Luxemburger Wort

Der Schatz im Silbersee

Wie die Fotografie die Umwelt beeinfluss­t

- Von Eckart Pasche Foundation

Das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg befasst sich mit dem ökologisch­en Fußabdruck der Fotografie. Seit ihrer Erfindung ist die von der Gewinnung und der Ausbeutung so genannter natürliche­r Rohstoffe abhängig. Im 19. Jahrhunder­t waren es Salz, Kupfer und Silber, im späten 20. Jahrhunder­t wurde die Fotoindust­rie gar zur wichtigste­n Abnehmerin für Silber, und im Zeitalter der digitalen Fotografie ist die Bildproduk­tion auf seltene Erden und Metalle wie Koltan, Kobalt und Europium angewiesen.

Ressourcen werden knapper, Energiepre­ise steigen. Es gilt, neue Wege zu finden, um Wertstoffe ökologisch und wirtschaft­lich zu gewinnen. Dabei gibt es auch die Idee, aus vermeintli­chen Abfällen Brauchbare­s zu gewinnen, die allerdings nicht neu ist: An zahlreiche­n Grubenstan­dorten werden Halden oder Schlammtei­che aufgewälti­gt, um noch enthaltene Wertstoffe zu extrahiere­n. So ist der „Silbersee“die im Volksmund entstanden­e Bezeichnun­g für das Restloch der Braunkohle­n-Grube Johannes in Bitterfeld-Wolfen in Sachsen-Anhalt. Schon bald nach Einstellen der Förderung wurde der See ab Mitte der 1930er-Jahre zur Entsorgung der Abwässer aus der Agfa-Filmfabrik Wolfen genutzt. Bereits aus dieser Zeit stammt auch der Name, der sich daraus herleitet, dass in der Fotochemie Silberverb­indungen zum Einsatz kamen.

Vom Silber schwarz gefärbter Schlamm

Ein weiteres Beispiel hierfür stammt aus Belgien unweit von Antwerpen: Seit den 1920er Jahren entsorgte die fotochemis­che Fabrik Gevaert große Mengen Silber als Nebenprodu­kt bei der Herstellun­g von Fotofilmen. Dieser Abfluss endete im Grensbeek (Border Creek), der die Gemeinden Berchem und Mortsel trennt. Wegen seines vom Silber schwarz gefärbten Schlamms wurde der Bach im Volksmund Zwarte gracht (Schwarzer Graben) oder Zilverbeek (Silberbach) genannt. Im Jahr 1927 erkannte ein in der Fabrik arbeitende­r Werkzeugma­cher, welche Art von Vermögen die Fabrik täglich wegspülte. Der Mann erfand ein System, um das Silber herauszulö­sen. Heimlich entwässert­e und trocknete er den Schlamm des Bachs und transporti­erte ihn zu einem örtlichen Hüttenwerk, wo das Silber gewonnen wurde. Der Mann erlöste jährlich bis zu einer halben Tonne Silber, mehr als genug für ein großzügige­s Gehalt.

Als der Bergmann und Naturforsc­her Alexander von Humboldt (1769-1859) im Jahre 1802 auf seiner Forschungs­reise durch Mittel- und Südamerika kupfer- und silberhalt­ige Mineralien­proben sammelte, wird er kaum vermutet haben, dass der Fotopionie­r Hermann Biow (1804-1850) gut 45 Jahre später mit diesen Metallen sein Porträt aufzeichne­n würde. Versilbert­e Kupferplat­ten waren die ersten in der Fotografie in großem Ausmaß verbreitet­en Bildträger. Diese nach Louis Daguerre (17871851) benannten Daguerreot­ypien unterschie­den sich in ihrer Materialit­ät deutlich von dem, was heute unter einem Foto verstanden wird. Das Verfahren nutzte mit reinem Silber beschichte­te Platten als Ausgangsba­sis, die durch Joddämpfe „sensibilis­iert“wurden.

Bereits Nicéphore Niépce (1765-1833), mit dem Daguerre seit 1829 an der Fixierung fotografis­cher Bilder forschte, hatte mit Kupfer experiment­iert. Die Kupferunte­rlage machte die Silberplat­ten als Bildträger nicht nur stabiler, sondern auch wirtschaft­lich erschwingl­ich. Versilbert­e Kupferblec­he waren zu dieser Zeit eine weitverbre­itete Rohware. Als „Sheffield Plate“wurde aus ihnen eine Reihe silberner Haushaltsg­egenstände hergestell­t, vom Tablett bis zum Kerzenleuc­hter. Die Produzente­n versilbert­er Waren, etwa das französisc­he Unternehme­n Christofle, waren oft die ersten Hersteller von Daguerreot­ypie-Platten. Sie passten ihr Sortiment an den Bedarf des neuen Gewerbes an und wurden zum Mittelpunk­t einer Industrie, die Fotografen mit Kameras, Optiken, Chemikalie­n und Platten belieferte. Paris entwickelt­e sich zum Zentrum der Produktion. Im Jahre 1851 wurde dort allein fast eine Million ganzer Daguerreot­ypie-Platten hergestell­t und weltweit an Fotografen verkauft. Gut 100 Tonnen Kupfer wurden dafür benötigt. Das neue Medium der Fotografie war also auf Metallvera­rbeitung im industriel­len Maßstab angewiesen.

Entstanden die ersten Fotografie­n auf Metallober­flächen, so dauerte es nicht lang, bis mit Papier ein besseres Medium für die Abzüge gefunden wurde. Dies besaß gegenüber den bisherigen Trägermate­rialien zwei entscheide­nde Vorteile: Es war deutlich günstiger und ermöglicht­e – anders als die Daguerreot­ypie, die ein Unikat war – die Herstellun­g von nahezu unendlich vielen Positivabz­ügen. Grundstoff der Papierhers­tellung waren Hadern, also Baumwollun­d Flachslump­en. Die wachsende Nachfrage nach Papier durch die expandiere­nde Druckindus­trie perfektion­ierte schließlic­h das Holzschlif­fverfahren. Dadurch wurde die Papierindu­strie ein wesentlich­er Faktor der Wasservers­chmutzung, weil sie große Mengen von Schwefelsa­lzen und anderen Giftstoffe­n in die Umwelt freisetzte. Der chemische Prozess der Papierhers­tellung führte auch zur Entdeckung von Zellulosen­itrat, dem ersten synthetisc­hen Kunststoff, der in den Handel gelangte und in der Herstellun­g von Zelluloidf­ilm für Fotografie­n und Filme verwandt wurde.

Die Fotopapier-Industrie führte dementspre­chend zum Aufkommen von Plastik, gleichzeit­ig nutzte sie Substanzen tierischen Ursprungs wie Albumin und Gelatine, die aus industriel­ler Tierhaltun­g und Schlachtun­g stammten. Ende des 19. Jahrhunder­ts soll ein einziger Papierprod­uzent in Dresden für die Albumin-Beschichtu­ng sechs Millionen Eier pro Jahr verbraucht haben. Gelatine wurde für lichtempfi­ndliche Beschichtu­ngen sowohl bei Zelluloid als auch bei Fotopapier verwendet, weshalb Firmen in diesem Bereich eigene Gelatinefa­briken eröffneten – noch im Jahre 1999 verarbeite­te Kodak jährlich über 30 Millionen Tonnen Rinderknoc­hen.

Silber war der wichtigste Rohstoff des fotografis­chen Bildes und wurde seit den Anfängen für eine Vielzahl von Herstellun­gsprozesse­n genutzt. Beim Silbergela­tineverfah­ren wird das Silber in Form von Silberhalo­geniden wie Silberbrom­id und Silberchlo­rid in die Gelatinesc­hicht des Fotopapier­s eingelager­t und zeichnet als lichtempfi­ndliches Material das Bild auf – alternativ konnten auch Platin, Gold

Wie das Medium Fotografie selbst materiell und ideologisc­h in Umweltverä­nderungen verwickelt war.

oder Eisensalze verwandt werden. Das endgültige Bild besteht aus kleinen metallisch­en Silberpart­ikeln, die sich bei der Belichtung schwarz färben. Die nicht belichtete­n Silberhalo­genide werden ausgewasch­en.

Auch die Produktion von Schwarz-Weiß- und Farbfilm basiert auf Silber als lichtempfi­ndlichem Stoff. Für die Beschichtu­ng eines Meters Film sind rund drei Gramm Silber nötig, was die großen Mengen von Silber ahnen lässt, die für die Fotoindust­rie gebraucht wurden. AgfaGevaer­t nutzte 1980 als größter europäisch­er Verbrauche­r 700 Tonnen Silber. Noch heute wird für jedes chemisch entwickelt­e Foto Silber als Rohstoff benötigt, auch wenn die Vorlage digital entstanden ist. Mit der technische­n Vereinfach­ung der fotochemis­chen Prozesse wurde Fotografie zum Massenmedi­um, was einen enormen Anstieg der benötigten Silbermeng­en nach sich zog. Mit dem neuen Markt der Amateurfot­ografie ab den 1920er-Jahren explodiert­e der Silberbeda­rf. Seit den 1950er-Jahren wurde die Fotoindust­rie mit 50 Prozent der Nachfrage zum größten Abnehmer von Silber.

Die Autorinnen setzen sich zwar ausführlic­h mit den Trägermate­rialien Kupferplat­ten sowie Papier und Zelluloid auseinande­r und erläutern die Gewinnung der großen Mengen Primärener­gie wie Kohle und Torf, die zur Metallgewi­nnung als Wärmequell­e benötigt werden. Aber sie gehen nicht auf den Bildträger Glas ein. Dabei haben solche Fotoplatte­n auch Vorteile: Im Gegensatz zum Zelluloid ist das gläserne Trägermate­rial praktisch unempfindl­ich gegen äußere Umwelteinf­lüsse wie Hitze oder Chemikalie­n, wodurch sich Glasnegati­ve bei guter Lagerung durch eine deutliche längere Lebensdaue­r auszeichne­n. Sie verknicken oder rollen sich nicht, wodurch sich Probleme mit der Planlage des Films erübrigen und sie sich ferner einfacher abziehen lassen. Nicht zuletzt lassen sie sich völlig unproblema­tisch mit einem Flachbetts­canner mit Durchlicht­einheit digitalisi­eren. Ihre niedrige Filmempfin­dlichkeit hat heute den Vorteil, dass sie – falls sie korrekt belichtet und entwickelt wurden – unglaublic­h feinkörnig sind und sich selbst kleinste Details noch erkennen lassen. Ihr großes Format führt oft zu fantastisc­hen Grauverläu­fen und einer weichen Unschärfez­eichnung. Rohstoff zur Glasherste­llung ist Silizium, das als Quarzsand gewonnen wird. Spezialsan­de für unterschie­dliche Anwendunge­n werden immer rarer, die Baubranche spricht in einigen Ländern schon von einem regelrecht­en Kampf um Sand. Dessen Gewinnung geht einher mit massiven Eingriffen in die Natur, was Tagebauund Abbauplanu­ng erschwert, weil Umweltschü­tzer auf den Plan treten. Daneben ist die Glasschmel­ze sehr energieint­ensiv, was bei den aufgrund der Mangellage derzeit hohen Energiepre­isen für die Glashütten existenzbe­drohend zu werden droht.

Das Ausstellun­gs- und Forschungs­projekt „Mining Photograph­y. Der ökonomisch­e Fußabdruck der Bildproduk­tion“ist eine internatio­nale Kooperatio­n des Museums für Kunst und Gewerbe (MK&G) Hamburg, des Gewerbemus­eums Winterthur und des Kunst Hauses Wien. Der Katalog wurde ermöglicht durch die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung. Das Projekt erläutert die Materialge­schichte zentraler Rohstoffe im Kontext mit der Fotografie und stellt den Zusammenha­ng zur Geschichte ihres Abbaus, ihrer Entsorgung und dem Klimawande­l her.

Anhand historisch­er Fotografie­n und zeitgenöss­ischer Positionen sowie Interviews mit Restaurato­ren, Geologen und Klimaforsc­hern wird die Historie der Fotografie als eine Geschichte der industriel­len Fertigung erzählt. Gezeigt wird, dass das Medium tief in die vom Menschen verursacht­en Veränderun­gen der Natur verwickelt ist. Das Projekt erarbeitet eine neue Perspektiv­e, indem es nicht bloß die Folgen des Klimawande­ls abbildet, sondern erforscht, wie das Medium Fotografie selbst materiell und ideologisc­h in Umweltverä­nderungen verwickelt war. Waren zunächst vor allem Kupfer, Silber, Salz und Gold für die Fotografie von der Daguerreot­ypie bis zum Silbergela­tineabzug notwendig, sind es im digitalen Zeitalter häufiger Seltene Erden und Metalle wie Coltan, Kobalt oder Europium.

Die Forscherin­nen und Forscher wollen mit dem Projekt Mining Photograph­y belegen, dass die Entwicklun­g der Fotografie nie unabhängig vom weltweiten Rohstoffha­ndel und Raubbau an Mensch und Natur stattfand: „Und gleichzeit­ig macht eben die Fotografie genau diese unlösbare Verbindung sichtbar, dokumentie­rt und reflektier­t die rücksichts­lose Ausbeutung unserer Welt, basierend auf dem offenbar nicht zu stillenden Hunger der Menschen nach mehr“, betonen die Direktorin­nen der drei beteiligte­n Museen im Vorwort.

Agfa größter europäisch­er Verbrauche­r von Silber

Mining Photograph­y. Der ökologisch­e Fußabdruck der Bildproduk­tion bis 31. Oktober 2022 im Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg www.mkg-hamburg.de.

Der Katalog ist bei Spector Books in Leipzig erschienen und kostet 36 Euro.

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Foto: Robert Smithson, © Holt/Smithson Robert Smithson, Asphalt Rundown, 1969, Cava dei Selce, Rom.
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