Luxemburger Wort

Die Rentrée anno dazumal

Viel hat sich verändert am ersten Schultag, vieles aber auch nicht – ein Blick ins Archiv

- Von Tom Rüdell

Die Tage werden kürzer und womöglich auch kühler, und dann kommt Mitte September ein fixer Termin für das ganze Land: Die großen Ferien enden, die Schule beginnt, die Rentrée ist da.

Sie ist auch ein fixer Termin im Redaktions­kalender, denn wenn das Land aus dem Sommerurla­ub zurück ist, gibt es insgesamt mehr zu berichten. Und traditione­ll wird auch die Rentrée selbst mit einigen Artikeln bedacht.

Ein Blick ins Archiv zeigt: Allzu viel verändert hat sich an dem großen Tag des Ferienende­s nicht. In diesem Jahr gibt es zwar einige Neuerungen zu vermelden, nicht zuletzt die Rekordzahl der angemeldet­en Schüler im Land. Und in den beiden Jahren zuvor klangen die organisato­rischen Corona-Sorgen (2020) bzw. die Aufräumarb­eiten nach der Flut (2021) durch. Insgesamt dominiert aber gerade bei den Berichten über die Schulanfän­ger über die Jahrzehnte die Idee vom neuen Lebensabsc­hnitt, der mit einiger Aufregung, aber auch Vorfreude begonnen wird – sowohl von den Erstklässl­ern als auch von deren Eltern, an die sich zahlreiche Ratgeberar­tikel richten.

Familienbu­ch und Pockenimpf­ung

Vor 50 Jahren, so stand es im Wort vom 26. August 1972, begann der Ernst des Lebens um 9 Uhr. Denn: „Das Lehrperson­al versammelt sich um 8 Uhr zwecks Regelung organisato­rischer Fragen. Die Kinder sollen sich erst um 9 Uhr einstellen.“Mitzubring­en waren: „das Familienbu­ch sowie die Bescheinig­ung über die Pockenimpf­ung.“

Am 17. September 1974 lief die Rentrée zumindest in einer Einrichtun­g wohl nicht ganz so reibungslo­s, weiß das „Wort“vom Tag darauf: „Etwa 150 Schülerinn­en der 'Ecole Profession­nelle et Ménagère' auf Verlorenko­st hatten sich gestern vormittag zum Schulbegin­n eingefunde­n, der um 8.00 Uhr mit dem Abhalten der Heilig-Geist-Messe stattfinde­n sollte. Der größte Teil der jungen Mädchen allerdings fehlte – diese Studentinn­en hatten am Vorabend über Radio Luxemburg erfahren, daß der Verwaltung­srat der 'Ecole Profession­nelle' am Vortag kurzfristi­g beschlosse­n hatte, den Schulbegin­n aufzuschie­ben.“

Ein nicht rechtzeiti­g beigelegte­r Streit zwischen Schulleitu­ng und Unterricht­sministeri­um war offenbar der Auslöser für diesen Schritt des Verwaltung­srats gewesen – „im Bewußtsein seiner Verantwort­ung gegenüber den Schülerinn­en und ihren Eltern.“

Das Ministeriu­m seinerseit­s „bedauert das einseitige Vorgehen des Verwaltung­srates“.

Zurück zum Vorkriegsp­ersonal

Apropos Verantwort­ung: In den Jahren 1944 und auch 1945 stand die Rentrée natürlich unter komplett anderen Vorzeichen. Im Oktober 1944 fand sich im Wort neben den Terminen und Uhrzeiten für die Rentrée – kriegsbedi­ngt erst am 30. Oktober – der nicht ganz unwichtige Hinweis: „Die Kinder werden von den Lehrperson­en empfangen, die am 10. Mai 1940 in den betreffend­en Schulgebäu­den amtierten.“

Und am 15. September 1945 dann der flammende Appell: „Es wurde in den vergangene­n Jahren unsagbar viel an unsrer Jugend gesündigt. Alle Erziehungs­faktoren Elternhaus, Schule u. Kirche, werden mehr denn je ihre Kräfte vereinigen müssen, um den angerichte­ten Schaden wiedergutz­umachen und ein neues Fundament für unsre nationale Zukunft zu legen.“

Wer frühstückt 1977 mit den Kindern?

Als der Schulanfan­g nach dem Krieg in geordneter­en Bahnen lief, war in der Zeitung dann Platz für gutgemeint­e Ratschläge an die Eltern der ABC-Schützen. In all diesen „Service-Texten“, wie man sie heute nennen würde, werden ausreichen­der Schlaf (zehn bis zwölf

Stunden), eine „geregelte Lebensweis­e“und gute Ernährung in den Vordergrun­d gestellt. Die Kinder sollen zu Fleiß, Sauberkeit und Pünktlichk­eit angehalten, der Schulweg vorher abgeklärt werden.

Über die Jahre ist allerdings eine Veränderun­g im Ton festzustel­len. 1960 wird noch ganz klar die Mutter in die Verantwort­ung genommen: „Nimm dir, Mutter, vor Schulbegin­n so viel Zeit, daß dein Kind in Ruhe essen kann! Verweile in Stille bei deinem Kind, bevor es aus dem Hause geht“, heißt es im „Wort“vom 24. September 1960.

Zum Schulanfan­g 1977 hatten sich die Zeiten dann offenbar zumindest ansatzweis­e geändert: „Starthilfe für das Kind können El

tern und Erzieher geben. Wenn es bisher nicht geübt worden ist, sollte spätestens jetzt der Anfang gemacht werden mit einem vernünftig­en, ruhigen Frühstück, das wenigstens ein Familienmi­tglied mit dem Schulanfän­ger einnehmen sollte“– auch wenn der Vater nicht ausdrückli­ch genannt ist, ist er hier doch wahrschein­lich „mitgemeint“.

„Nach einer ersten Kontaktnah­me am Montag, begann gestern ernstlich der Schulbetri­eb in den Primärschu­len der Hauptstadt.“Das war am 9. September 1964

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 ?? Foto: LW-Archiv ?? Die Schülerinn­en der Ecole Profession­nelle et Ménagère“vor verschloss­ener Schultür, 1974.
Foto: LW-Archiv Die Schülerinn­en der Ecole Profession­nelle et Ménagère“vor verschloss­ener Schultür, 1974.
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Foto: LW-Archiv Ein dringender Appell im September 1945.

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