„Doppel-Wumms“
Berliner Ampel verspricht eine Bremse für den Gaspreis – und macht dafür 200 Milliarden Schulden
Hat da wer gesagt, die deutsche Bundesregierung liege in ständigem Hader und Streit? Nichts davon zu sehen gestern Nachmittag ab zwei. Es treten auf: der Bundeskanzler, sein Vize und sein Vizevize. Eventuell ist auftreten nicht ganz das richtige Wort.
Im Kanzleramt sitzt links auf dem Podium Robert Habeck, Wirtschaftsminister und Grüner, rechts Christian Lindner, Finanzminister und FDP-Vorsitzender. Und in der Mitte steht ein Monitor, der – leicht blaustichig – Olaf Scholz, Sozialdemokrat und Regierungschef, zeigt, Covid-19-bedingt in Isolation, in der Kanzlerwohnung, achte Etage, also zugleich da – und entrückt. Nicht mehr lang, verspricht Scholz, sein aktueller Test sei negativ – was Lindner als Nachricht des Tages preist. Alles zusammen wirkt ein bisschen albern.
Denn die Lage ist ernst. Wie sehr, ergibt sich aus der Zahl, die Scholz ziemlich rasch nennt – nachdem er von Putins „brutalem Angriffskrieg“auf dessen Folgen für die Versorgung Deutschlands mit Gas und deren Kosten kommt. Die Regierung werde einen „großen Abwehrschirm“aufspannen – damit „alle gut zurechtkommen können“. Es wird ein Fest der Sprachbilder werden – aber das ist da noch nicht heraus.
Gasumlage kommt weg
„Wirtschafts- und Stabilitätsfonds“schiebt Scholz hinterher und „200 Milliarden Euro“. Und dass nach der „Strompreisbremse“nun also die „Gaspreisbremse“komme. Und deshalb auf die hochumstrittene Gasumlage verzichtet werde; „sie wird nicht mehr gebraucht“.
In Nicht-Scholz-Deutsch bedeutet das: Statt, wie geplant, den Gasverbrauchern ab 1. Oktober zusätzliche Kosten aufzuerlegen – will die Regierung ihnen nun Geld zukommen lassen. Wem genau und wie viel: Das soll eine Kommission unter Leitung der Wirtschaftsweisen Veronika Grimm ertüfteln. Profitieren sollen die privaten Endverbraucher ebenso wie Handwerk, Mittelstand, Industrie. Finanziert wird das Ganze durch Schulden – aber, wichtig: jenseits des normalen Etats. Das macht die 200 Milliarden zwar nicht kleiner und auch nicht zinsgünstiger. Aber Lindner, der Chef der Finanzen, bleibt seinem Versprechen treu: Die Schuldenbremse hält. Vorerst.
So positiv und aufgeräumt, wie die drei sich geben, sind die Realitäten ja nicht. Man merkt es an den Begriffen. Habeck, der Grüne, sagt, es gehe darum, „tatsächlich einen Angriff abzuwehren“– und „die Macht, die wir Putin gegeben haben, zu brechen“. Lindner wird noch ein bisschen martialischer. „Wir befinden uns in einem Energiekrieg um Wohlstand und Freiheit.“Aber, so der Vizevizekanzler: „Wir können uns zur Wehr setzen.“
Da hat Scholz, der Kanzler, aus dem achten Stock via Monitor schon den „Doppel-Wumms“in die Welt geschickt; den einfachen hatte er einst in der Pandemie erfunden. „Mit Wumms“, sagte er da, werde man durch die Corona-Krise kommen. Es handelte sich um 600 Milliarden.
Genau genommen ist der 200Milliarden-GaspreisbremsenFonds also eher ein „Wümmschen“. Indes: Auch wenn Details nicht feststehen – für die Verbraucher birgt er in jedem Fall Scholz’ Versprechen, dass „sich niemand Sorgen machen muss, wenn er an den Herbst und Winter denkt“. Dass die Abschlagszahlungen „sich wieder reduzieren können“– das sei „das konkrete Ziel“.
Inflation historisch hoch
Lindner, der Herr über die Finanzen, wird später noch sagen, dass das Geld ja „auch als eine Art Inflationsbremse“wirken solle. Vor lauter Drosseleien könnte man glatt durcheinander kommen. Mitten in die Pressekonferenz hinein ist die Meldung von der September-Inflationsrate geplatzt: Zehn Prozent – höher denn je seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges; und zum ersten Mal in der bundesdeutschen Historie zweistellig. Bittere Botschaft zwei: Der private Gasverbrauch ist im September – der sich außergewöhnlich kühl getragen hat – gestiegen im Vergleich zum Vorjahr. „14 Prozent“, sagt Habeck – und klingt, als meine er eigentlich: Verdammt, Leute, reißt Euch zusammen!
Mitten in die Pressekonferenz hinein ist die Meldung von der SeptemberInflationsrate geplatzt: Zehn Prozent.
Wir befinden uns in einem Energiekrieg um Wohlstand und Freiheit. Christian Lindner, Finanzminister
Und Habeck sagt auch, dass die Gaspreisbremse ja zwei Ziele habe – die mehr als nur ein bisschen gegensätzlich sind. Einerseits sollen sie Privatmenschen und Wirtschaft entlasten. Andererseits „Anreiz geben zum Sparen von Gas“.
Dieses Problem muss die Kommission lösen. Das mit dem Geld die Regierung, zuallererst aber Lindner. Er hat jetzt – neben dem 455-Milliarden-Haushalt – drei Schattenetats, die Fonds heißen oder Sondervermögen, aber schlicht Schulden sind: 60 Milliarden fürs Klima, 100 für die Bundeswehr, 200 für den Gaspreis. Und nicht zufällig setzt er stur zwei Wörtchen vor die Zahl. „Wir haben bis zu 200 Milliarden gesagt.“Das Wir aber ist – eine Hoffnung. Maximal.