Kriegswirtschaft
Der Ton wird martialischer. „Wir sind in einer Kriegssituation“, sagte Energieminister Claude Turmes in der vergangenen Woche. In das gleiche Horn blies Anfang September auch der französische Präsident Emmanuel Macron. „Wir sind im Krieg. Das ist eine Tatsache“, ließ er wissen. Man mag das für gefährliche Rhetorik halten, durch die weiter Öl ins Feuer gegossen wird, das ohnehin schon lichterloh brennt. Tatsächlich ist es aber gerade in der aktuellen Situation wichtig, die Dinge beim Namen zu nennen. Denn Russland führt seit Jahren eine Art von Krieg gegen den Westen, ohne ihn zu erklären. Der ehemalige Geheimdienstler Putin hat das Prinzip der hybriden Kriegsführung perfektioniert. Die Krim wurde 2014 nicht von regulären Einheiten besetzt, sondern von „grünen Männern“, russische Trollfabriken säen auf sozialen Medien Hass und befördern die gesellschaftliche Spaltung im Westen, Killerkommandos spüren Dissidenten in London oder Berlin auf und Hacker dringen in kritische Infrastrukturen ein. Für einen Mann, der die Welt als Schachbrett betrachtet, kann alles zu einer Waffe werden, wie der britische Historiker und Russlandkenner Mark Galeotti in seinem Buch „The Weaponisation of Everything“beschreibt.
Seine schärfste Waffe abseits der Schlachtfelder ist die Energie. Indem er uns nun den Gashahn zudreht, erschüttert er nicht nur die Industrie, sondern er hofft auch, die Entschlossenheit gegenüber dem Aggressor und den Zusammenhalt in den westlichen Gesellschaften aufzuweichen. Das darf nicht gelingen. Ein wichtiger Schritt, das zu verhindern, ist das Eingeständnis, dass wir uns längst in einem unerklärten Wirtschaftskrieg befinden. Entsprechend müssen wir uns darauf einstellen, dass die wirtschaftliche Situation sich erst verschlimmert, bevor es besser wird. Der kommende Winter könnte die Schocks, die durch die Lehman-Pleite und die Pandemie ausgelöst wurden, in den Schatten stellen. Die ersten europäischen Industriebetriebe haben bereits mit Verweis auf die hohen Energiepreise das Handtuch geworfen. Weitere werden folgen. Firmen werden Mitarbeiter entlassen und die Lebenshaltungskosten könnten in Höhen schießen, die für einige Haushalte kaum zu erreichen sein werden. Irgendwann werden Sparmaßnahmen, Investitionen in erneuerbare Energien und die Erschließung alternativer Energiequellen dafür sorgen, dass die Energiekosten wieder ein normales Niveau erreichen. Kurzfristig ist aber keine Lösung in Sicht.
Putin die Stirn zu bieten, hat einen Preis. Diesen aber aus wirtschaftlichen Gründen, nicht zahlen zu wollen, käme einer Kapitulationserklärung der offenen Gesellschaften vor dem Aggressor gleich. Die entscheidende Waffe in diesem Konflikt muss es sein, den gesellschaftlichen Zusammenhalt trotz aller Herausforderungen zu erhalten und die sozialen Folgen der Energieknappheit so gut es geht abzufedern. Die Krise trifft – wie so oft – die Geringverdiener am schwersten. Der Staat muss daher zum einen sicherstellen, dass jeder, der Hilfe benötigt, diese auch erhält, zum anderen, dass diejenigen, die wirtschaftlich einen breiten Rücken haben, einen angemessenen Teil der Last tragen.
Die entscheidende Waffe im Konflikt mit Putin ist der soziale Zusammenhalt.