„Ob du lachst oder weinst, das Problem bleibt das gleiche“
Schwester Teresa Zukic über Genuss, ihre Krebserkrankung und alltägliche Freuden
Schwester Teresa Zukic kann mit ihren 58 Jahren bereits auf ein bewegtes Leben von der Spitzensportlerin zur Ordensfrau mit eigener Ordensgründung zurückblicken. Auch hat sie bereits eine Krebserkrankung überstanden und ist Autorin mehrerer Bücher. Am 11. Oktober kommt die fast immer gut gelaunte Powerfrau für einen ihrer Vorträge nach Luxemburg. Vorab hat sie sich die Zeit für ein Gespräch mit dem „Luxemburger Wort“genommen.
Schwester Teresa, der Titel Ihres Vortrags lautet „Wer nicht genießt, ist ungenießbar“. Was bedeutet für Sie überhaupt Genuss?
Wir haben so viele Sinne, aber viele wenden wir gar nicht mehr an. Ich habe nach der Krebserkrankung wieder neu gelernt, was schmecken heißt. Ich konnte mich über alles freuen, jedes Vögelchen, jeden Geruch, den Duft des Kaffees morgens. Es war herrlich, das wieder bewusst zu erleben. Und darauf zielt der Vortrag ab, dass wir bewusster leben und Momente genießen.
Für mich ist Genuss eben nicht nur Essen, sondern alles, was wir erleben. Und wenn wir nicht nur auf das Negative schauen, sondern auch auf die schönen Dinge, dann findet sich da so vieles. Wir haben oft verlernt zu genießen. Ich habe mir für den Vortrag auch Studien angeschaut und etwa in Deutschland glauben 81 Prozent der Befragten, dass das Leben nur lebenswert ist, wenn man es genießen kann – und 61 Prozent davon meinen, man muss es sich erst verdienen. Das ist so in unserem Hinterkopf. Und das ist eigentlich das Gegenteil von dem, was Gott tut, er gibt nämlich immer und liebt bedingungslos. Sich lieben zu lassen, sich selbst zu lieben, ist wichtig. Das möchte ich den Menschen sagen. Wenn der Tag vorüber ist, kommt er nicht wieder. Das Schöne ist eigentlich, dass es eine Deadline gibt, denn dann erlebt man alles viel bewusster. Stellen Sie sich mal vor, wir hätten
500 Jahre Zeit. 500 Jahre Zähne putzen, waschen, Bügeln, manche Leute ertragen … das wäre ja nicht normal. Was wir in einem Menschenleben nicht an Zufriedenheit schaffen, schaffen wir auch nicht in 500 Jahren. Genießen und Genuss ist für mich das ganz bewusste Wahrnehmen dessen, was wir haben, und es zu schätzen.
Kommt diese Erkenntnis aus ihrer Vorgeschichte mit der Krebserkrankung?
Nein, ich war schon immer so. Aber jetzt ist die Haltung noch viel tiefer. Es ist so, dass man, wenn man solche Todesängste hatte und überlebt hat, alles zehnmal tiefer und stärker empfindet. Die Lebensfreude, aber auch das andere, wenn etwas schiefgeht. Dass die Gefühle so viel intensiver sind, dazu kam es erst nach der Krankheit. Das Schöne, aber eben auch das Schwere.
Vor ihrem Start ins Ordensleben war Teresa Zukic Leistungssportlerin.
Warum ist man ungenießbar, wenn man nicht genießt?
Manchmal sieht man Leute und denkt: „Der ist ja mit dem falschen Fuß aufgestanden.“Oft hat man das Gefühl, wenn jemand sich selbst nichts gönnt, gönnt er auch anderen nichts. Wer nicht genießt, kann das ja auch nicht ausstrahlen. Es gibt so viele Menschen, die auf das Negative fokussiert sind. Wir haben scheinbar nicht nur eine Corona-Pandemie, sondern auch eine Pandemie des Negativen. Da versuche ich dagegenzuhalten.
Sie sind Ordensfrau. Das Leben in Kirche und Ordensgemeinschaften ist nicht unbedingt das, was die meisten Menschen mit Genuss verbinden …
Es gibt für alles eine Zeit, so heißt es schon bei Kohelet. Es gibt eine Zeit zum Fasten und eine
Zeit zum Essen. Wir haben die Festtage in der Kirche und die Fastenzeit. Gott hat alles geschaffen, das ist unser Glaube. Und ich glaube, dass in allem, was er geschaffen hat, seine Gene stecken. Und wenn wir das mit Achtsamkeit schätzen lernen und ein bisschen Liebe reingeben, dann ehren wir Gott. Ich bin überzeugt davon, dass Gott ein Liebhaber des Lebens ist, sonst hätte er für uns nicht diese wunderbare Natur gemacht. Wie fängt etwa der Tag in der Bibel an? Es heißt: „Es wurde Abend und es wurde Morgen“. Nach der Bibel fängt der Tag am Abend an, wenn die ersten Sterne am Himmel stehen. Was dürfen wir also als Erstes machen? Schlafen gehen. Das zeigt mir schon, dass es da einer gut mit uns meint, zuerst dürfen wir uns ausruhen.
Klöster waren daneben immer schon Orte, wo Genuss gelebt wurde. Nicht nur im Essen, auch im achtsamen Erleben der verschiedenen Zeiten. Aber es stimmt schon, wir haben den Ruf, altmodisch und verstaubt zu sein und uns gegen jede Freude der Welt zu wehren. Aber wir leben im 21. Jahrhundert und können den Menschen vorleben, auch aus kleinen Sachen Wunderbares zu machen. Und so hat es Jesus auch gemacht. Er hat mit den Menschen gefeiert und gegessen. Das erste Wunder war, Wasser in Wein zu verwandeln, das sagt mir, dass Gott eine Freude an den schönen Dingen haben muss.
Oder nach der Auferstehung, als Jesus den Jüngern am See Genezareth begegnet. Das hätte ja schon genügt. Aber was tut er? Er hat für sie erst mal gegrillt. Gott ist ein Liebhaber des Lebens und ein Genießer.
Erfahren Sie für diese positive Einstellung denn manchmal auch Kritik?
Nein. Weder in meiner Hochzeit mit 200 Vorträgen im Jahr noch in meiner Krankheit. Die Leute erleben, dass ich immer so positiv bin. In meinem neuen
Buch „Jetzt erst recht ... lebe, lache, liebe“sage ich ja: Ob du lachst oder weinst, das Problem bleibt das gleiche. Ich habe mich auch sehr der Lachforschung zugewandt. Wenn man die Mundwinkel nur für 30 Sekunden nach oben zieht, schüttet das Gehirn Endorphine aus und es geht einem besser. Gott hat uns mit dem Lachen etwas Wunderbares geschenkt. Kinder lachen bis 800 Mal am Tag, Erwachsene zehn bis 15 Mal. Wenn Jesus sagt „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder“, hat das vor dem Hintergrund eine ganz neue Bedeutung.
Manchmal fällt einem das Lachen aber auch schwer, so wie Ihnen sicherlich auch, nachdem Sie die Diagnose Gebärmutterkrebs erhalten hatten, oder?
Ich dachte mir immer, Gott will mir nix Böses mit meiner Erkrankung. Meine erste Reaktion war auch „Warum ich nicht?“Was privilegiert mich, keinen Krebs zu bekommen? Natürlich hab ich auch einen Weinanfall bekommen, als ich die Diagnose gehört hatte. Ich dachte, ich muss sterben. Dann hab ich aber wieder gelacht und gedacht, Gott hat sich für mich bestimmt etwas ausgedacht. Ich dachte, jetzt, wo ich ihn am meisten in meinem Leben brauche, werd ich doch nicht anfangen zu zweifeln. Jetzt will ich doch wissen, ob das alles stimmt,
Es gehört zum Erwachsensein, dass man zu den Fehlern steht, die man gemacht hat.
weiterginge. Wir müssen uns bewusst damit auseinandersetzen und das Thema enttabuisieren. Wenn wir uns darauf einlassen, wird uns bewusst, dass es etwas ganz Normales ist. Jede Pflanze, jeder Hamster stirbt. Wir wollen lange leben, aber ja eigentlich auch nur so lange, wie noch andere da sind, die wir lieben.
Wie gehen Sie in Ihrer positiven Grundhaltung mit der aktuellen Situation der Kirche um?
Ich sage immer: Es ist noch nicht gut. Wenn ich sagen würde, es ist alles schlecht, dann hätte ich keine Hoffnung mehr. Natürlich leide ich mit. Ich betreue Menschen, die missbraucht wurden. Ich versuche, authentisch zu sein. Es ist für mich genauso schlimm und schwer. Man versucht jeden Tag, positiv die Begeisterung für Glauben und Kirche nach außen zu tragen. Ich habe mit so vielen Kindern gearbeitet und es bricht mir das Herz, was da alles passiert ist, denn Kinder sind der größte Schatz Gottes. Ich kann mich nur fremdschämen. Ich verstehe die ganze Wut, die da ist, von Herzen. Es ist an der Zeit, dass etwas passiert. Es muss ein Umdenken und eine Wiedergutmachung geben. Es muss alles rauskommen. Und man muss zu seiner Schuld stehen. Das gehört zum Erwachsensein dazu. Wir können den Schmerz und das Leid nicht nehmen, die die Menschen durchgemacht haben, aber wir müssen versuchen, es besser zu machen. Aber man darf auch nicht übersehen, was die Kirche seit Tausenden von Jahren Gutes tut. Wir dürfen nicht alles negativ sehen. Es muss aber wirklich aufgeräumt werden, Entschädigung passieren und eine neue Zeit beginnen. Für mich ist jeder Mensch ein Wunder Gottes und mit Respekt zu betrachten. Gott ist die pure Liebe und er hat die Kirche geschaffen, dass sie diese Liebe weiterträgt. Und wenn sie das nicht tut, müssen wir sagen, so geht es nicht.
Sollten die Verantwortlichen aus Ihrer Sicht denn ihren Platz räumen?
Es gehört zum Erwachsensein, dass man zu den Fehlern steht, die man gemacht hat, und versucht, sie wiedergutzumachen. Und das gilt nicht nur in der Kirche, sondern auch in der Politik. Es ist doch verrückt: Wenn irgendetwas schiefgeht, dann treten die Leute zurück. Ich hab von meiner Mama gelernt, wenn ich etwas falsch mache, muss ich es in Ordnung bringen. Das müssten die vielen Verantwortlichen in den verschiedenen Bereichen auch machen, und dann können sie zurücktreten. Was bringen wir unseren Kindern sonst denn bei? Wenn du was falsch gemacht hast, wirst du abgesägt? Ich finde das falsch. Wenn du einen Fehler gemacht hast, musst du dazu stehen und es geradebiegen. Es gibt sehr viel zu tun in unserer Kirche. Wir fangen quasi bei Null an und müssen den Menschen unsere Glaubwürdigkeit wieder neu vorleben.
Am Dienstag, den 11. Oktober, hält Schwester Teresa um 20 Uhr im Centre Convict, (5, Avenue Marie-Thérèse, L-2132 Luxemburg), einen Vortrag zum Thema: „Wer nicht genießt, ist ungenießbar“. Organisation: Pentecôte Permanente a.s.b.l. Der Eintritt ist frei, es gelten die zu diesem Zeitpunkt gültigen sanitären Verordnungen.