Hoffnung auf Ende von Bolsonaros Herrschaft
Amazonas-Schutz soll unter Linkspolitiker „Lula“da Silva wieder Priorität bekommen
Umweltexperten in der ganzen Welt blicken gespannt auf die Präsidentenwahl am Wochenende in Brasilien. Wird der radikal rechte Jair Bolsonaro wiedergewählt, wäre das für den globalen Klimaschutz verheerend. Eine schnell fortschreitende Abholzung des Amazonas gilt dann als wahrscheinlich. Sein Herausforderer Luiz Inácio „Lula“da Silva hingegen wäre vermutlich ein Verbündeter beim Versuch, den Anstieg der Erderwärmung zu stoppen. Darauf deuten seine Aussagen und jüngsten Entscheidungen hin.
Wie wichtig eine neue klimafreundliche Umweltpolitik im größten Land Lateinamerikas ist, hat nochmal der August gezeigt. Allein in diesem Monat wurden im brasilianischen Amazonasgebiet 33 116 Brände gezählt, die höchste monatliche Zahl seit 2010, wie das staatliche Nationale Institut für Weltraumforschung (INPE) mitteilte. Ein Großteil dieser Feuer ist zur Brandrodung gelegt worden. Längst ist der größte Regenwald der Erde nicht mehr dicht und geschlossen, sondern besteht aus tausenden Fragmenten.
Umkipp-Punkt bald erreicht
Geht die Zerstörung des Amazonas im aktuellen Tempo weiter, sei der „Tipping-Point“bald erreicht, warnen Klimaexperten. Ab diesem „Umkipp-Punkt“nimmt der Urwald durch weitere Abholzung unwiederbringlichen Schaden. Lokal sei es an manchen Stellen des Amazonas bereits so weit. Nach Ansicht von Marcio Astrini, Generalsekretär der Klimabeobachtungsstelle „Observatório do Clima“, ist es aber noch möglich, den
Schaden rückgängig zu machen. „Dafür muss Bolsonaro aber in der Regierung abgelöst werden.“Die dringendste Maßnahme in der nahen Zukunft sei die Wiederaufnahme der Demarkierung indigener Gebiete und die Vertreibung „der Landräuber, die sich diese Gebiete mit Unterstützung der Bundesregierung in Brasilia angeeignet haben“, unterstreicht Astrini.
Der Amazonas-Regenwald, der anderthalbmal die Fläche der Europäischen Union umfasst, erstreckt sich über neun Staaten. Allein 60 Prozent des Regenwaldes liegen in Brasilien, den nächst großen Anteil hat Peru mit zwölf Prozent. Der Amazonas ist für ein stabiles Weltklima entscheidend wichtig. Ein gesunder Regenwald bindet Kohlenstoffdioxid (CO2) in der Luft, das für die Erderwärmung verantwortlich ist. Abgeholzte Wälder sind hingegen eine große Quelle für Treibhausemissionen.
Lula will Raubbau stoppen
Deshalb ist der Kampf um die brasilianische Präsidentschaft auch ein Ringen um das Schicksal der grünen Lunge des Planeten. Die fortschreitende Zerstörung des Regenwaldes spielt im Wahlkampf zwar nicht die Rolle, die das Thema angesichts der globalen Klimakrise verdient, aber vor allem Lula betont seine grüne Seite. Er versprach, den Raubbau am Amazonas und vor allem das Eindringen illegaler Holzfäller, Goldsucher und Viehzüchter zu stoppen. Die von Bolsonaro ausgebluteten Schutz- und Kontrollorgane wie die Umwelt- und Indigenenbehörden sollen wieder handlungsfähig werden. Dabei plant Lula aber dennoch eine nachhaltige Entwicklung
des Amazonas-Gebiets, in dem immerhin 30 der 215 Millionen Brasilianerinnen und Brasilianer leben.
13 000 Quadratkilometer abgeholzt Bereits in Lulas erster Amtszeit zwischen 2003 und 2011 konnte Brasilien die Entwaldung um knapp 80 Prozent reduzieren. Fielen 2004 noch 28 000 Quadratkilometer Regenwald der Abholzung zum Opfer, waren es zum Ende seines Mandats lediglich 4 500 Quadratkilometer. Dadurch entwickelte sich Brasilien zu einem wichtigen Akteur beim weltweiten Klimaschutz. Heute, zum Ende von Bolsonaros vierjähriger Amtszeit, ist Brasilien Klima-Paria Nummer eins. Seit seinem Amtsantritt 2019 stieg die Entwaldung laut INPE von 7 500 auf über 13 000 Quadratkilometer im Jahr 2021.
Zwischen 2020 und 2021 verschwand ein Gebiet des Regenwaldes, das siebzehnmal der Größe New Yorks entspricht.
Lulas größter Trumpf für den Klimaschutz ist die Gewinnung der Umweltikone Marina Silva für sein Unterstützerteam. Die Gründerin der Grünen Partei war viele Jahre eine Verbündete Lulas, saß in seinen ersten Kabinetten als Umweltministerin, wandte sich aber 2008 wegen seiner Megaprojekte in der Amazonasregion von ihm ab. Mit Silvas Rückkehr an seine Seite bekommt Lulas Wendung zum klimabewegten Kandidaten größere Glaubwürdigkeit. Silva forciert eine kohlenstoffarme Landwirtschaft, die Abgrenzung neuer indigener Gebiete, die Stärkung von Umweltorganisationen und Schaffung weiterer Naturschutzeinheiten. Noch ist aber nicht klar, was Lula davon wirklich in sein Regierungsprogramm aufnehmen würde.
Lula baut auf Unterstützung der EU Der linke Kandidat baut beim Amazonas-Schutz aber auch auf internationale Unterstützung, vor allem die der Europäischen Union. Außerdem will er die Millionen aus dem Amazonas-Fonds freigeben, der von Norwegen und Deutschland finanziert wird, und seit 2019 lahmgelegt ist. Bolsonaro stoppte den Fonds, weil er das Mitspracherecht von Nichtregierungsorganisationen nicht akzeptieren wollte.
Da Silva war Anfang September der erste der Kandidaten, der in das abgelegene Amazonasgebiet reiste. Bei Veranstaltungen in Manaus und Belém versprach er auch, gegen das organisierte Verbrechen und die großen Schmugglerbanden vorzugehen, die sich des Gebietes bemächtigt hätten. Neben dem illegalen Raubbau am Wald werden inzwischen durch den Amazonas auch illegal gefangene Fische ebenso geschmuggelt wie Drogen. Im Grunde hat sich das riesige Gebiet unter Bolsonaro zu einem rechtsfreien Raum gewandelt. Der ultrarechte Präsident hat dieses legale Vakuum bewusst gefördert.
Bolsonaros Wiederwahl wäre aus Sicht des „Observatório do Clima“für den Amazonas und in der Folge das Weltklima desaströs. Vermutlich würden bis zum Ende seines Mandats 2027 zwischen 60 000 und 100 000 Quadratkilometer Regenwald verschwinden. Dann wäre der fatale „TippingPoint“in jedem Fall erreicht.
Es ist noch möglich, den Schaden rückgängig zu machen. Dafür muss Bolsonaro aber in der Regierung abgelöst werden. Marcio Astrini, Klimabeobachtungsstelle „Observatório do Clima