Mit einer Hand am Pokal
Formel-1-Überflieger Max Verstappen und Red Bull stehen vor dem vorzeitigen WM-Titel
Noch vor einem Jahr tobte zwischen Max Verstappen (NL) und Lewis Hamilton (GB) eine erbitterter Kampf um die WM-Krone. Eine oftmals am Rande der Legalität geführte Auseinandersetzung, welche erst auf unrühmliche Art und Weise in der letzten Runde des letzten Grand Prix durch ein krasses Fehlurteil des damaligen Rennleiters entschieden wurde.
Zwölf Monate später ist alles komplett anders. Der niederländische Red-Bull-Pilot kann, je nach Rennverlauf, bereits an diesem Wochenende beim Grand Prix von Singapur (Start am Sonntag um 14 Uhr Luxemburger Zeit) zum zweiten Mal hintereinander Weltmeister werden – und das sechs Rennen vor Saisonende.
Auf Rekordjagd
Daneben peilt Verstappen, der heute seinen 25. Geburtstag feiert, weitere Bestmarken an. Mit seinem 31. Sieg beim vergangenen Grand Prix in Monza (I) hat er Nigel Mansell (GB) auf Rang sieben der ewigen Bestenliste eingeholt und hat als nächsten Fernando Alonso (E/32 Siege) im Visier. Durch diesen elften Saisonsieg und zugleich fünften in Folge ist auch der Saisonrekord von 13 Erfolgen (Michael Schumacher 2004 und Sebastian Vettel 2013) in greifbare Nähe gerückt.
„Wir erleben gerade ein unfassbares Jahr und es ist wichtig, davon zu profitieren. Das letzte Mal, dass ich eine solche Erfolgssträhne hatte, war in meinem letzten Jahr beim Karting. Aber die Gefühle von damals kann man mit denen von heute nicht vergleichen. Damals war mein Ziel die Formel 1 und ich hatte noch einen langen Weg vor mir, bevor ich hier ankam“, beschreibt der souveräne WM-Leader seine augenblickliche Gefühlslage.
Musste er sich im Vorjahr noch bis zum Schluss mit Widersacher Hamilton regelrecht herumprügeln, so fährt er 2022 fast schon Kreise um seine Gegner. Vor allem ist aus dem in der Vergangenheit oftmals ungestüm agierenden Piloten nach dem ersten Titelgewinn ein wesentlich gereifter Fahrer geworden – Verstappen 2.0.
In Belgien und Italien wegen Wechselns wichtiger Elemente im Motorenbereich weit ins Mittelfeld strafzurückversetzt, behielt er vor allem in der kritischen Anfangsphase
stets die Übersicht, beeindruckte die Gegner und Fans gleichermaßen und belohnte sich selbst mit zwei eindrucksvollen Siegen.
Lob und Resignation
Mit zwei Ausfällen in den ersten drei Rennen sah es zunächst nicht nach der bislang erlebten Verstappen–Dominanz aus. Doch mit der Erfahrung aus fünf Fahrer- und vier Konstrukteurstiteln lief das Red-Bull-Team – zum Leidwesen der unterlegenen Konkurrenz – immer mehr zum schier unbezwingbaren Gegner auf.
Das Team brachte es fertig, im WM-Verlauf ein Auto hinzustellen, das auf allen Kursen perfekt funktionierte. Verstappen dankte dies mit den jüngsten Erfolgen – sowohl auf den schnellen Kursen von Spa-Francorchamps (B) und Monza (I) als auch auf dem engen Dünenkurs im heimischen Zandvoort. Mit dem RB 18 ist dem Ingenieurteam um Adrian Newey (GB), der unter den Konstrukteuren als Genie gilt, bei der Rückkehr zu den sogenannten GroundEffect-Autos (Bodeneffekt) ein mehr als guter Wurf gelungen.
Auch Hamilton, der rechnerisch bereits keine Chance mehr auf den Titel hat und Gefahr läuft, erstmals in seiner 2007 begonnen Grand-Prix-Karriere kein Saisonrennen zu gewinnen, ist voll des Lobes. „Ich muss gestehen, dass Red Bull einen hervorragenden Job macht. Ich bin beeindruckt von Newey und seinem Team und bewundere ihn, da sie die Ground-Effect-Autos auf Anhieb verstanden haben. Ich weiß, dass Newey an der Universität seine Diplomarbeit über diese Autos geschrieben hat. Es ist also keine Überraschung, was er in diesem Jahr geleistet und geschaffen hat“, so der Mercedes-Pilot.
Nachdem Ferrari zunächst die WM anführte, dann aber durch eigene und durchaus vermeidbare Fehler immer mehr ins Hintertreffen gegenüber Red Bull geriet, klingt es im roten Lager dagegen fast schon eher nach Resignation als nach Anerkennung. „Seit dem Grand Prix in Ungarn (Ende Juli) hat der Red Bull eine bessere Leistung als wir. Im Qualifying stimmt es bei uns von der reinen Leistung her, aber im Rennen selbst leiden wir unter dem Reifenabbau. So gesehen denke ich, dass Red Bull das bessere Auto hat“, meint FerrariTeamchef Mattia Binotto.