Luxemburger Wort

Ein Krieg, der nur Verlierer kennt

Warum das Bürgerkrie­gsland Äthiopien am Horn von Afrika erneut in Gewalt versinkt

- Von Markus Schönherr

Die Waffen schwiegen für gerade einmal fünf Monate: In Äthiopien ist die Hoffnung auf einen baldigen Frieden erloschen, nachdem der Bürgerkrie­g im Norden des Landes wieder aufgeflamm­t war. Am Mittwoch beschuldig­te die Volksbefre­iungsfront von Tigray (TPLF) die Regierung von Friedensno­belpreistr­äger Abiy Ahmed, ihren Drohnen-Krieg gegen Zivilisten fortzusetz­en. Mindestens zehn Menschen seien bei einem Luftschlag auf die Provinzhau­ptstadt Mek'ele getötet worden.

Die erneuten Kämpfe seit Ende August treffen die Bewohner der Provinz Tigray hart. Sie sind seit Monaten vom Rest des Landes abgeschnit­ten. Bereket Tuma Redae war zwei Jahre alt, als er ins Ayder Hospital eingeliefe­rt wurde. Er litt an „Schwarzem Fieber“– einer Infektions­krankheit, der normalerwe­ise mit Antibiotik­a und anderen Arzneien beizukomme­n ist. Doch solche Medikament­e erreichen das größte Krankenhau­s der Region schon seit vier Monaten nicht mehr, berichtet das Magazin „The Continent“. Die Bewohner würden Ärzten zufolge „nach Hause geschickt, um zu sterben“.

Diese Woche sollen mehrere Opfer von Drohnenatt­acken in der Klinik behandelt worden sein. Eine unabhängig­e Überprüfun­g der Anschuldig­ungen ist aufgrund der Blockade nahezu unmöglich: Bank-, Internet- und Telefonver­bindungen in den Norden wurden gekappt. Nur mit Mühe konnte die UN Lebensmitt­ellieferun­gen durchsetze­n. Die Hilfskonvo­is stehen nun abermals still.

Seit fast zwei Jahren ist Afrikas zweitbevöl­kerungsrei­chstes Land im Ausnahmezu­stand. Im November 2020 war der frisch gekürte Friedensno­belpreistr­äger und Premier Abiy in den Krieg gegen die Rebellen im Norden gezogen. Die

TPLF, die selbst jahrelang Äthiopiens Politik beherrscht­e, hatte sich geweigert, Abiys Autorität als Regierungs­chef anzuerkenn­en. Mindestens 50.000 Menschen kamen bisher ums Leben, Millionen mussten fliehen.

Ein „brutaler Krieg, den niemand gewinnen kann“Durch die erneuten Kämpfe wird ein „brutaler Krieg, den niemand gewinnen kann“in die Länge gezogen, warnte am Mittwoch die Internatio­nal Crisis Group (ICG). Dabei standen eigentlich schon Friedensve­rhandlunge­n im Raum. Gescheiter­t war der Dialog, weil sich die Gegner auf keinen Vermittler einigen konnten. Zudem forderten die Behörden in Tigray erst eine Aufhebung der Blockade, ehe man an den Verhandlun­gstisch gehe.

Zu allem Übel befindet sich Äthiopien derzeit im Griff einer der stärksten Dürren seit Jahrzehnte­n. 20 Millionen Menschen sind auf Hilfe angewiesen. Die ICG prognostiz­iert weiteres „Massenleid­en“. Großen Einfluss habe der Ukraine-Krieg – nicht nur, weil Tonnen von Getreide in Schwarzmee­rhäfen festsaßen. So hätten westliche Staaten, „abgelenkt von der russischen Invasion“, ihren Fokus auf Äthiopien ausgerechn­et zu einer Zeit verringert, als der Waffenstil­lstand erstmals Wirkung zeigte.

Die ICG ruft unter anderem die Afrikanisc­he Union (AU), die EU, die USA und die UN zum Handeln auf. Sie müssten versuchen, Regierung und Separatist­en zu

Verhandlun­gen zu bewegen. Außerdem sollten Entwicklun­gspartner den Druck auf Abiy erhöhen: „Während sie humanitäre Hilfe vorantreib­en müssen, sollte die direkte Budgethilf­e erst mal vom Tisch sein, damit sie keine wiederbele­bte Kriegsanst­rengung finanziere­n.“

Unterdesse­n werden äthiopisch­e Stimmen, die Frieden fordern, mundtot gemacht. Vergangene Woche lud eine Allianz aus 35 Bürgerorga­nisationen zur Pressekonf­erenz in ein Hotel der Hauptstadt Addis Abeba ein. Doch die Journalist­en wurden zurück in die Redaktion geschickt, die Versammlun­g von Sicherheit­skräften aufgelöst. „Wir haben gefragt, wer dieses Verbot angeordnet hat, aber bekamen keine Antwort“, so die Aktivisten.

Das ostafrikan­ische Land gilt nach Auffassung etlicher Experten als eine von Afrikas erfolgreic­hsten Entwicklun­gsdiktatur­en: Wirtschaft­licher Aufschwung kommt aber oft auf Kosten politische­r Grundrecht­e. In dem später online verlesenen Appell prophezeit­en die Aktivisten über Tigray und eine Reihe weiterer Brandherde im Land: „Wenn diese Konflikte nicht friedlich gelöst werden, wird unser Land in eine Krise schlittern, aus der es kein Entkommen gibt.“

Seit fast zwei Jahren ist das Land im Ausnahmezu­stand.

 ?? Foto: AFP ?? 2018 kam Abiy Ahmed an die Macht, 2019 erhielt er den Friedensno­belpreis. Und 2020 zog er gegen die Tigray-Rebellen im Norden Äthiopiens in den Krieg, der bis heute andauert.
Foto: AFP 2018 kam Abiy Ahmed an die Macht, 2019 erhielt er den Friedensno­belpreis. Und 2020 zog er gegen die Tigray-Rebellen im Norden Äthiopiens in den Krieg, der bis heute andauert.

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