Luxemburger Wort

Wenn Russland dazu gezwungen wird, zu improvisie­ren, dann ist Brachialge­walt das Mittel der Wahl.

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Aber was lässt sich ins Rennen führen, wenn diese „mehr Waffen“dann gezielt Depots voll mit noch mehr Waffen treffen, die Tausende töten hätten können?

Schach mit einem Land gespielt

Ohne westliche Militärhil­fe wäre die Ukraine heute vielleicht militärisc­h besetzt. Befriedet wäre sie nicht. Denn was Besetzung durch Russland bedeutet, zeigt sich im Süden und Osten der Ukraine: Folter, Filtration, ethnische Säuberunge­n und in Folge ein Guerillakr­ieg. Man stelle sich vor, was das auf dem gesamten Staatsgebi­et der Ukraine bedeuten würde. Das Land wäre ein gewaltiges Schlachtha­us. Und nach der Ukraine kämen wohl andere Staaten an die Reihe.

Wenn von der Ukraine die Rede ist, dann wirkt das oft, als würden Publizisti­nnen, Politiker oder Philosophe­n mit Hang zu politische­m Prophetent­um Schach spielen – und nicht von einem Land und seinen Bürgern reden, die einen eigenen Willen haben, einem Land, das seine eigenen Dynamiken und selbstvers­tändlich auch Fehler hat sowie seine berechtigt­en Sicherheit­sbedürfnis­se. Und letzteres vor allem angesichts eines Umstands: Dem, dass ihm sein Nachbar Russland mal aggressiv, mal weniger aggressiv das Existenzre­cht abspricht – seit Jahrhunder­ten.

Russlands Ziel in der Ukraine ist die Vernichtun­g der Ukraine. Und gegen Raketenwer­fer, Vakuumbomb­en, Streumunit­ion, Phosphor und Co. kann ein ziviler Widerstand, so ehrenhaft er auch sei, nichts ausrichten. Vor allem auch nicht gegen einen Gegner, der keine Scheu davor hat, auf Zivilisten zu schießen. Da versagen schlaue Sprüche wie: „Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin.“Weil zumindest einer schon hingegange­n ist. Und dieser eine dann tun kann, wie ihm beliebt. Da braucht es HIMARS, da braucht es Haubitzen, da braucht es Fahrzeuge und Unterstütz­ung mit Kommunikat­ionsmittel­n,

Schutzausr­üstung und Logistik. Nach wie vor. Und je mehr und je schneller, desto besser. Solange es in Moskau keinen echten Sinneswand­el gibt, inklusive substanzie­ller Aufarbeitu­ng des Geschehene­n und Etablierun­g einer Schuldkult­ur, kann es keine Normalisie­rung geben.

Fehleinsch­ätzungen

Zwei Jahrzehnte lang hatte der einstige KGB-Mann Putin als der gerissene Staatsmann gegolten, der alle vor sich her treibt. So wie der Vatikan in Jahrhunder­ten denkt der KGB in Jahrzehnte­n. Und es ist egal, ob er noch so heißt oder nicht. Das System und dessen Ziele sind dieselben. 2004 hat Putin den Zerfall der Sowjetunio­n als Tragödie bezeichnet. Da galt Putin im Westen als Hoffnungst­räger. 2008 hat er militärisc­h versucht, Georgien wieder auf Linie zu bringen – was man ihm praktisch ohne Folgen durchgehen ließ. 2014 die Annexion der Krim und der Einmarsch in der Ostukraine. Dann die de-facto Aneignung von Belarus. Jetzt der breite Angriff auf die Ukraine – eine Aktion, die allem Anschein nach seit Jahren geplant war. Mit der Dame nach vorne, hinein in die Deckung des Läufers, und Schach und Matt.

Putin ist ein Schachspie­ler der ganz alten Schule. In eine Reihe mit Peter dem Großen (1672 – 1725) hat er sich selbst gestellt. Aber auch Putin hat ohne einen entscheide­nden Faktor kalkuliert: die Ukrainer. Denn die Ukraine ist kein putziges „Kleinrussl­and“, in dem sich fein Schweinesp­eck mit eingelegte­n Gurken essen und ein Wässerchen trinken lässt. Für Putin ist Krieg Bühne zur Machtdemon­stration. Und Putin hat immer eine Bühne gesucht: in Tschetsche­nien, in Georgien, in Syrien, in der Ukraine. Menschenle­ben haben dabei nie eine Rolle gespielt. Und wenn Russland dazu gezwungen wird, zu improvisie­ren, dann ist Brachialge­walt das Mittel der Wahl. Der auf Putins Konto gehende zweite Tschetsche­nien-Krieg hat das ebenso bewiesen, wie es jetzt die Ukraine beweist.

Wenn Bahnhöfe, Einkaufsze­ntren, Theater, die als zivile Bunker dienen, Museen, Heizkraftw­erke

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Foto: AFP

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