Das Kabinett der Ergebenen
Die neue britische Premierministerin Liz Truss umgibt sich fast ausschließlich mit engen Weggefährten – das birgt Gefahren
Mit lautem Applaus wurde Liz Truss begrüßt, als sie kurz vor 12 Uhr die Kammer betrat und sich den Weg zu ihrem Sitz auf den grünen Bänken bahnte. Gestern hatte die frisch gebackene Premierministerin ihren ersten Auftritt im Unterhaus, und er begann gleich mit den sogenannten „Prime Minister’s Questions“. An dieser allwöchentlichen Fragestunde müssen sich die Regierungschefs jeweils den rhetorischen Angriffen der Opposition erwehren und – im besten Fall – eine gewisse rhetorische Flinkheit an den Tag legen.
Das war noch nie Truss' Stärke, aber sie dürfte mit ihrer Performance zufrieden sein. Auf jeden Fall trat sie überzeugender auf, als es viele erwartet hatten. Es gab manche heiteren Momente, etwa als ihre Vorgängerin Theresa May fragte, warum eigentlich alle drei weiblichen Premierminister, die Großbritannien bislang gehabt hat, Tories sind. „Ja, und warum kommen eigentlich alle Labour-Vorsitzenden aus Nord-London?“, legte Truss nach, sehr zur Freude ihrer Parteikollegen, die in schallendes Gelächter ausfielen.
Opposition schießt sich ein
Aber abgesehen davon ging es gleich ans Eingemachte. Alles drehte sich um die Krise der astronomischen Energiepreise. Truss hat bereits durchblicken lassen, dass sie bald ein dickes Rettungspaket vorstellen wird – aber die Frage ist, wie sie dafür bezahlen wird. „Wird die Regierung den Energiekonzernen eine Zufallsgewinnsteuer auferlegen?“, wollte Oppositionschef Keir Starmer wissen. Und Truss sagte klipp und klar: „Nein, das werde ich nicht.“Sie bevorzuge eine Strategie, die auf Steuersenkungen setze, um Investitionen anzulocken und so die Wirtschaft anzukurbeln. Den detaillierten Plan wird sie erst am Donnerstag präsentieren, aber bereits jetzt wird deutlich, von welcher Flanke her sie von der Opposition angegriffen wird.
Wenige Stunden zuvor hatte Truss ihre erste Kabinettssitzung geleitet. Die Truss-Regierung ist überaus divers: Keines der vier großen Staatsämter – also Premier sowie Finanz-, Innen- und Außenministerium – wird von einem weißen Mann besetzt. So etwas hat es in der Geschichte Großbritanniens noch nie gegeben, und es zeigt, wie sehr die konservative Partei im vergangenen Jahrzehnt die Promotion von Frauen und Vertretern von ethnischen Minderheiten zu einer Priorität gemacht hat.
In politischer Hinsicht ist das Kabinett jedoch sehr einheitlich: Praktisch alle zählen zum rechten Flügel der Tory-Partei. Sie befürworten eine deregulierte Wirtschaft, in sozialen Fragen sind sie konservativ, und setzen sich für einen harten Brexit ein. Finanzminister Kwasi Kwarteng ist seit vielen Jahren ein libertärer Weggenosse von Liz Truss, wie seine Chefin schwebt ihm ein Großbritannien als Tiefsteuer-Insel vor, befreit von „unangebrachter Regulierung“, wie er kürzlich schrieb.
Innenministerin Suella Braverman vertritt eine noch härtere Politik als ihre Vorgängerin Priti Patel. Sie hat besonders irreguläre Migranten im Visier, sowie Aktivisten und Protestierende. Um ihre Ziele zu erreichen, will sie sogar aus der Europäischen Konvention für Menschenrechte austreten – dies sei „eine nationale Priorität“, sagte sie. Außenminister James Cleverly, ein entschiedener EU-Skeptiker, ist formal verantwortlich für die Brexit-Politik – allerdings sagen Insider, dass Truss ihren langjährigen Vertrauten in dieses Amt hob, um selbst die Kontrolle über die Beziehungen zur EU zu behalten. Es ist denn auch keine Entspannung im Verhältnis zu Brüssel zu erwarten.
Strategie mit Risiken
Ihr Kabinett mit Loyalisten zu besetzen, birgt jedoch Gefahren für die neue Premierministerin. Insbesondere hat sie den Anhängern ihres Rivalen ums höchste Amt, Rishi Sunak, die kalte Schulter gezeigt – die britische Presse spricht von einer „Säuberung“der SunakUnterstützer. Sich mit den eigenen Fans zu umgeben, würde durchaus Sinn ergeben, wenn Truss auf die überwältigende Unterstützung ihrer Fraktion und der Parteigänger zählen könnte. Aber das ist nicht der Fall: Die meisten ToryAbgeordneten hätten Sunak als Premierminister bevorzugt, und mit 57 Prozent der Stimmen der Tory-Basis
fiel der Sieg von Truss weniger deutlich aus als erwartet.
Noch wetzen ihre parteiinternen Gegner keine Messer, aber sie halten immerhin ihre Schleifsteine schon mal griffbereit. Zu ihren potenziellen Widersachern gehören nicht nur Sunak und seine Unterstützer, sondern auch neuere Tory-Abgeordnete aus Nordengland, die sich mehr Investitionen in ihrem Landesteil erhofft hatten; der regionale Ausgleich zwischen Nord- und Südengland war eines der wichtigsten Versprechen im Wahlkampf von 2019. Truss' Abneigung gegen staatliche Intervention, so fürchten diese Kollegen, wird diese Pläne begraben. „Ich befürchte, dass Liz die ganze Ausgleichsagenda über Bord werfen wird, und dann wird meine Karriere beendet sein“, sagte einer von ihnen hinter vorgehaltener Hand.