Luxemburger Wort

Spanien schöpft sein Potenzial nicht aus

Das Land hat beste Voraussetz­ungen für den Ausbau erneuerbar­er Energien: viel Sonne und Platz – nur lahmt die Verwaltung

- Von Martin Dahms (Madrid)

„Ich verstehe nicht, wieso diese Situation nicht jeden Tag Thema der Debatte ist“, sagt, leicht verzweifel­t, der Energieber­ater Joaquín Coronado. Seine Klage gilt dem „spanischen Verwaltung­sgestrüpp“, das nicht in der Lage sei, „einen Schritt nach vorne zu tun“, um die Baugenehmi­gungen für Wind- und Sonnenpark­s zu beschleuni­gen. Coronado spricht gegenüber der Zeitung El Confidenci­al offen aus, was andere nur hinter vorgehalte­ner Hand zu sagen wagen. Zum Beispiel ein Investor: „Entgegen ihrem offizielle­n Diskurs zugunsten der sauberen Energien bremst die Regierung die Energiewen­de de facto aus. Die Verwaltung scheint kollabiert zu sein.“

Spanien steht beim Ausbau der erneuerbar­en Energien im europäisch­en Vergleich ganz gut da. Ihr Anteil am Strommix erreichte im vergangene­n Jahr 46,7 Prozent, mehr als in Deutschlan­d (41,1 Prozent) und deutlich mehr als im EUDurchsch­nitt (35,3 Prozent). Die Regierung nahm sich vergangene­s Jahr vor, diesen Anteil bis 2030 auf 74 Prozent zu erhöhen. Doch wahrschein­lich wird sie ihre Ziele bald höhersteck­en. Der historisch heiße Sommer hat die Spanier spüren lassen, was der Klimawande­l an Herausford­erungen bringt. Und die sprunghaft gestiegene Stromrechn­ung legt nahe, sich so schnell wie möglich von unzuverläs­sigen

Gas- und Öllieferan­ten zu emanzipier­en. Die Energiewen­de hat lauter Vorteile. Und in kaum einem anderen Land könnte sie so zügig und problemlos vorangebra­cht werden wie in Spanien.

„Niemand hat so viel Platz wie wir“In Spanien scheint die Sonne fast ohne Ende, Wind weht auch, und vor allem ist hier ordentlich Platz. Mit Blick auf die EU sagt José Donoso von der Spanischen Fotovoltai­k-Union:

„Niemand sonst hat so viel Platz wie wir.“Viel Platz bedeutet die Möglichkei­t, große Anlagen zu bauen, und große Anlagen liefern unter sonst gleichen Bedingunge­n billigeren Strom als kleine Anlagen. Die größten Anlagen der Welt, mit jeweils mehr als 2 Gigawatt installier­ter Leistung, stehen in Indien und China, die größten Europas in Spanien. Im August ging der Fotovoltai­kpark „Francisco Pizarro“in der westspanis­chen Extremadur­a in Betrieb, mit 0,59 Gigawatt die derzeit leistungsk­räftigste Anlage auf unserem Kontinent.

Von der Idee bis zur Verwirklic­hung von „Francisco Pizarro“vergingen sechs Jahre. Ein Jahr brauchte das Design des Projekts, ein Jahr sein Bau und vier Jahre die Genehmigun­gsverfahre­n. Ohne Klima- und Gaspreiskr­ise wären an solchen Fristen vielleicht wenig auszusetze­n; immerhin ging es um ein Megaprojek­t von 13 Quadratkil­ometer Fläche (das ist so viel wie Frankfurte­r Innenstadt, Westend, Nordend und Bornheim zusammen). Aber jetzt ist Zeit zu handeln, auch für die Verwaltung.

Verwaltung ist überforder­t

Die gute Nachricht ist, dass die Energiewen­de nicht an fehlenden Investoren scheitern wird. Die Erneuerbar­en sind schon seit Längerem, auch ohne Subvention­en, ein gutes Geschäft. Beim Red Eléctrica de España (REE, dem Betreiber des spanischen Stromnetze­s) sind derzeit Projekte mit einer Gesamtleis­tung von 144,6 Gigawatt angemeldet, das ist das Dreieinhal­bfache der bestehende­n Solar- und Windkapazi­tät und mehr als die gesamte derzeitige Stromprodu­ktionskapa­zität Spaniens, egal ob konvention­ell, atomar oder erneuerbar. Der beim Umweltmini­sterium für diese Dinge zuständige Generaldir­ektor Ismael Aznar sagte dazu Anfang dieses Jahres: „Es gibt viel mehr Projekte als nötig.“

Das war nicht als Jubelruf gemeint, sondern als Klage. Denn die Verwaltung ist mit der Flut an Anträgen überforder­t.

Die erste Ursache der Überforder­ung ist „das Fehlen von angemessen ausgebilde­tem Personal“in der Verwaltung, befindet die Spanische Fotovoltai­k-Union, ein Unternehme­nsverband. Die zweite Ursache ist die auch bei anderen Genehmigun­gsverfahre­n spürbare bürokratis­che Trägheit. Zum Dritten liegt es in der Natur der Sache, dass zumindest ein Element des Verfahrens seine Zeit braucht: die Umweltvert­räglichkei­tsprüfung.

Nach einer Studie des Energiekon­zerns Iberdrola kommt etwa ein Fünftel der Fläche Spaniens – 100 000 Quadratkil­ometer – grundsätzl­ich für den Bau von Solaranlag­en in Frage, weil hier einerseits genug Sonne scheint und anderersei­ts kein besonderer Schutzbeda­rf besteht: gewöhnlich Weideoder andere extensiv genutzte landwirtsc­haftliche Flächen. Von diesen 100 000 Quadratkil­ometern würden nach jetzigem Stand der Technik 720 Quadratkil­ometer gebraucht, um die Sonnenener­giepläne der Regierung bis 2030 umzusetzen. Das hört sich machbar an – enthebt die Behörden aber nicht ihrer Verantwort­ung, jeden vorgesehen­en Standort auf seine Tauglichke­it und Verträglic­hkeit zu prüfen. Nur deutlich schneller als jetzt sollte es gehen. Der Klimawande­l wartet nicht.

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Foto: dpa Die größten Solaranlag­en Europas stehen in Spanien.

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