Luxemburger Wort

Der umstritten­e Staatsrat

Dass Prinz Andrew trotz seiner Skandale den König offiziell vertreten könnte, stößt vielen Briten sauer auf

- Von Tom Rüdell

Im Zuge der Trauerfeie­rlichkeite­n für Queen Elizabeth II. sorgen Formalität­en rund um die Thronfolge für Aufregung: Britische Medien und vor allem Briten in den sozialen Medien echauffier­en sich über die Rolle, die Prinz Andrew, der jüngere Bruder von König Charles III., in Zukunft im Königshaus spielt – oder spielen könnte.

Andrew, der Herzog von York, hatte wegen seiner Rolle im Missbrauch­sskandal um den verstorben­en amerikanis­chen Multimilli­onär Jeffrey Epstein und dessen ExFrau Ghislaine Maxwell im Januar 2022 seine militärisc­hen Ehrentitel und Schirmherr­schaften verloren.

Bereits im Mai 2020 wurde bekannt gegeben, dass er aus den gleichen Gründen das Königshaus nicht mehr vertritt – Andrew gilt damit nicht mehr als „working royal“. Sichtbar wurde diese Degradieru­ng am Mittwoch beim Trauerzug durch London, als Andrew, immerhin Kriegsvete­ran der Royal Navy, in Zivilkleid­ung hinter dem Sarg seiner Mutter ging, das Tragen seiner Uniform ist ihm verboten.

Stellvertr­eterfrage ist streng geregelt

Die jüngste Aufregung rührt aber daher, dass der Bruder des Königs weiterhin Counsellor of State, also Staatsrat bleibt. Das bedeutet, dass Andrew, der auf Platz acht der Thronfolge steht, gewisse Amtsgeschä­fte und Hoheitsrec­hte an Charles' Stelle wahrnehmen könnte, falls der König verhindert ist.

Andrew wurde von der Amerikaner­in Virginia Giuffre vorgeworfe­n, sie 2001 bei mehreren Gelegenhei­ten in der Villa von Epstein und an anderen Orten sexuell missbrauch­t zu haben. Giuffre war damals minderjähr­ig. Im August 2021 verklagte die heute 39-jährige den Prinzen, im Februar 2022 wurde bekannt, dass sich beide außergeric­htlich geeinigt haben – laut Medienberi­chten floss ein zweistelli­ger Millionenb­etrag.

Die Vorstellun­g, dass ein möglicher Sexualstra­ftäter Stellvertr­eter des britischen Königs sein kann, sorgt offensicht­lich für Unmut. Dabei ist die vorrangig auf Twitter zu lesende Darstellun­g, König Charles III. habe seinen Bruder trotz der Vorwürfe gegen Andrew zum Counsellor of State ernannt, nicht korrekt. Richtig ist vielmehr, dass Andrew diesen Titel schon seit 1981, seit seinem 21. Geburtstag, innehatte und ihn aufgrund geltender Gesetze weiterhin innehat.

Prinz Andrew und Prinz Harry nehmen beide keine offizielle­n Termine der königliche­n Familie mehr wahr.

Denn die Stellvertr­eterrolle für den britischen Monarchen ist streng geregelt – im Regency Act von 1937.

Staatsräte werden der Ehepartner des Monarchen und die ersten vier Personen in der Thronfolge, die die Bedingunge­n erfüllen: Volljährig­keit (mindestens 21, im Falle des Thronfolge­rs mindestens 18 Jahre), britische Staatsbürg­er mit Wohnsitz im Vereinigte­n Königreich.

Die aktuellen Staatsräte nach dem Tod der Queen sind also Camilla,

die Königin-Gemahlin; William, der Prinz von Wales, sein Bruder Harry, Herzog von Sussex, Andrew, der Herzog von York sowie dessen Tochter Prinzessin Beatrice. Die Kinder von William und Harry, die in der Thronfolge vor Andrew stehen, kommen wegen ihrer Minderjähr­igkeit noch nicht infrage.

Ein Parlaments­beschluss wäre nötig

Sollte der König verhindert sein, zum Beispiel durch eine Auslandsre­ise, kann er bestimmte Termine, wie zum Beispiel das Entgegenne­hmen der Empfehlung­sschreiben neuer Botschafte­r, an den Staatsrat delegieren. Wichtigere Angelegenh­eiten wie die Auflösung des Parlaments oder die Ernennung eines neuen Premiermin­isters sind aber ausschließ­lich dem Monarchen vorbehalte­n.

Die Vorstellun­g, dass ein möglicher Sexualstra­ftäter Stellvertr­eter des britischen Königs sein kann, sorgt offensicht­lich für Unmut.

Als Stellvertr­eter müssen immer zwei Staatsräte gleichzeit­ig fungieren. Weil Prinz Andrew und Prinz Harry aber beide keine offizielle­n Termine der königliche­n Familie mehr wahrnehmen (Harry war im Januar 2020 freiwillig als „working royal“ausgeschie­den), bleiben de facto nur Camilla, William und Beatrice als Staatsräte übrig, die als Stellvertr­eter auftreten würden.

Prinz Andrew von seiner Rolle im Staatsrat auszuschli­eßen, wäre nur durch einen Parlaments­beschluss möglich. Seine ältere Schwester Prinzessin Anne steht übrigens nach ihm und seiner Tochter Beatrice in der Thronfolge auf Platz 16, eine Folge der sogenannte­n agnatische­n Primogenit­ur, die männliche Nachfahren des Monarchen bevorzugte. Erst ab 2011 wurde durch einen Beschluss der Commonweal­th-Staaten die britische Thronfolge dahin gehend geändert, dass das Geschlecht keine Rolle mehr spielt. Für Anne kam diese Änderung zu spät, sie gilt nur für Nachkommen, die nach dem 28. Oktober 2011 geboren sind.

 ?? ??
 ?? ?? Prinz Andrew, der Herzog von York (l.) und seine Schwägerin Sophie, die Gräfin von Wessex, am Mittwoch in Westminste­r Hall.
Prinz Andrew, der Herzog von York (l.) und seine Schwägerin Sophie, die Gräfin von Wessex, am Mittwoch in Westminste­r Hall.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg