Auf den Spuren des Lommelshaff
Renelde Pierlot stellt die Frage nach der Zukunft eines Differdinger Bauerngehöfts und die der Zukunft der Landwirtschaft
Der Lommelshaff in Differdingen hat eine lange Geschichte. Zentral und noch im Herzen von Differdingen gelegen hat die Gemeinde den Hof vor Kurzem erworben und aufwendig renoviert. Einst war er ein konventioneller Betrieb mit Nutztierhaltung. Während des europäischen Kulturhauptstadtjahres finden hier Kulturveranstaltungen statt, ein 80 Quadratmeter großer Pavillon wurde errichtet. Doch was danach mit dem Hof geschieht, steht in den Sternen.
Das Stück „Lommelshaff – terre ferme“wird im Rahmen von Esch2022 präsentiert. Es ist als partizipatives Stück angelegt. „Das Publikum wird eingeladen zu einem Familientreffen, um über die Zukunft des Bauernhofs zu entscheiden. Im Stück treten Figuren auf, die Unterschiedliches mit dem Bauernhof vorhaben“, erzählt Renelde Pierlot. Sie führt Regie. Francesco Mormino hat das Stück geschrieben. „Ich glaube um das Jahr 2000 herum hat der Lommelshaff aufgehört, als Bauernhof zu funktionieren.“Eine der Figuren im Stück, die Bäuerin hat dort noch gearbeitet.
Lange Recherche im Vorfeld
Im Vorfeld haben Mormino und Pierlot zahlreiche Interviews geführt – mit Menschen, die die Familie Lommel kannten und mit Angehörigen, die noch auf dem Hof gelebt haben. Das enge Umfeld der Familie auf dem Lommelshaff (vormals Goullon-Haff) wurde so direkt miteinbezogen.
Der Hof wurde von der Familie Goullon gebaut und dann in Lommel eingeheiratet. „Die Familie Lommel ist hier im Land sehr wichtig gewesen. Da gab es Politiker und sogar einen Erzbischof“, hat Pierlot herausgefunden. Es war eine einflussreiche Bauernfamilie. Anfangs war es eine Spurensuche nach der Familiengeschichte. Im Zuge der Recherche wurde Pierlot klar, dass sie den Fokus ändern musste. So beschloss sie, die Landwirtschaft zum Thema zu machen.
Sprache(n)
Das gut eineinhalb Stunden andauernde Stück verstehen Frankophone am ehesten, aber es gibt auch Teile auf Luxemburgisch, Spanisch, Arabisch und Englisch.
Das Arabische im Stück sollte im Grunde Italienisch sein, weil der letzte Knecht, der auf dem Hof gearbeitet habe, Italiener war. „Ich fands schön über die Sprache, diese Migration zu thematisieren.“Dann habe sie aber einen Schauspieler gecastet, Mö Sbiri, der marokkanische Wurzeln hat und in Frankreich aufgewachsen ist. „Ich finde das interessant, welche Verbindungen da bestehen, sowie die Mexikaner in den USA ausgebeutet werden – unter anderem in der Landwirtschaft – sind es in Südeuropa die Marokkaner.“
Francesco Mormino spielt einen Bauern auf der französischen Seite der Grenze, der die Probleme von dort miteinbringt, Frédérique Colling eine Figur aus der Familie, die den Bauernhof umnutzen und dort etwas Pädagogisches machen möchte. Annette Schlechter spielt eine Großmutter, die scheinbar dement ist. Mit Doreen Salabert wurde zudem eine junge Schauspielerin gecastet, die die transgenerationelle Brücke zur Familie bildet. Sie spielt eine Figur, die Ideen wie Permakultur miteinbringt.
Als Leitmotive haben sich schließlich Ernährung und Agrikultur herauskristallisiert. „Während der Aufführung bekommen die Zuschauer ein vegetarisches Essen“, erzählt Pierlot. Daraufhin würden viele Menschen irritiert reagieren: „wie Bauernhof, wieso gibt es hier kein Fleisch?“Ausgehend davon gelangen wir zur zentralen Frage: Wie produzieren wir unser Essen? Welchen Footprint bringen unsere Lebensweise und Ernährung mit sich? Deswegen habe sie sich bewusst gegen Fleisch entschieden. „Die Agrikultur macht mehr als 30 Prozent der globalen Emissionen aus. Unsere Landwirtschaft anders zu denken und auszurichten würde wahrscheinlich sehr viel bewirken, was die globale Erwärmung betrifft“, gibt Pierlot zu bedenken.
Im Zuge der zahlreichen Interviews mit Landwirten in Belgien und Frankreich haben Mormino und Pierlot schnell gemerkt, dass „die in einem System gefangen sind, wo sie mehr Gelder bekommen, desto größere Flächen sie bewirtschaften.“Die Idee sei aber auf keinen Fall, mit dem Finger auf diese Bauern zu zeigen. Ihnen sei klargeworden, dass es angesichts der finanziellen Anreize der EU schwierig sei, die Landwirtschaft anders auszurichten.
Permakultur oder kleinere Flächen würden kaum finanziert von der GAP, den europäischen Fördergeldern für Agrikultur. Es gebe also wenig Anreize, landwirtschaftliche Flächen Bio und ökoresponsabel zu bewirtschaften. Es gebe kein breites Bewusstsein dafür, so Pierlot.
Demografischer Wandel
Zudem erweise sich das Altern der Gesellschaft in Westeuropa als Gefahr. In zehn Jahren seien diese Bauern fast alle über 50, so Pierlot. Dann würden diese Bauernhöfe frei und wenn es keinen Nachwuchs gebe, der das weiterführt, dann würden die aufgekauft, befürchtet die Regisseurin mit Verweis auf Bill Gates, der in den USA gerade radikal alle möglichen Agrarflächen aufkaufe. „Wenn wir da keine Entscheidung treffen, werden die entscheiden, wie wir uns ernähren“, urteilt die Regisseurin recht plakativ. Den Luxemburger Bauern ginge es vergleichsweise noch gut. „Sie wissen, dass sie, wenn sie ihre Ländereien verkaufen, auf ’ner Goldmine sitzen“, so Pierlot. Doch viele der Bauern hätten Existenzängste und fragten sich: Wenn wir unser Land oder Gut verkaufen, was machen wir dann? In Luxemburg sei es oft so, dass das Ehepaar nicht mehr den Bauernhof allein bewirtschafte und die Frau zum Beispiel in der Schule arbeite. Das Bauerndasein sei nicht mehr sehr lukrativ.
Apéro, Ortsbegehung
Die Problematik soll sich auf dem Lommelshaff kulinarisch und sinnlich über die Inszenierung erschließen. „Da wird draußen vor dem Pavillon ein Apéro getrunken. Es wird auf andere gewartet, die Verspätung haben. Die Cousine aus Amerika ...“Das ist natürlich kein Zufall, denn so bekomme man einen Blick über den Tellerrand – erfahre nicht nur etwas über Luxemburg. Man werde eingeladen in den Pavillon und bekomme dort eine Suppe. Anschließend präsentiere jeder Schauspieler seine Vision für den Bauernhof.
Visionen für den Bauernhof
So kommen in dem Stück unterschiedliche Stimmen vor. Jemand möchte eine Crèche daraus machen. Ein anderer möchte den Hof wieder als pädagogischen Bauernhof beleben. Ein weiterer möchte das Gut verkaufen, um zu investieren und wieder einer anderen stehe eine Art Kulturort vor Augen.
„Ich mache Theater, um mir Zeit zu nehmen, diese Fragen zu stellen und mich mit der Gesellschaft auseinanderzusetzen“, so Pierlot. Sie will keine Antworten vorgeben, Fragen aufzuwerfen findet sie interessanter.
Insgesamt wird das Stück sieben Mal gespielt, mit einer maximalen Zuschauerzahl von 30 Personen. Da das Stück draußen spielt, sollten sich die Zuschauer warm anziehen.
Das Publikum wird eingeladen zu einem Familientreffen, um über die Zukunft des Bauernhofs zu entscheiden. Renelde Pierlot
Lommelshaff. Terre ferme. Konzeption & Regie: Renelde Pierlot. Autor: Francesco Mormino. Premiere des Stücks ist am 27. September, um 19.30 Uhr in Differdingen. Das Stück wird noch am 28., 30. September und am 1., 2., 3. und 4. Oktober, um 19.30 Uhr auf dem Lommelshaff in Differdingen gespielt.
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