Ein Krieg, der nur Verlierer kennt
Warum das Bürgerkriegsland Äthiopien am Horn von Afrika erneut in Gewalt versinkt
Die Waffen schwiegen für gerade einmal fünf Monate: In Äthiopien ist die Hoffnung auf einen baldigen Frieden erloschen, nachdem der Bürgerkrieg im Norden des Landes wieder aufgeflammt war. Am Mittwoch beschuldigte die Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) die Regierung von Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed, ihren Drohnen-Krieg gegen Zivilisten fortzusetzen. Mindestens zehn Menschen seien bei einem Luftschlag auf die Provinzhauptstadt Mek'ele getötet worden.
Die erneuten Kämpfe seit Ende August treffen die Bewohner der Provinz Tigray hart. Sie sind seit Monaten vom Rest des Landes abgeschnitten. Bereket Tuma Redae war zwei Jahre alt, als er ins Ayder Hospital eingeliefert wurde. Er litt an „Schwarzem Fieber“– einer Infektionskrankheit, der normalerweise mit Antibiotika und anderen Arzneien beizukommen ist. Doch solche Medikamente erreichen das größte Krankenhaus der Region schon seit vier Monaten nicht mehr, berichtet das Magazin „The Continent“. Die Bewohner würden Ärzten zufolge „nach Hause geschickt, um zu sterben“.
Diese Woche sollen mehrere Opfer von Drohnenattacken in der Klinik behandelt worden sein. Eine unabhängige Überprüfung der Anschuldigungen ist aufgrund der Blockade nahezu unmöglich: Bank-, Internet- und Telefonverbindungen in den Norden wurden gekappt. Nur mit Mühe konnte die UN Lebensmittellieferungen durchsetzen. Die Hilfskonvois stehen nun abermals still.
Seit fast zwei Jahren ist Afrikas zweitbevölkerungsreichstes Land im Ausnahmezustand. Im November 2020 war der frisch gekürte Friedensnobelpreisträger und Premier Abiy in den Krieg gegen die Rebellen im Norden gezogen. Die
TPLF, die selbst jahrelang Äthiopiens Politik beherrschte, hatte sich geweigert, Abiys Autorität als Regierungschef anzuerkennen. Mindestens 50.000 Menschen kamen bisher ums Leben, Millionen mussten fliehen.
Ein „brutaler Krieg, den niemand gewinnen kann“Durch die erneuten Kämpfe wird ein „brutaler Krieg, den niemand gewinnen kann“in die Länge gezogen, warnte am Mittwoch die International Crisis Group (ICG). Dabei standen eigentlich schon Friedensverhandlungen im Raum. Gescheitert war der Dialog, weil sich die Gegner auf keinen Vermittler einigen konnten. Zudem forderten die Behörden in Tigray erst eine Aufhebung der Blockade, ehe man an den Verhandlungstisch gehe.
Zu allem Übel befindet sich Äthiopien derzeit im Griff einer der stärksten Dürren seit Jahrzehnten. 20 Millionen Menschen sind auf Hilfe angewiesen. Die ICG prognostiziert weiteres „Massenleiden“. Großen Einfluss habe der Ukraine-Krieg – nicht nur, weil Tonnen von Getreide in Schwarzmeerhäfen festsaßen. So hätten westliche Staaten, „abgelenkt von der russischen Invasion“, ihren Fokus auf Äthiopien ausgerechnet zu einer Zeit verringert, als der Waffenstillstand erstmals Wirkung zeigte.
Die ICG ruft unter anderem die Afrikanische Union (AU), die EU, die USA und die UN zum Handeln auf. Sie müssten versuchen, Regierung und Separatisten zu
Verhandlungen zu bewegen. Außerdem sollten Entwicklungspartner den Druck auf Abiy erhöhen: „Während sie humanitäre Hilfe vorantreiben müssen, sollte die direkte Budgethilfe erst mal vom Tisch sein, damit sie keine wiederbelebte Kriegsanstrengung finanzieren.“
Unterdessen werden äthiopische Stimmen, die Frieden fordern, mundtot gemacht. Vergangene Woche lud eine Allianz aus 35 Bürgerorganisationen zur Pressekonferenz in ein Hotel der Hauptstadt Addis Abeba ein. Doch die Journalisten wurden zurück in die Redaktion geschickt, die Versammlung von Sicherheitskräften aufgelöst. „Wir haben gefragt, wer dieses Verbot angeordnet hat, aber bekamen keine Antwort“, so die Aktivisten.
Das ostafrikanische Land gilt nach Auffassung etlicher Experten als eine von Afrikas erfolgreichsten Entwicklungsdiktaturen: Wirtschaftlicher Aufschwung kommt aber oft auf Kosten politischer Grundrechte. In dem später online verlesenen Appell prophezeiten die Aktivisten über Tigray und eine Reihe weiterer Brandherde im Land: „Wenn diese Konflikte nicht friedlich gelöst werden, wird unser Land in eine Krise schlittern, aus der es kein Entkommen gibt.“
Seit fast zwei Jahren ist das Land im Ausnahmezustand.