„Ein historischer Moment“
Das Staatsbegräbnis von Elizabeth II. hat hunderttausende Schaulustige angelockt
Schon wenn man aus dem Bahnhof tritt, merkt man, dass dies kein gewöhnlicher Tag für die Briten ist. Die Straßen bei der Waterloo Station, in denen es normalerweise von Menschen wimmelt, sind ausgesprochen ruhig. Viele Geschäfte haben die Läden heruntergelassen, nur einige Cafés sind offen. Die Westminster Bridge ist für den Autoverkehr gesperrt, Dutzende Polizisten und Sicherheitsleute gehen auf und ab und mustern die Leute genau. Dahinter stehen einige Fernsehteams und testen schon mal ihre Ausrüstung.
In Westminster findet am Montag ein Spektakel der Superlative statt. Laut Regierungsquellen ist es der größte internationale Event, den Großbritannien je organisiert hat. Rund 2 000 Gäste werden dem Staatsbegräbnis für Elizabeth II. beiwohnen, darunter fünfhundert Regierungschefs und Würdenträger aus dem Ausland.
Ein königliches Jahrhundertereignis
Hunderttausende Schaulustige wollen der Trauerprozession beiwohnen oder zumindest versuchen, einen Blick auf den Sarg der Queen zu erhaschen. Über 10 000 Polizisten sind im Einsatz, es ist die größte Sicherheitsoperation in der Geschichte der Metropolitan Police. Der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan ist sich sicher: „Ein solches Begräbnis hat die Welt noch nie gesehen.“
Auf der Westminster Bridge zieht sich um neun Uhr morgens ein noch eher kleiner Strom von Menschen in Richtung Buckingham Palast. Bald wird ihr Weg blockiert, der Zugang zum Parlament ist versperrt. Die Leute werden nach Norden verwiesen, sie sollen es über den Trafalgar Square versuchen. Harry Robertson und Laura Tweedie wissen nicht recht, wo es hingeht. „Wir folgen einfach mal den Leuten“, meint Robertson, 29, der einen Eimer-Hut in den Farben der britischen Flagge trägt. „Es ist ein Event, das nur einmal im Leben vorkommt“, sagt er, und Tweedie, 21, fügt hinzu: „Einen solch historischen Moment wollen wir nicht verpassen.“Eigentlich habe sie gar nicht erwartet, dass ihr der Tod der Queen so nahe gehen würde. „Aber als es dann passierte, war ich so traurig!“Deshalb wolle sie noch einmal der verstorbenen Monarchin ihren Respekt zollen.
Mittlerweile ist die Menschenmenge stark angewachsen, aus allen Gassen kommen die Leute und schließen sich dem Zug in Richtung Buckingham Palast an. Die Sicherheitsleute weisen die Leute an, stets in Bewegung zu bleiben, damit kein Stau entsteht. Ein junger Mann im Frack und mit schwarzer Krawatte eilt mit großen Schritten in die entgegengesetzte Richtung, er steht wohl auf der Gästeliste für den Gottesdienst. In der Mitte der Straße stehen Händler, die Union Jacks und Flaggen mit dem Bild der Queen verkaufen. Eine Frau mittleren Alters steht am Rand der Straße und verfolgt die BBC-Live-Übertragung auf ihrem Mobiltelefon.
In der Westminster Abbey, so erläutern die Moderatoren, macht man sich bereit für den Gottesdienst. Nach und nach treffen die Trauergäste ein: US-Präsident Joe Biden, der Kaiser von Japan, Großherzog Henri in Begleitung von Großherzogin Maria Teresa, die Premierminister von Neuseeland, Australien und Kanada – die Liste der Gäste ist lang und illuster. Kurz nach halb elf wird der Sarg der Queen von der Westminster Hall, wo er vier Tage lang aufgebahrt worden war, in die Abbey zur Abdankung befördert.
An Prunk ist die Trauerprozession kaum zu überbieten. Es blitzt und glänzt überall, goldverzierte Uniformen in allen Farben, dazu Federn, Bärenfellmützen, üppig geschmückte Pferde. Das ganze Zeremoniell hat etwas ausgesprochen Archaisches, man fühlt sich in eine andere Zeit zurückversetzt. Auf dem mit Blumen bestückten Sarg liegt ein samtenes Kissen, darauf ruht die Imperial State Crown, seit Jahrhunderten die Krone der britischen Monarchen. 142 Seeleute der Royal Navy ziehen die Lafette mit dem Sarg, dahinter folgen König Charles III. und die Familie der Queen.
Etwas weiter nördlich ist die Menschenmenge zum Buckingham Palast noch immer in Bewegung. Der Green Park ist gerade geschlossen worden, er habe die Kapazität erreicht, sagt der Polizist. Nur noch der Hyde Park bleibe, dort ist eine große Leinwand aufgebaut worden, auf der man die Ereignisse in
Ein solches Begräbnis hat die Welt noch nie gesehen. Der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan
der Kirche live mitverfolgen kann. Näher ran gehe es nicht – die Straßen, an denen der Trauerzug vorbeigehen wird, seien schon seit Stunden zum Bersten voll.
„Eine große Zäsur für
Großbritannien“
Viele Leute haben über Nacht gecampt, andere sind in den frühen Morgenstunden aufgetaucht, um einen Platz in der ersten Reihe zu ergattern.„Es ist ein großer Moment in der Geschichte des Landes“, sagt Rebecca King, 41, die zusammen mit ihren zwei Töchtern und ihrer Mutter gekommen ist. Beide Mädchen halten einen Union Jack in der Hand und sind sichtlich aufgeregt.
Die Familie ist aus Surrey gekommen, südlich der Hauptstadt London. Sie haben extra ein Hotel gebucht, um dem Ereignis näher zu sein. Sie wollten kurz die Atmosphäre auf der Straße einatmen, bevor sie sich im Hotelzimmer die Live-Übertragung im Fernsehen anschauen werden, sagt King. „Ich bewunderte die Queen sehr, ihr Tod bedeutet eine große Zäsur für Großbritannien.“Allerdings sei sie sich auch sicher, dass Charles III. einen guten Job machen werde – seine Auftritte in den vergangenen Tagen hätten sie sehr überzeugt. Vielleicht liege es auch an ihrem Nachnamen, dass sie eine Schwäche habe für den neuen König, fügt sie schmunzelnd hinzu.
In der Westminster Abbey fängt bald der Gottesdienst an. „Wenige Staatsoberhäupter sind mit so viel Liebe übergossen worden“wie die Queen, sagte Justin Welby, der Erzbischof von Canterbury, in seiner Predigt, die von einem Millionenpublikum zu Hause am Fern
Wenige Staatsoberhäupter sind mit so viel Liebe übergossen worden. Justin Welby, Erzbischof von Canterbury
2 000 Staatsgäste aus aller Welt haben gestern in der Londoner Westminster Abbey gemeinsam mit der Royal Family Abschied von Queen Elizabeth II. genommen, darunter Großherzog Henri (3. Reihe, 3. von rechts) und Großherzogin Maria Teresa (3. Reihe, 4. von rechts). seher mitverfolgt wird. Würdevolle Chorgesänge werden angestimmt, zum Schluss, nach zwei Schweigeminuten, folgt die Nationalhymne, „God Save our King“.
Auf der Prachtstraße Piccadilly, unweit des Buckingham Palast, sind gegen Mittag noch immer riesige Menschenmengen unterwegs. Ein Polizist, der seit 3 Uhr früh auf den Beinen ist, erklärt einem Touristen, dass er keine Chance habe, den Sarg zu sehen, er solle sich die Zeremonie am besten zu Hause anschauen.
Nach dem Gottesdienst in der Westminster Abbey geht der Sarg der Queen weiter in Richtung ihrer letzten Ruhestätte. Erneut sind die 142 Seeleute am Zug, die Lafette wird zu Fuß von der Westminster Abbey zum Hyde Park transportiert, zum Wellington Arch.
Die rotgekleideten Sargträger von der Grenadier-Garde hieven den Sarg in den Leichenwagen – das rötliche Gefährt, in der Farbe Royal Claret, wurde in Absprache mit der Queen gefertigt. Er wird die Überreste von Elizabeth II. nach Windsor fahren, wo einige Stunden später ein weiterer Gottesdienst stattfinden wird. Später am Abend wird die Queen im engeren Familienkreis neben ihrem Gatten Philipp beerdigt.