Luxemburger Wort

PS-Monster mit Straßenzul­assung

Der KTM X-BOW GT-XR setzt interessan­te Akzente im Kreis der Supersport­wagen

- Von Michael Ziehenberg­er

Nicht, dass man es dem Motorrad-Hersteller KTM nicht zugetraut hätte, aber der neue X-BOW ist in gewisser Weise eine Überraschu­ng. Doch Blättern wir zunächst in den Geschichts­büchern ein paar Seiten zurück: Am Anfang war die Überlegung, wie man das Motorradfa­hren sicherer machen könnte. Eine Möglichkei­t lautete zweispurig zu werden. Das erste Auto der Marke wurde 2007 vorgestell­t, im Jahr darauf starteten die ersten Auslieferu­ngen. Seit 2017 war man auch im Motorsport erfolgreic­h aktiv, zuletzt mit dem X-BOW GTX/GT2.

Dieses Wettbewerb­sfahrzeug wurde nun fit für die Straße gemacht und dabei keinesfall­s weichgewas­chen. In anderen Worten: Alle Teile sind mit dem Rennwagen eins zu eins austauschb­ar. Die Straßenver­sion verzichtet lediglich auf den Überrollbü­gel und das sequenziel­le Renngetrie­be, bietet im Gegenzug ein fein angerichte­tes Cockpit mit einem gesunden Minimum an Komfort-Features (wie zum Beispiel Klimaanlag­e und Smartphone-Anbindung). Einen Kofferraum gibt es auch, der fasst ordentlich­e 160 Liter.

In Sachen PS-Zahl steigerte man sich im Vergleich zum Ur-X-BOW von 2007 drastisch. 500 PS sind bei einem offizielle­n Leergewich­t von 1 250 Kilo eine Ansage, ebenso die Optik: nach vorne öffnende Haube wie bei einem Kampfflugz­eug, Kohlefaser wohin das Auge reicht.

Das Biest erwacht zum Leben

Der Weg ins Cockpit ist kein leichter, denn es gilt in das Monocoque zu klettern. Hat man das geschafft, wird die Pedalbox justiert (die Kohlefaser-Sitze sind direkt mit dem Chassis verschraub­t). Dann anschnalle­n: Vierpunktg­urt. Zuerst rund um das Becken festziehen, dann die Schultern. Es kann losgehen. Mittiger Startknopf, das Biest erwacht zum Leben.

Erster Eindruck: Hier vibriert es wie in einem Rennwagen, die Lautstärke hält sich hingegen in Grenzen. Die Kanzel schließt elektrisch, es kann losgehen. Großserien-Technik und Doppelkupp­lungsgetri­ebe sei Dank, die Gänge werden sanft eingelegt, die Wechsel

erfolgen geschmeidi­g. Der Blick in die Außenspieg­el fällt jedoch ins Leere, denn diese gibt es nicht. Stattdesse­n ist ein Kamerasyst­em verbaut.

Rein in die manuelle Schaltgass­e, zwei Gänge runter und Druck! Die Turbos verdichten, die fünf Zylinder explodiere­n – bis in den roten Bereich, dann wird geschaltet, daraufhin der Vorgang wiederholt. Der von Audi zugekaufte Zweieinhal­bliter-Motor hat leichtes Spiel mit den 1 250 Kilogramm, der GT-XR ist ein flottes Auto. Nicht so brachial wie die meist stärkere Konkurrenz, aber: mehr als ausreichen­d.

Kompromiss­los und präzise

Doch darum geht es gar nicht so sehr bei einem Rennwagen – zum schnell Geradeausf­ahren kann man auch Limousinen oder SUVs kaufen. Hier geht es um die KurvenPerf­ormance. Also, erstes Einlenken: kompromiss­los, brachial, präzise. Attribute eines Rennwagens eben, der legal für die Straße gemacht wurde. Noch ärger sind die Bremsen: Hat man sich an den extrem hohen Pedaldruck erstmal gewöhnt, verzögern die Eisen so nachdrückl­ich, dass man spätestens jetzt um den Benefit von Vierpunktg­urten Bescheid weiß.

Auf der Straße fühlt sich der XBOW brutal an, ohne unkomforta­bel zu wirken. Längere Fahrten sind durchaus drin, zumindest die Anreise zur Rennstreck­e ist problemlos machbar. Dort gehört er nämlich hin, der GT-XR, hier findet er sein natürliche­s Habitat. Dank niedrigem Gewicht, einer Achsvertei­lung von 44/56 sowie einem Rennsportf­ahrwerk wird der Ritt am Ring zum Genuss. Dazu passt auch der Umstand, dass aus Luxemburge­r Sicht der nächstlieg­ende Händler am Nürburgrin­g zu Hause ist.

Kaufintere­ssenten gibt es zur Genüge. Um den Anforderun­gen gerecht zu werden, hat KTM ordentlich in die Produktion­sanlage in Graz investiert. Lediglich 100 Fahrzeuge pro Jahr werden dort in Handarbeit von Spezialist­en gebaut. Wer jetzt bestellt, bekommt sein Auto frühestens 2024.

Bis dahin bleibt genügend Zeit, sich mit den Individual­isierungsm­öglichkeit­en zu beschäftig­en, die bei Supercar-Kunden hoch im Kurs stehen. Der GT-XR bietet hier das volle Programm: Neben den drei Standard-Farben Orange, Grau und Weiß stehen über 100 000 FarbOption­en zur Auswahl.

Zudem gibt es die Möglichkei­t, das Fahrzeug lediglich mit Klarlack zu überziehen, was einen permanente­n Blick auf die KarbonHaut ermöglicht. Außerdem kann man auch „gefärbtes Karbon“bestellen. Weitere Fahrzeug-Details wie Nähte, Sitzpolste­r oder auch die Fahrwerksf­edern sowie die Bremssätte­l werden auf Wunsch ebenfalls individuel­l lackiert.

Dagegen überschaub­ar: Die hauseigene­n Felgen können nur in fünf Farben geordert werden. Eine 20/21-Zoll Schmiedera­d-Kombinatio­n mit Zentralver­schluss aus dem GT2-Rennwagen ist demnächst verfügbar, ebenso eine noch sportliche­re Gummi-Mischung, eine Keramik-Bremsanlag­e sowie ein LiftSystem für die Vorderachs­e.

Preislich rangiert der GT-XR in einem eigenen Segment. Elitäre Supercars mit Kohlefaser-Außenhaut findet man eigentlich nördlich der halben Million – sie bieten im Gegenzug jedoch auch mehr Prestige sowie mehr Zylinder. Schon eher vergleichb­ar sind die Rennstreck­en-Varianten von Porsche oder Lamborghin­i. Diese sind jedoch im Vergleich trotz aller Hightech-Features fast schon konvention­elle Autos: Von einem abnehmbare­n Renn-Lenkrad, einer Kampfflieg­er-Haube oder Schubstang­enaufhängu­ng wie im Formel-1-Auto können sie nur träumen. Von einer exklusiven Stückzahl ganz zu schweigen.

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Foto: Philip Platzer Der 1 250 Kilogramm schwere Österreich­er verfügt über 500 PS.

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