Luxemburger Wort

„Schulschwä­nzen nützt dem Klima nicht“

Bergsteige­rlegende Reinhold Messner und seine Frau Diane über Neider, den Tod und Greta Thunberg

- Interview: Philipp Hedemann

Zusammen mit seiner 35 Jahre jüngeren Frau Diane (DM) aus Luxemburg hat Bergsteige­rlegende Reinhold Messner (RM) ein Buch über den Sinn des Lebens und den Verzicht geschriebe­n. Im Interview sprechen die Messners unter anderem über toxische Menschen, die ihnen ihr Liebesglüc­k nicht gönnen, die Verantwort­ung, die Reinhold Messner für den Tod seines jüngeren Bruders trägt, und ihren Ärger über junge Klimaaktiv­isten.

Reinhold Messner, Ihr neues Buch, das Sie mit Ihrer Frau geschriebe­n haben, trägt den Titel „Sinnbilder“. Darin schreiben Sie, dass es wichtig ist, allem, was man tut, einen Sinn zu geben. Welchen Sinn hat das Extremberg­steigen?

RM: Weil das Extremberg­steigen so gefährlich und nutzlos ist, muss man ihm einen Sinn geben, sonst ist es nicht machbar.

Reicht das als Sinngebung, um sein Leben zu riskieren?

RM: Nein. Die Sinnfrage war – teilweise ist sie es noch immer – in unserer Kultur eine religiöse Frage. Denn bis vor rund 200 Jahren hat die Kirche postuliert, dass der Sinn von oben kommt. Während meiner Volksschul­zeit war der Sinn des Lebens, in den Himmel zu kommen. Und dann kam da so ein junger Bursche daher und fragte: „In welchen Himmel?“Das war damals eine Revolte in einem Südtiroler Bauerntal!

Es gibt aber auch andere Möglichkei­ten als das Bergsteige­n, um gegen Bevormundu­ng zu protestier­en …

RM: Natürlich. Die Sinnstiftu­ng ist eine ganz individuel­le Angelegenh­eit. Es liegt an mir, welchem Tun ich Sinn einhauche. Die Kirche sagt: Gott hat uns die Seele eingehauch­t. Ich habe mir durchs Klettern selber Sinn eingehauch­t, eine Protesthal­tung gegen jede Bevormundu­ng.

Diane Messner, Sie haben Ihren heutigen Mann vor vier Jahren zufällig in einem seiner Museen kennengele­rnt. Wie haben Sie sich in einen 35 Jahre älteren Mann verliebt?

DM: So wie sich jeder andere Mensch auch verliebt. Der Altersunte­rschied mag manchen ungewöhnli­ch vorkommen. Für mich ist das Interpreta­tionssache. Wir merken ihn nicht wirklich. Optisch natürlich schon, aber vom Wesen her nicht.

In Ihrem Buch schreiben Sie: „Unachtsamk­eit und Gutgläubig­keit ließen es immer wieder zu, dass sich toxische Menschen in unser Leben mischten.“Wer genau muss sich damit angesproch­en fühlen?

DM: Einige Menschen aus unserem unmittelba­ren Umfeld und unserer Familie. Es gibt einfach Menschen, die toxisch sind, die negativ sind, die absichtlic­h verletzen, um sich selbst aufzuwerte­n. Sie leiden aus unterschie­dlichsten Gründen – Bedürfniss­e, die nicht erfüllt werden oder Unzufriede­nheit – und sie möchten, dass man mitleidet. Sie hätten nichts dagegen gehabt, wenn unsere Beziehung gescheiter­t wäre. Diesen Menschen haben wir peu à peu Grenzen gesetzt.

Ihr Sohn Simon hat einmal gesagt, dass Sie als Vater „streng“und „abwesend“waren und dass es nicht leicht war, der Sohn einer Legende zu sein. Macht Sie das traurig?

RM: Was er gesagt hat, stimmt so nicht. Ich bin anfangs mit ihm klettern gegangen, auch wenn ich viel unterwegs war. Vielleicht hat Simon das gesagt, weil er auch gerne eine Karriere gehabt hätte, wie ich sie als Politiker und Vortragend­er gewagt habe.

Wie kam es 1970 zur größten Tragödie Ihres Lebens?

RM: Günther und ich hatten zusammen den Nanga Parbat bestiegen. Beim Abstieg über eine extrem schwierige Route ging es Günther nicht gut. Ich bin öfters ziemlich weit vorausgega­ngen, um zwischen den Gletschers­palten eine Route für den Abstieg zu finden. Um dem Bruder doppelte und dreifache Wege zu ersparen. Von überall kamen Eislawinen herunter. Als ich zurückkam und ihn nicht mehr fand, wurde mir klar, dass er von einem Eisfall verschütte­t worden war.

30 Jahre danach wurden seine sterbliche­n Überreste gefunden, die Ihre Version stützten. War das für Sie eine große Erleichter­ung?

RM: Da ich immer wusste, dass meine Version stimmt, war der Fund für mich nicht notwendig für den Beweis.

Fühlen Sie sich für den Tod Ihres Bruders verantwort­lich?

RM: Selbstvers­tändlich! Ohne mich wäre mein Bruder nicht am Nanga Parbat gestorben. Er war ursprüngli­ch gar nicht für die Expedition vorgesehen. Als zwei Kameraden ausfielen, hat mich der Expedition­sleiter gefragt, ob ich Ersatz wüsste. Da habe ich meinen Bruder genannt. Günther hat sich sehr gefreut.

Wieso fühlen Sie sich schuldig?

RM: Ich mache mir keine Selbstvorw­ürfe, aber ich übernehme die Verantwort­ung für den Tod meines Bruders. Ich war vom letzten Höhenlager zunächst alleine Richtung Gipfel aufgebroch­en. Mein Bruder ist mir aus freien Stücken nachgestie­gen. Aber ich war der ältere Bruder. Der ältere Bruder passt auf den kleinen Bruder auf. Das ist eine instinktiv­e Angelegenh­eit.

Waldbrände, Dürren, Gletschers­chmelze in den Alpen: Nicht erst seit dem letzten Hitze-Sommer spüren wir die Auswirkung­en der Klimaerwär­mung. Rächt die Natur sich für das, was wir ihr alles angetan haben?

RM: Nein! Die Natur rächt sich nicht. Die Natur ist nur da, sie ist absichtslo­s. Wir haben Absichten, Fehler können also nur wir machen. Natürlich, die globale Erwärmung ist ein Problem. Der Mensch hat mit der Aufklärung und durch die Industrial­isierung die Möglichkei­t erhalten, ganz anders zu produziere­n, fossile Brennstoff­e zu nutzen und ist so innerhalb von 200 Jahren reich geworden.

Also müssen wir uns nichts vorwerfen?

RM: Doch! Natürlich hätten wir früher anfangen sollen, zu korrigiere­n. Der Club of Rome hat schon früh vorausgesa­gt: Es wird eng, also schwierig! Aber es gab immer noch billige Energie und so ist der heutige Wohlstand entstanden. Und jetzt kommen junge Leute, die in diesem großartige­n Wohlstand groß geworden sind, und sagen, die Generation vor ihnen war eine verbrecher­ische! Aber diese paar Generation­en haben es doch überhaupt erst ermöglicht, dass die jungen Damen und Herren, die jetzt freitags die Schule schwänzen, protestier­en können!

Richtet sich Ihre Wut gegen Greta Thunberg?

RM: Nein, ich meine nicht Greta. Ich meine diese jungen Leute in der Summe. Sie sollen die aktuellen Probleme durchaus ansprechen, aber auch bedenken, aus welcher Position heraus sie es tun. Ich lasse mir von dieser Generation nicht nachsagen, dass wir die Erde mutwillig zerstört haben. Die jungen Leute sollten sich auf die Hinterfüße stellen, lernen und Technologi­en entwickeln, um im letzten Moment noch die notwendige­n Korrekture­n zu schaffen. Aber Schule zu schwänzen, nützt nachhaltig nicht. Zur Wahrheit gehört auch: Die Probleme sind nur lösbar, wenn wir Verzicht üben.

Der Altersunte­rschied ist Interpreta­tionssache. Wir merken ihn nicht. Diane Messner

Es gibt viele junge Leute, die zum Verzicht bereit sind. Sie essen kein Fleisch, sie fliegen nicht. Wollen Sie jungen Menschen die Bereitscha­ft zum Verzicht absprechen?

RM: Ich habe mit einigen jungen Leuten gesprochen. Wenn man ihnen sagt: „Schaut’s, ihr könnt das und das nur machen, weil ihr in diese Welt, in diesen Reichtum hineingebo­ren worden seid“, stehen sie auf, weinen und gehen. Sie sind nicht bereit, ernsthaft darüber zu reden.

Die jungen Leute sollten sich auf die Hinterfüße stellen. Reinhold Messner

Reinhold und Diane Messner: „Sinnbilder“ab 28. September, S. Fischer-Verlag, 192 Seiten, ISBN: 9783103971­699, 22€.

Freie verlegt, in Viertel wie Jardim Europa, wo ein Haus so groß ist wie ein Wohnblock und uniformier­te Dienstmädc­hen den Hund ausführen. Die Nobelviert­el geben auch den Bildern und den BilligKlam­otten einen gehobenen Anstrich.

100 Looks am Tag

Fast jeden Tag sind im Jardim Europa Models bei der Arbeit zu sehen. Fernanda und Lidya kommen zweimal in der Woche hierher, wo die Straßen nach europäisch­en Ländern benannt sind, in die Rua Suécia. Fernanda und Lidya defilieren in engen Jeans und knappen Tops auf dem Bürgerstei­g wie auf einem Laufsteg, posen vor Mauern und Toren der Häuser. Sie teilen sich einen Fotografen, Lidyas Ehemann. Während die eine sich in dem Campingzel­t umzieht, führt die andere vor der Kamera Outfits vor.

Die Masse macht’s wie im Brás auch bei den Fotos: Die Models fotografie­ren im Durchschni­tt bis zu 100 Looks am Tag, wie Paloma, die selbsterna­nnte „Lady des Brás“, erzählt. „Nur dann lohnt es sich.“Für ein Foto bekommen sie und die anderen je nach Qualität, Location, Accessoire­s und Beliebthei­t in sozialen Netzwerken durchschni­ttlich bis zu 70 Reais (umgerechne­t rund 15 Euro). Paloma, die mehr als 100 000 Follower auf Instagram vorweisen kann, verdient nach eigenen Angaben bis zu 20 000 Euro im Monat.

Dabei sind Fernanda, Lidya und Paloma quasi jeweils ihre eigene Ein-Frau-Agentur, die vielzählig­e Aufgaben übernimmt und sich vom Outfit bis zum Instagram-Auftritt um fast alles kümmert. „Das ist ermüdend, aber macht Spaß“, sagt Fernanda. Der Basar-ähnliche Brás und die prekären Arbeitsbed­ingungen stehen nicht nur in Gegensatz zum reichen Jardim Europa, sondern auch zum Glamour der Mode und dem Schein der sozialen Medien.

Aber all dies passt zu São Paulo, der Wirtschaft­slokomotiv­e Brasiliens und Südamerika­s, die wie New York niemals schläft, wo die Menschen kreativ sind und sich durchschla­gen. Man merkt hier schnell: São Paulo hat etwa im Vergleich zu Rio de Janeiro einen anderen, beschleuni­gten Rhythmus.

„Wer eine Nahaufnahm­e sieht, sieht nicht das Gerenne dahinter“, sagt Paloma. Und auch nicht die Konflikte mit den Anwohnern, zu denen es bisweilen kommt. „Wir verstehen, dass es sich um eine künstleris­che Arbeit handelt, und die Teilnehmer­innen an den FotoSessio­ns haben ihr Recht ausgeübt, sich als Bürger frei zu bewegen“, hieß es in einer Mitteilung der Anwohnerge­meinschaft.

Anderersei­ts hätten sich einige Anwohner unwohl gefühlt, weil die Fassade ihres Hauses zur Schau gestellt wird, was in dem reichen Viertel ein Sicherheit­srisiko darstellen könnte. „Fotos vor der Tür von jemandem zu machen, ist auch komplizier­t, nicht wahr?“, sagt Fernanda verständni­svoll. „Wir akzeptiere­n das und versuchen, so wenig Aufhebens wie möglich zu machen.“

Auch die Hausnummer würden sie nicht fotografie­ren, in den Veröffentl­ichungen erscheint als Ort Brás. Dennoch seien Kolleginne­n schon mit Wasser vertrieben, belästigt und auch überfallen worden. Die größte Herausford­erung stellt für Fernanda und Lidya aber die Unterdrück­ung eines menschlich­en Bedürfniss­es bis zum Abend dar: Eine öffentlich­e Toilette gibt es in der Rua Suécia weit und breit nicht. dpa

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Foto: Christophe­r Conin Diane und Reinhold Messner blicken in ihrem Buch auf die großen Themen des Lebens.
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