„Weniger zu essen, ist machbar“
Ernährungsexperte Dr. Torsten Bohn vom LIH über Chrono Nutrition und die Nachhaltigkeit zeitabhängiger Diäten
Jeder Mensch muss sich irgendwie ernähren – und eben dieses „Irgendwie“ist vielen Menschen wichtig. Doch auch das „Wann“spielt eine große Rolle, wie Dr. Torsten Bohn vom Luxembourg Institute of Health (LIH) erklärt.
Dr. Torsten Bohn, was versteht man unter Chrono Nutrition?
Chrono Nutrition bezeichnet den Zusammenhang zwischen dem Zeitpunkt und der Verteilung des Essens über den Tag in Bezug auf gesundheitliche Endpunkte. Die umfassen nicht nur das Körpergewicht einer Person, sondern auch klinisch relevante Effekte, zum Beispiel Blutzucker. Der ist wichtig für Typ-2-Diabetiker. Es spielt nicht nur eine Rolle, zu welcher Tageszeit ich etwas esse, sondern auch, wie die Nahrung dann über den Tag verteilt ist. Und dann spielt noch die Länge des Zeitfensters vom Fasten gegenüber der Nahrungszufuhr eine Rolle.
Viele Leute möchten wissen, ob man spät abends noch essen soll und ob man dann zunimmt.
Schwere Mahlzeiten, die kurz vor dem Einschlafen eingenommen werden, sind eher nicht zu empfehlen. Jeder hat seinen eigenen Tagesrhythmus. Die Bett-Zeit ist daher der wichtigere Orientierungspunkt. Wissenschaftlicher drückt man es mit der Ausschüttung von Melatonin aus. Das ist das Schlaf-Wach-Hormon, was nachts bei Dunkelheit ausgeschüttet wird und prägender für den Tagesrhythmus ist als eine willkürliche Uhrzeit. Die Verteilung der Nahrung über den Tag spielt also wirklich eine entscheidende Rolle. Leute, die regelmäßig und gut frühstücken, auch noch gut zu Mittag essen, aber weniger in der zweiten Tageshälfte, haben es nach Studien tendenziell leichter, Gewicht zu verlieren als Personen, die später essen – bei gleicher Kalorienzufuhr.
Woher rührt diese Zeitabhängigkeit bei der Nahrungsverarbeitung?
Spätes Essen passt nicht zusammen mit der biologischen Verdauungsuhr, die eher darauf eingestellt ist, mehr Kalorien und Zucker morgens zu verstoffwechseln. Das kann man gut messen: Der Traubenzucker verschwindet bei einer Person unter gleichen Rahmenbedingungen morgens schneller aus dem Blut als abends. Der zugrunde liegende Hormon-Rhythmus wird über das Licht gesteuert. Im Gehirn gibt es eine Region, die diesen Tagesrhythmus steuert. Diese „Master Clock“reguliert zahlreiche biologische Funktionen. Viele Enzyme, die wir für die Verdauung brauchen, sind morgens aktiver als abends kurz vor der Bett-Zeit. Viele Leute haben, teilweise auch genetisch bedingt, abends Probleme, größere Mahlzeiten und Mengen an Glukose zu verstoffwechseln. Das führt dann dazu, dass letztere länger im Blut bleibt. Das führt zu Ungleichgewicht im gesamten InsulinFett-Stoffwechsel. Man vermutet, dass diese Fette dann möglicherweise auch anders, etwa vermehrt, gespeichert werden.
Welche gesundheitlichen Folgen kann eine zeitlich ungünstige Ernährung haben?
Der Körper ist bei spätabendlichen Mahlzeiten vermutlich eher entzündungsanfällig im Vergleich zu einer morgendlichen Mahlzeit. Es steigt das Risiko von Schäden für Zellen, die wichtig für die Insulin-Ausschüttung sind. Wenn ich also immer spät abends viel und auf einmal verzehre, dann bekomme ich wahrscheinlich eher Probleme mit meiner InsulinAusschüttung und dem Stoffwechsel und bin vielleicht eher empfänglich für Diabetes. Wie erwähnt, kommt es aber immer noch darauf an, wann man zu Bett geht. Deswegen reicht es nicht, eine Uhrzeit anzugeben. Besser ist es anzuvisieren, die letzte Mahlzeit vier Stunden bevor man zu Bett geht zu sich zu nehmen. Es kommt eben immer noch auf den eigenen, individuellen Lebensrhythmus an.
Was kann man aus Sicht der Chrono Nutrition über Diäten sagen?
Es gibt die Studien, die zeigen, dass wenn man Tiere auf eine kalorienreduzierte Diät setzt, diese Tiere länger leben. Das liegt daran, dass gewisse zelluläre Proteine aktiviert werden. Die Zellen werden vermutlich durch weniger Nahrungszufuhr resistenter, können also mit Stress besser klarkommen. Die Lebensverlängerung bei 40 Prozent Kalorien-Reduktion lag bei Labor-Mäusen bei bis zu 50 Prozent. Deswegen gibt es Bücher zum Beispiel über die „120-Jahre-Diät“. Allerdings muss man bedenken, dass bei einer 40-prozentigen Kalorien-Reduktion das Körpergewicht auch um etwa 40 bis 50 Prozent abnehmen würde. Und das ist für die meisten Menschen nicht machbar und wäre auch sehr ungesund. Angefangen von der Libido über Psychosen bis zu Mangelerscheinungen, die dazukommen können, vor allem wenn die Ernährung nicht wirklich ausbalanciert ist.
Wie viel Nahrungsverzicht ist denn für Menschen realistisch?
Zehn bis 20 Prozent weniger zu essen, ist machbar – wenn auch nicht leicht. Natürlich muss die Ernährung auch ausgewogen sein. Reine Suppenund andere aberwitzige Diäten sind daher nicht die beste Variante. Ich denke deswegen hat sich IntervallFasten sehr etabliert. Das bedeutet etwa, an zwei Tagen in der Woche weniger als die Hälfte der Kalorien zu sich zu nehmen, die man sonst zu sich führen würde, die 5:2-Variante. Der Speiseplan ändert sich nicht, er ist nur anders verteilt. Die andere Variante, die vielleicht leichter integrierbar ist für den Alltag, ist die 16/8-Variante. „Time restricted eating“sagt man im Englischen, das trifft es ein bisschen besser. Der Vorteil ist, dass man auch hier nicht Kalorien reduzieren muss, sondern bloß jeden Tag alles in einem Fenster von acht Stunden zu sich nimmt. Die restlichen 16 Stunden über ist Fastenzeit. Das aktiviert Mechanismen, die die Zell-Resistenz erhöhen, sich positiv auf den Insulin-Haushalt auswirken und somit gesunde Langlebigkeit
Ein sehr passendes Sprichwort dazu: morgens essen wie ein Kaiser, mittags wie ein König, abends wie ein Bettler.
Spätes Essen passt nicht mit der biologischen Verdauungsuhr zusammen.
fördern. Das sieht man auch in Studien, wenn man Leuten besonders fette Nahrung gibt. Wenn sie diese im Rahmen eines Intervall-Fastens zu sich nehmen, hat die Ernährung einen weniger negativen Einfluss auf das Gewicht oder auch auf die Blutwerte, als das bei der normalen Ernährung der Fall ist. Das heißt also, der Körper verzeiht einem ungesündere Ernährung, wenn ich nur lange genug Fasten-Perioden zwischendurch einlege, selbst innerhalb des Tages.
Muss es denn gleich eine 16-stündige Fastenzeit pro Tag sein?
Es gibt auch Studien, die zeigen: Selbst wenn ich die Essenszeit auf zehn bis zwölf Stunden reduzieren kann, habe ich schon einen Vorteil. Das 16/8-Intervallfasten ist da ein bisschen extremer. Aber wie teile ich mir die acht Stunden Essenszeit ein? Es gibt ein sehr passendes Sprichwort dazu: morgens essen wie ein Kaiser, mittags wie ein König, abends wie ein Bettler. Natürlich kann jemand, der sonst ausgewogen lebt, wohl auch spät abends ohne Probleme essen. Gesunde und ausgewogene Ernährung stehen nach wie vor an erster Stelle. Aber wenn schon ein Risikofaktor wie Übergewicht da ist, dann spielt Chrono Nutrition vielleicht eine Rolle.
Würden Sie eine Chrono-Diät empfehlen?
Ja – es gibt bei solch einer chronologischen Diät keine wirklichen Nachteile, weil die Qualität der Nahrung nicht beeinflusst wird. Am Anfang kommt man damit vielleicht schwieriger klar, aber mir fallen keine gesundheitlichen Risiken ein, wie sie andere, extreme Diäten haben. Bei denen werden die Qualität und Quantität der Nahrung so stark umgestellt, dass häufig Stoffwechselstörungen auftreten. Und das ist bei einer Chrono-Diät eher nicht zu erwarten, im Gegenteil. Die kann ruhig jeder einmal für sich ausprobieren.