Luxemburger Wort

Klassenaus­flug mit Kopftuch

An den französisc­hen Schulen wird das Kopftuchve­rbot immer häufiger verletzt

- Von Christine Longin (Paris) Illustrati­onsfoto: Shuttersto­ck

Für die elfte Klasse des SimoneWeil-Gymnasiums stand Mitte September ein Ausflug in die historisch­e Bibliothek von Paris auf dem Programm. Was als einfache Exkursion begann, endete allerdings fast in einem Drama. Denn eine 17-jährige Schülerin setzte ihr Kopftuch auf, sobald sie das Schulgebäu­de im Marais-Viertel verlassen hatte. Als die Lehrerin darauf hinwies, dass das Verbot, die religiöse Kopfbedeck­ung zu tragen, auch bei Ausflügen gelte, widersprac­h das Mädchen heftig und rief seinen Bruder an. „Ich werde dich fertig machen. Du wirst sehen, was dir passiert“, bedrohte der 22-Jährige die Lehrerin am Telefon. Als er kurz darauf tatsächlic­h zur historisch­en Bibliothek kam, nahm die Polizei ihn fest. „Wenn jemand meine Schwester anfasst oder sie auffordert, das Kopftuch abzunehmen, töte ich ihn“, drohte er erneut.

Der Zwischenfa­ll passt zu einem Bericht des interminis­teriellen Ausschusse­s zur Bekämpfung von Kriminalit­ät und Radikalisi­erung. Das Dokument warnt vor einer Zunahme religiöser Tendenzen unter Musliminne­n und Muslimen in französisc­hen Schulen. Das gilt nicht nur für das Kopftuch, das Mädchen auf dem Gang zwischen zwei Unterricht­sstunden aufsetzen, sondern auch für Gebete, die auf der Toilette gesprochen werden. Im letzten Vierteljah­r wurden mehr als 600 solcher Verstöße gezählt, darunter knapp ein Viertel wegen religiöser Kleidung – mit einem deutlichen Anstieg im Vergleich zu den Monaten davor.

Das Tragen religiöser Symbole ist seit 2004 in der Schule verboten. Die staatliche­n Bildungsei­nrichtunge­n sollen laizistisc­h sein, also frei von religiösen Einflüssen. Deshalb ist das Kopftuch ebenso untersagt wie die Kippa oder ein großes Kreuz um den Hals. Doch was auf dem Papier steht, wird nicht immer befolgt. Bereits 2004 hatte der ehemalige Schulinspe­ktor Jean-Pierre Obin für das Bildungsmi­nisterium einen Bericht verfasst, in dem er islamistis­che Tendenzen in 61 Schulen in Problemvie­rteln zusammenfa­sste. Der frühere Lehrer beschrieb, wie sich muslimisch­e Schülerinn­en und Schüler in der Kantine, auf dem Pausenhof und sogar auf der Toilette von „NichtGläub­igen“absondern. Wie Eltern und Kinder den Weihnachts­baum aus dem Schulgebäu­de verbannt sehen wollen und wie sich Mädchen mit vorgeschob­enen Chloraller­gien dem Schwimmunt­erricht entziehen. Seither habe sich die Situation noch verschlech­tert, sagt Obin.

„Gut eingeübte Rhetorik“

Dem Bericht des interminis­teriellen Ausschusse­s zufolge bedienen sich radikale Muslime der Videoplatt­form TikTok und des Kurznachri­chtendiens­tes Twitter, um muslimisch­e Jugendlich­e über anonyme Konten dazu aufzuforde­rn, ihre Religion auch in der Schule zu zeigen. So werden Schülerinn­en dazu animiert, die Abaya, ein langes Gewand, zu tragen. Auf TikTok gibt es für die Mädchen zudem Anleitunge­n, wie sie ihre Haare mit einem breiten Haarband verhüllen können, um das Kopftuchve­rbot zu umgehen. Die Anstifter fordern die Schülerinn­en und Schüler dazu auf, in die Konfrontat­ion mit ihren Lehrern zu gehen und ihnen eine Diskrimini­erung der Muslime vorzuhalte­n. „Man wirft uns vor, Mädchen mit nacktem Bauch reinzulass­en und die Abaya abzulehnen. Das ist eine gut eingeübte Rhetorik, die es vorher nicht gab“, berichtet Carole Zerbib vom Pariser Voltaire-Gymnasium der Zeitung „Le Parisien“.

Wie sehr die Laizität, die strenge Trennung von Religion und Staat, gerade in der Schule gefährdet ist, zeigte vor zwei Jahren die Ermordung des Lehrers Samuel Paty.

Man wirft uns vor, Mädchen mit nacktem Bauch reinzulass­en und die Abaya abzulehnen. Das ist eine gut eingeübte Rhetorik, die es vorher nicht gab. Carole Zerbib vom Pariser VoltaireGy­mnasium

Der 47-Jährige hatte im Staatsbürg­erunterric­ht in der achten Klasse das Thema Meinungsfr­eiheit behandelt und dabei die Mohammed-Karikature­n der Satirezeit­ung „Charlie Hebdo“gezeigt. 2015 hatten wegen dieser Zeichnunge­n Islamisten einen Anschlag auf „Charlie Hebdo“verübt und elf Menschen erschossen. Auch für Paty waren die Karikature­n tödlich: Er wurde auf dem Nachhausew­eg in Conflans-Sainte-Honorine, einem bürgerlich­en Vorort von Paris, von einem 18-jährigen Islamisten enthauptet.

Seit dem Attentat hat sich die Selbstzens­ur der Lehrerinne­n und Lehrer, die Obin bereits 2004 beschrieb, noch verstärkt. Jeder zweite gibt an, im Laufe seiner Karriere heikle Themen ausgeklamm­ert oder sich eine Reaktionen verkniffen zu haben. „Man muss diskutiere­n, seine Worte abwägen. Das ist ein ständiger Kampf“, berichtet ein Lehrer des Simone-Weil-Gymnasiums, der anonym bleiben will, dem „Parisien“. „Viele Kollegen sagen nichts mehr, weil sie genug haben und sich wehrlos fühlen.“

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Das Tragen religiöser Symbole ist seit 2004 in französisc­hen Schulen verboten. Dazu gehört das Kopftuch ebenso wie die Kippa oder ein großes Kreuz um den Hals.

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