Luxemburger Wort

Das Kabinett der Ergebenen

Die neue britische Premiermin­isterin Liz Truss umgibt sich fast ausschließ­lich mit engen Weggefährt­en – das birgt Gefahren

- Von Peter Stäuber (London)

Mit lautem Applaus wurde Liz Truss begrüßt, als sie kurz vor 12 Uhr die Kammer betrat und sich den Weg zu ihrem Sitz auf den grünen Bänken bahnte. Gestern hatte die frisch gebackene Premiermin­isterin ihren ersten Auftritt im Unterhaus, und er begann gleich mit den sogenannte­n „Prime Minister’s Questions“. An dieser allwöchent­lichen Fragestund­e müssen sich die Regierungs­chefs jeweils den rhetorisch­en Angriffen der Opposition erwehren und – im besten Fall – eine gewisse rhetorisch­e Flinkheit an den Tag legen.

Das war noch nie Truss' Stärke, aber sie dürfte mit ihrer Performanc­e zufrieden sein. Auf jeden Fall trat sie überzeugen­der auf, als es viele erwartet hatten. Es gab manche heiteren Momente, etwa als ihre Vorgängeri­n Theresa May fragte, warum eigentlich alle drei weiblichen Premiermin­ister, die Großbritan­nien bislang gehabt hat, Tories sind. „Ja, und warum kommen eigentlich alle Labour-Vorsitzend­en aus Nord-London?“, legte Truss nach, sehr zur Freude ihrer Parteikoll­egen, die in schallende­s Gelächter ausfielen.

Opposition schießt sich ein

Aber abgesehen davon ging es gleich ans Eingemacht­e. Alles drehte sich um die Krise der astronomis­chen Energiepre­ise. Truss hat bereits durchblick­en lassen, dass sie bald ein dickes Rettungspa­ket vorstellen wird – aber die Frage ist, wie sie dafür bezahlen wird. „Wird die Regierung den Energiekon­zernen eine Zufallsgew­innsteuer auferlegen?“, wollte Opposition­schef Keir Starmer wissen. Und Truss sagte klipp und klar: „Nein, das werde ich nicht.“Sie bevorzuge eine Strategie, die auf Steuersenk­ungen setze, um Investitio­nen anzulocken und so die Wirtschaft anzukurbel­n. Den detaillier­ten Plan wird sie erst am Donnerstag präsentier­en, aber bereits jetzt wird deutlich, von welcher Flanke her sie von der Opposition angegriffe­n wird.

Wenige Stunden zuvor hatte Truss ihre erste Kabinettss­itzung geleitet. Die Truss-Regierung ist überaus divers: Keines der vier großen Staatsämte­r – also Premier sowie Finanz-, Innen- und Außenminis­terium – wird von einem weißen Mann besetzt. So etwas hat es in der Geschichte Großbritan­niens noch nie gegeben, und es zeigt, wie sehr die konservati­ve Partei im vergangene­n Jahrzehnt die Promotion von Frauen und Vertretern von ethnischen Minderheit­en zu einer Priorität gemacht hat.

In politische­r Hinsicht ist das Kabinett jedoch sehr einheitlic­h: Praktisch alle zählen zum rechten Flügel der Tory-Partei. Sie befürworte­n eine deregulier­te Wirtschaft, in sozialen Fragen sind sie konservati­v, und setzen sich für einen harten Brexit ein. Finanzmini­ster Kwasi Kwarteng ist seit vielen Jahren ein libertärer Weggenosse von Liz Truss, wie seine Chefin schwebt ihm ein Großbritan­nien als Tiefsteuer-Insel vor, befreit von „unangebrac­hter Regulierun­g“, wie er kürzlich schrieb.

Innenminis­terin Suella Braverman vertritt eine noch härtere Politik als ihre Vorgängeri­n Priti Patel. Sie hat besonders irreguläre Migranten im Visier, sowie Aktivisten und Protestier­ende. Um ihre Ziele zu erreichen, will sie sogar aus der Europäisch­en Konvention für Menschenre­chte austreten – dies sei „eine nationale Priorität“, sagte sie. Außenminis­ter James Cleverly, ein entschiede­ner EU-Skeptiker, ist formal verantwort­lich für die Brexit-Politik – allerdings sagen Insider, dass Truss ihren langjährig­en Vertrauten in dieses Amt hob, um selbst die Kontrolle über die Beziehunge­n zur EU zu behalten. Es ist denn auch keine Entspannun­g im Verhältnis zu Brüssel zu erwarten.

Strategie mit Risiken

Ihr Kabinett mit Loyalisten zu besetzen, birgt jedoch Gefahren für die neue Premiermin­isterin. Insbesonde­re hat sie den Anhängern ihres Rivalen ums höchste Amt, Rishi Sunak, die kalte Schulter gezeigt – die britische Presse spricht von einer „Säuberung“der SunakUnter­stützer. Sich mit den eigenen Fans zu umgeben, würde durchaus Sinn ergeben, wenn Truss auf die überwältig­ende Unterstütz­ung ihrer Fraktion und der Parteigäng­er zählen könnte. Aber das ist nicht der Fall: Die meisten ToryAbgeor­dneten hätten Sunak als Premiermin­ister bevorzugt, und mit 57 Prozent der Stimmen der Tory-Basis

fiel der Sieg von Truss weniger deutlich aus als erwartet.

Noch wetzen ihre parteiinte­rnen Gegner keine Messer, aber sie halten immerhin ihre Schleifste­ine schon mal griffberei­t. Zu ihren potenziell­en Widersache­rn gehören nicht nur Sunak und seine Unterstütz­er, sondern auch neuere Tory-Abgeordnet­e aus Nordenglan­d, die sich mehr Investitio­nen in ihrem Landesteil erhofft hatten; der regionale Ausgleich zwischen Nord- und Südengland war eines der wichtigste­n Verspreche­n im Wahlkampf von 2019. Truss' Abneigung gegen staatliche Interventi­on, so fürchten diese Kollegen, wird diese Pläne begraben. „Ich befürchte, dass Liz die ganze Ausgleichs­agenda über Bord werfen wird, und dann wird meine Karriere beendet sein“, sagte einer von ihnen hinter vorgehalte­ner Hand.

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Foto: AFP Die britische Premiermin­isterin Liz Truss (7. von links) sitzt mit Mitglieder­n ihres neuen Kabinetts zusammen.

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