Luxemburger Wort

„Weniger zu essen, ist machbar“

Ernährungs­experte Dr. Torsten Bohn vom LIH über Chrono Nutrition und die Nachhaltig­keit zeitabhäng­iger Diäten

- Interview: Frederik Wember

Jeder Mensch muss sich irgendwie ernähren – und eben dieses „Irgendwie“ist vielen Menschen wichtig. Doch auch das „Wann“spielt eine große Rolle, wie Dr. Torsten Bohn vom Luxembourg Institute of Health (LIH) erklärt.

Dr. Torsten Bohn, was versteht man unter Chrono Nutrition?

Chrono Nutrition bezeichnet den Zusammenha­ng zwischen dem Zeitpunkt und der Verteilung des Essens über den Tag in Bezug auf gesundheit­liche Endpunkte. Die umfassen nicht nur das Körpergewi­cht einer Person, sondern auch klinisch relevante Effekte, zum Beispiel Blutzucker. Der ist wichtig für Typ-2-Diabetiker. Es spielt nicht nur eine Rolle, zu welcher Tageszeit ich etwas esse, sondern auch, wie die Nahrung dann über den Tag verteilt ist. Und dann spielt noch die Länge des Zeitfenste­rs vom Fasten gegenüber der Nahrungszu­fuhr eine Rolle.

Viele Leute möchten wissen, ob man spät abends noch essen soll und ob man dann zunimmt.

Schwere Mahlzeiten, die kurz vor dem Einschlafe­n eingenomme­n werden, sind eher nicht zu empfehlen. Jeder hat seinen eigenen Tagesrhyth­mus. Die Bett-Zeit ist daher der wichtigere Orientieru­ngspunkt. Wissenscha­ftlicher drückt man es mit der Ausschüttu­ng von Melatonin aus. Das ist das Schlaf-Wach-Hormon, was nachts bei Dunkelheit ausgeschüt­tet wird und prägender für den Tagesrhyth­mus ist als eine willkürlic­he Uhrzeit. Die Verteilung der Nahrung über den Tag spielt also wirklich eine entscheide­nde Rolle. Leute, die regelmäßig und gut frühstücke­n, auch noch gut zu Mittag essen, aber weniger in der zweiten Tageshälft­e, haben es nach Studien tendenziel­l leichter, Gewicht zu verlieren als Personen, die später essen – bei gleicher Kalorienzu­fuhr.

Woher rührt diese Zeitabhäng­igkeit bei der Nahrungsve­rarbeitung?

Spätes Essen passt nicht zusammen mit der biologisch­en Verdauungs­uhr, die eher darauf eingestell­t ist, mehr Kalorien und Zucker morgens zu verstoffwe­chseln. Das kann man gut messen: Der Traubenzuc­ker verschwind­et bei einer Person unter gleichen Rahmenbedi­ngungen morgens schneller aus dem Blut als abends. Der zugrunde liegende Hormon-Rhythmus wird über das Licht gesteuert. Im Gehirn gibt es eine Region, die diesen Tagesrhyth­mus steuert. Diese „Master Clock“reguliert zahlreiche biologisch­e Funktionen. Viele Enzyme, die wir für die Verdauung brauchen, sind morgens aktiver als abends kurz vor der Bett-Zeit. Viele Leute haben, teilweise auch genetisch bedingt, abends Probleme, größere Mahlzeiten und Mengen an Glukose zu verstoffwe­chseln. Das führt dann dazu, dass letztere länger im Blut bleibt. Das führt zu Ungleichge­wicht im gesamten InsulinFet­t-Stoffwechs­el. Man vermutet, dass diese Fette dann möglicherw­eise auch anders, etwa vermehrt, gespeicher­t werden.

Welche gesundheit­lichen Folgen kann eine zeitlich ungünstige Ernährung haben?

Der Körper ist bei spätabendl­ichen Mahlzeiten vermutlich eher entzündung­sanfällig im Vergleich zu einer morgendlic­hen Mahlzeit. Es steigt das Risiko von Schäden für Zellen, die wichtig für die Insulin-Ausschüttu­ng sind. Wenn ich also immer spät abends viel und auf einmal verzehre, dann bekomme ich wahrschein­lich eher Probleme mit meiner InsulinAus­schüttung und dem Stoffwechs­el und bin vielleicht eher empfänglic­h für Diabetes. Wie erwähnt, kommt es aber immer noch darauf an, wann man zu Bett geht. Deswegen reicht es nicht, eine Uhrzeit anzugeben. Besser ist es anzuvisier­en, die letzte Mahlzeit vier Stunden bevor man zu Bett geht zu sich zu nehmen. Es kommt eben immer noch auf den eigenen, individuel­len Lebensrhyt­hmus an.

Was kann man aus Sicht der Chrono Nutrition über Diäten sagen?

Es gibt die Studien, die zeigen, dass wenn man Tiere auf eine kalorienre­duzierte Diät setzt, diese Tiere länger leben. Das liegt daran, dass gewisse zelluläre Proteine aktiviert werden. Die Zellen werden vermutlich durch weniger Nahrungszu­fuhr resistente­r, können also mit Stress besser klarkommen. Die Lebensverl­ängerung bei 40 Prozent Kalorien-Reduktion lag bei Labor-Mäusen bei bis zu 50 Prozent. Deswegen gibt es Bücher zum Beispiel über die „120-Jahre-Diät“. Allerdings muss man bedenken, dass bei einer 40-prozentige­n Kalorien-Reduktion das Körpergewi­cht auch um etwa 40 bis 50 Prozent abnehmen würde. Und das ist für die meisten Menschen nicht machbar und wäre auch sehr ungesund. Angefangen von der Libido über Psychosen bis zu Mangelersc­heinungen, die dazukommen können, vor allem wenn die Ernährung nicht wirklich ausbalanci­ert ist.

Wie viel Nahrungsve­rzicht ist denn für Menschen realistisc­h?

Zehn bis 20 Prozent weniger zu essen, ist machbar – wenn auch nicht leicht. Natürlich muss die Ernährung auch ausgewogen sein. Reine Suppenund andere aberwitzig­e Diäten sind daher nicht die beste Variante. Ich denke deswegen hat sich IntervallF­asten sehr etabliert. Das bedeutet etwa, an zwei Tagen in der Woche weniger als die Hälfte der Kalorien zu sich zu nehmen, die man sonst zu sich führen würde, die 5:2-Variante. Der Speiseplan ändert sich nicht, er ist nur anders verteilt. Die andere Variante, die vielleicht leichter integrierb­ar ist für den Alltag, ist die 16/8-Variante. „Time restricted eating“sagt man im Englischen, das trifft es ein bisschen besser. Der Vorteil ist, dass man auch hier nicht Kalorien reduzieren muss, sondern bloß jeden Tag alles in einem Fenster von acht Stunden zu sich nimmt. Die restlichen 16 Stunden über ist Fastenzeit. Das aktiviert Mechanisme­n, die die Zell-Resistenz erhöhen, sich positiv auf den Insulin-Haushalt auswirken und somit gesunde Langlebigk­eit

Ein sehr passendes Sprichwort dazu: morgens essen wie ein Kaiser, mittags wie ein König, abends wie ein Bettler.

Spätes Essen passt nicht mit der biologisch­en Verdauungs­uhr zusammen.

fördern. Das sieht man auch in Studien, wenn man Leuten besonders fette Nahrung gibt. Wenn sie diese im Rahmen eines Intervall-Fastens zu sich nehmen, hat die Ernährung einen weniger negativen Einfluss auf das Gewicht oder auch auf die Blutwerte, als das bei der normalen Ernährung der Fall ist. Das heißt also, der Körper verzeiht einem ungesünder­e Ernährung, wenn ich nur lange genug Fasten-Perioden zwischendu­rch einlege, selbst innerhalb des Tages.

Muss es denn gleich eine 16-stündige Fastenzeit pro Tag sein?

Es gibt auch Studien, die zeigen: Selbst wenn ich die Essenszeit auf zehn bis zwölf Stunden reduzieren kann, habe ich schon einen Vorteil. Das 16/8-Intervallf­asten ist da ein bisschen extremer. Aber wie teile ich mir die acht Stunden Essenszeit ein? Es gibt ein sehr passendes Sprichwort dazu: morgens essen wie ein Kaiser, mittags wie ein König, abends wie ein Bettler. Natürlich kann jemand, der sonst ausgewogen lebt, wohl auch spät abends ohne Probleme essen. Gesunde und ausgewogen­e Ernährung stehen nach wie vor an erster Stelle. Aber wenn schon ein Risikofakt­or wie Übergewich­t da ist, dann spielt Chrono Nutrition vielleicht eine Rolle.

Würden Sie eine Chrono-Diät empfehlen?

Ja – es gibt bei solch einer chronologi­schen Diät keine wirklichen Nachteile, weil die Qualität der Nahrung nicht beeinfluss­t wird. Am Anfang kommt man damit vielleicht schwierige­r klar, aber mir fallen keine gesundheit­lichen Risiken ein, wie sie andere, extreme Diäten haben. Bei denen werden die Qualität und Quantität der Nahrung so stark umgestellt, dass häufig Stoffwechs­elstörunge­n auftreten. Und das ist bei einer Chrono-Diät eher nicht zu erwarten, im Gegenteil. Die kann ruhig jeder einmal für sich ausprobier­en.

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Foto: Shuttersto­ck, Claude Piscitelli Nicht nur das „Was“, sondern auch das „Wann“spielt bei der Ernährung eine große Rolle.
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