an ihnen. In erster Linie geht es uns darum, „in-house“Kapazitäten aufzubauen. Deswegen stellen wir weiter ein.
Trotz der Ergebnisse Ihrer Umfrage scheint sich die Zahl der Skeptiker gegenüber Krypto zu erhöhen. Stimmen werden laut, dass der Bereich dem Hype und den Versprechungen, die Finanzwelt zu revolutionieren, nicht gerecht wird. Wird es nicht Zeit für eine etwas bescheidenere Vision für den Sektor?
In unserer Umfrage sagen weiterhin über 50 Prozent der Teilnehmer, dass sie Krypto für eine vertrauenswürdige Anlage halten. Im Vergleich zur letzten Ausgabe ein Rückgang von nur zwei Prozent. Wir eröffnen weiterhin überall auf der Welt jeden Tag neue Accounts für Kleinanleger, aber auch viele institutionelle Kunden machen ihre ersten Krypto-Investments. Es gibt heute wahrscheinlich 15 000 bis 20 000 digitale Assets und wir sehen eine zunehmende Differenzierung des Sektors. Während in Europa und Nordamerika Krypto vor allem als Anlagemöglichkeit wie Aktien genutzt wird, wird es in Afrika auch verstärkt im Bereich „Payments“verwendet. Es wird sehr interessant sein, zu beobachten, wie das Ecosystem sich im nächsten Jahrzehnt entwickelt.
Andere Kryptobörsen sitzen auf den Bahamas oder den Cayman Islands. Gibt es einen besonderen Grund dafür, warum sich Bitstamp für Luxemburg als Firmensitz entschieden hat?
Ich arbeitete 2014 zum ersten Mal für Bitstamp. In meinem damaligen Job half ich dem Unternehmen, eine Payments-Lizenz in Luxemburg zu erhalten. Der Grund, warum wir nach Luxemburg gegangen sind, ist einfach. Die beiden Gründer wollten damals eine regulierte Krypto-Börse haben, auch um uns von anderen Börsen abzuheben und das Vertrauen von institutionellen Kunden zu gewinnen. Luxemburg war eines der wenigen Länder, die zu diesem Zeitpunkt bereit waren, so eine Börse zu regulieren. Wir wurden damals hier als Payments-Institut reguliert. Darum haben wir unseren Hauptsitz hier. Wir zählen aktuell etwa 50 bis 55 Mitarbeiter in Luxemburg, aber wir wachsen ziemlich schnell.