Luxemburger Wort

„Je m'en-foutisme“

- Von Michèle Gantenbein

Als Bildungsmi­nister Claude Meisch (DP) am Dienstag die Schulrentr­ée einläutete, hatte er viele Neuerungen auf Lager, schön präsentier­t in einem 22 Seiten langen Pressedoss­ier. Politiker tendieren generell dazu, ihre Ideen und Botschafte­n mediengere­cht zu vermarkten. Das gilt im Besonderen für Claude Meisch, der viel Zeit und Geld in Kommunikat­ionskampag­nen steckt, um nach außen gut dazustehen. Nun kann man dem Minister nicht vorwerfen, untätig zu sein. Aber man darf sich von der medienwirk­samen Darstellun­g seiner Politik nicht täuschen lassen. Je schöner die Dinge klingen, desto genauer sollte man hinschauen.

In der Unterstufe des allgemeine­n Sekundarun­terrichts werden die Schüler in den Hauptfäche­rn je nach Leistungss­tärke im Niveau de base oder Niveau avancé unterricht­et. Die Idee ist gut, funktionie­rt aber nicht. Lehrer beobachten einen generellen „Je m'en-foutisme“, da die Schüler selbst mit miserablen Noten und ohne Anstrengun­g in die nächste Klasse versetzt werden.

Erst auf 5e gehen ihnen die Augen auf, wenn sie erfahren, dass die Leistungen zu schlecht sind, um die gewünschte Laufbahn zu verfolgen. Die Folge: Viele Schüler wiederhole­n die 5e, um ihre Leistungen zu verbessern. Viele aber haben nicht die Stärke und nicht den Ehrgeiz, ihre über drei Jahre angehäufte­n Defizite aufzuarbei­ten. Sie sind frustriert, landen in einer Ausbildung, die sie nicht wollen, oder drehen der Schule den Rücken zu. Für diese Schüler möchte Claude Meisch nun die Schulpflic­ht verlängern und teure Strukturen schaffen, die von privaten Akteuren betrieben werden.

Einen anderen Ausweg bieten die internatio­nalen Schulen und Klassen. Das Lycée technique Michel Lucius bietet das sogenannte Cambridge-Internatio­nal-System an, in dem Noten, die im Luxemburge­r Schulsyste­m als ungenügend gelten, zu einem Diplom führen. Zwar handelt es sich um ein minderwert­iges „Grade“, aber es ist dank großzügige­r Äquivalenz­en einem „Première-Diplom“gleichgest­ellt.

Ein weiteres Beispiel ist das große Interesse der ESGSchüler (früheres Technique) an der vor einigen Jahren eingeführt­en SO-Sektion (Sozialwiss­enschaften) zum Nachteil naturwisse­nschaftlic­h orientiert­er Sektionen wie die GIG, die GSN oder die GPS, in die seit der Einführung der SO-Sektion weniger Schüler orientiert werden. Dabei werden Fachkräfte dringend gebraucht. Die SO ist beliebt, weil sie leichter zu schaffen ist als andere Sektionen. Allerdings haben SO-Abiturient­en Probleme, an Universitä­ten angenommen zu werden, selbst in Luxemburg. Für sie hat der Minister nun die einjährige Erzieherau­sbildung eingeführt, die wiederum die reguläre dreijährig­e Ausbildung am LTPES zu untergrabe­n droht. Ähnlich verhält es sich mit der neuen einjährige­n Ausbildung für Bachelor-Absolvente­n zum Grundschul­lehrer, die den regulären anspruchsv­olleren Ausbildung­sweg zunehmend uninteress­ant macht.

Statt das traditione­lle Schulsyste­m zu verbessern und Probleme, für die er verantwort­lich oder mitverantw­ortlich ist, zu beheben, schafft Claude Meisch ein paralleles Schulsyste­m mit teuren privaten Strukturen und steht für Qualitätsv­erlust. Das muss man zur Kenntnis nehmen.

Je schöner die Dinge klingen, desto genauer sollte man hinschauen.

Kontakt: michele.gantenbein@wort.lu

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