Miteinander, statt nebeneinander
Sozialer Zusammenhalt: Die Politik muss die Weichen stellen und die Bevölkerung muss mitmachen
Es gibt Begriffe, mit denen sich politische Reden gut schmücken lassen. Sie klingen toll, sind aber ohne Kontext schwer greifbar. „Sozialer Zusammenhalt“ist ein solches Beispiel. Mehrfach taucht das Konstrukt im Koalitionsabkommen auf. Es gilt, den sozialen Zusammenhalt auf vielen Ebenen zu stärken. Doch was bedeutet das? Wo muss angesetzt werden? Und wie?
In seinem Aktionsplan definiert der Europarat soziale Kohäsion als „die Fähigkeit einer Gesellschaft, das Wohlergehen all ihrer Mitglieder zu sichern und durch Minimierung von Ungleichheiten und Vermeidung von Marginalisierung Unterschiede und Spaltung zu bewältigen sowie die Mittel zur Erreichung des Wohlergehens aller zu gewährleisten“. Die Einbindung der Bürgerinnen und Bürger wird als wesentliches Element angeführt.
Chancengleichheit als wesentliches Element
Für die Grünen-Politikerin Djuna Bernard bedeutet sozialer Zusammenhalt, „dass Menschen nicht ausgegrenzt werden, dass wir ein Miteinander haben und dass jeder die gleichen Startmöglichkeiten hat“. Die Politik sei gefordert, wenn es um Menschen gehe, denen die Teilhabe an der Gesellschaft schwerfalle, sei es aufgrund der Sprache, einer Behinderung oder aus finanziellen Gründen. Deshalb gelte es, an vielen Schrauben zu drehen, etwa im Bereich der Schule, der Barrierefreiheit sowie auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt, sagt die Co-Parteipräsidentin der Déi Gréng.
„Da Luxemburg so multikulti ist, besteht das Risiko, dass sich Blasen bilden, dass die unterschiedlichen Gemeinschaften keinen Zugang zueinander finden oder sogar Parallelgesellschaften entstehen. Um dagegen zu steuern, müssen Räume und Möglichkeiten geschaffen werden, wo sich Menschen begegnen können“, so Djuna Bernard.
„Bereits im Urbanismus muss angesetzt werden. Es sollten keine Viertel entstehen, in denen nur Luxemburger, Expats oder bestimmte Nationalitäten leben. Wir wollen eine Mixität, und die beginnt bereits in der Wohnbaupolitik, indem etwa erschwinglicher Wohnraum in neuen Vierteln eingeplant wird“, führt sie weiter aus.
Passiert genug auf politischer Ebene, um diese Ziele zu erreichen? „Das Thema zieht sich durch viele Tätigkeitsbereiche der Politik, die auch ganz klar in diese Richtung arbeitet. Die Stärkung des Zusammenhalts in der Gesellschaft
ist eine Herausforderung, die nie aufhört. Politische Anreize sind die eine Sache, aber die Gesellschaft, also die Menschen müssen auch mitziehen“, findet die Grünen-Abgeordnete. „Es geht in die richtige Richtung“, ist sie sich sicher.
Beim interkulturellen Zusammenhalt hapert es
Und was denkt die Zivilgesellschaft? Im Gespräch mit dem „Luxemburger Wort“blickt Philippe Eschenauer aus einer interkulturellen Perspektive auf das Thema. Innerhalb der Agence Interculturelle der ASTI ist er zuständig für die Beratung der Gemeinden im Bereich Interkulturalität, Diversität und Zusammenleben. Den Kontakt zwischen den Gemeinschaften bewertet er als „nicht gut“. „Es entsteht keine Vermischung. Durch bauliche Fehlplanung kommt es in einzelnen Vierteln oft zu einer Konzentrierung bestimmter Nationalitäten. Das ist Gift für den sozialen Zusammenhalt“, bringt er es auf den Punkt.
Das Ganze müsse offensiv angegangen werden. „Wenn der soziale Zusammenhalt interkulturell nicht funktioniert, kann dies dazu führen, dass die Gesellschaft auseinanderbricht, besonders wenn weitere Probleme hinzukommen, wie jetzt die explodierenden Energiepreise oder die dramatische Situation auf dem Wohnungsmarkt. Allgemein müssen wir dahin kommen, die Multikulturalität und die Beteiligung der Ausländer im Gemeindewesen nicht als Bedrohung für die lokale Souveränität zu sehen, sondern als Bereicherung“, verdeutlicht Eschenauer.
Der Mitarbeiter der ASTI sieht unterschiedliche Instrumente, die dabei helfen könnten, das Miteinander zu verbessern. Über das klassische Vereinsleben beispielsweise. „So selbstverständlich ist es heute aber nicht mehr, Mitglied in einem Verein zu sein oder ins Dorfcafé zu gehen, geschweige denn zur Messe. Kontakte werden nicht mehr so leicht geknüpft. Durch die sozialen Medien oder allgemeiner die Verbreitung von Smartphones, Streamingdiensten und so weiter kann man die ganze Welt vom Sofa aus erleben. Man muss gar nicht mehr vor die Tür“, bedauert er.
Impulse von außen sind nötig
Die Frage drängt sich auf, ob dieser Zusammenhalt überhaupt gewollt ist. Leben wir nicht vielmehr in einer Gesellschaft, in der jeder lieber für sich ist, wo wir nebeneinander, statt miteinander leben? Philippe Eschenauer überlegt. „Es geht nicht von selbst. Das ist auch uns bei der ASTI klar, immerhin beschäftigen wir uns seit Jahren mit Themen wie Tiers-lieux oder partizipativen Projekten. Man muss es wollen, und es muss von der Politik geleitet werden“, hält er fest.
Stichwort Bürgerbeteiligung: „Die Politik muss die Menschen ernst nehmen, sie einbinden, nach ihrer Meinung fragen, besonders auf kommunaler Ebene. Genau da muss der soziale Zusammenhalt gelebt werden. Menschen müssen das Gefühl haben, dass sie etwas geben können. Das scheint mir die Grundlage von allem zu sein.“
War der soziale Zusammenhalt also früher besser, als man sich noch im Bistro um die Ecke oder der Dorfépicerie traf? „Das hat sich ganz klar geändert, was auch mit der rapiden Bevölkerungsexplosion in Luxemburg zu tun hat, die zudem vielfältiger geworden ist. Unser soziales Leben ist heute ein anderes, als es das noch vor 30 Jahren war. Dennoch versuchen wir immer noch, der Problematik mit den gleichen Werkzeugen beizukommen“, antwortet der Mitarbeiter der ASTI.
Bereits bei der Landesplanung müssten die richtigen Weichen gestellt werden. Als Beispiel nennt Eschenauer das neue Viertel Elmen – quasi ein ganz neues Dorf für 2 000 Einwohner, das in der Gemeinde Kehlen entsteht. Dafür verantwortlich zeichnet die Société Nationale des Habitations à Bon Marché (SNHBM). „Erst auf Intervention der Gemeinde hin wurde dafür gesorgt, dass dort auch ein Ort entsteht, wo sich die Einwohner treffen können. Das muss von Anfang an mitgedacht werden, sonst schafft man Ghettos.“Zu oft werde der alleinige Fokus auf die Schaffung von Wohnraum gerichtet, kritisiert er. „Die Frage, welche baulichen Maßnahmen es braucht, damit die Menschen dort auch wirklich zusammenfinden, wird vernachlässigt.“
Vor dieser Herausforderung steht auch der Fonds Kirchberg permanent. Der Stadtteil erlebt eine rasante Entwicklung. Unzählige Büro- und Wohnprojekte werden in den nächsten Jahren hinzukommen, ja sogar ein komplett neues Stadtviertel (Kuebebierg) mit Wohnungen für 7 000 Einwohner.
Ein wesentlicher Anteil davon wird erschwinglicher und sozialer Wohnraum sein. Entstehen sollen zudem „espaces de rencontre et de partage collectif“.
Raum für den Austausch auf Kirchberg
„Überlegungen, wie der Städtebau zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts beitragen kann, begleiten nahezu alle Projekte des Fonds“, bestätigt Direktor Marc Widong auf Nachfrage hin. Eine wichtige Rolle spiele dabei die Qualität des öffentlichen Raums und dessen Nutzungsvielfalt. „Es geht darum, Orte zu schaffen, wo die Menschen sich spontan und gerne aufhalten, die sie sich zu eigen machen, aber auch Räumlichkeiten, in denen sich unterschiedliche Gruppen gezielt zu gemeinsamen Aktivitäten treffen können. In einer multikulturellen und mehrsprachigen Bevölkerung, wie wir sie auf dem Kirchberg vorfinden, können die Bedürfnisse in dieser Hinsicht sehr unterschiedlich sein, was für den
Fonds eine besondere Herausforderung darstellt“, sagt Widong.
Um die Menschen aus der Nachbarschaft zusammenzubringen, laufen in manchen Vierteln bereits partizipative Projekte, etwa in Form der roten Container mit der Aufschrift „Quartier Stuff“. Im Jahresbericht 2021 des Fonds Kirchberg werden sie als „Ort der Geselligkeit“beschrieben.
Katrijn van Damme, die als Quartiermanagerin das Bindeglied zwischen der Bevölkerung und dem Fonds ist, spricht von einem „Orientierungspunkt für Neuankömmlinge, die Kontakte knüpfen und sich in ihrer Nachbarschaft engagieren wollen“. Die erste „Quartier Stuff“wurde vor rund acht Jahren im Viertel Grünewald eingerichtet, eine weitere 2021 „um Kiem“.
Die Bilanz der Quartiermanagerin im Jahresbericht fällt durchweg positiv aus: „Die Mitglieder der Quartier Stuff Grünewald haben sich als gemeinnütziger Verein organisiert und sich enorm in die Entwicklung ihres Viertels eingebracht“. Maßgeblich seien sie
Da Luxemburg so multikulti ist, besteht das Risiko, dass Parallelgesellschaften entstehen. Djuna Bernard, Déi Gréng