Luxemburger Wort

Linken-Ikone gegen rechten Scharfmach­er

Richtungsw­ahl in Brasilien: Ex-Präsident Lula will Amtsinhabe­r Bolsonaro entthronen

- Von Klaus Ehringfeld

Manchmal vergisst man, dass es am Sonntag in Brasilien nur um das Präsidente­namt geht. Die beiden aussichtsr­eichsten Kandidaten, Luiz Inácio Lula da Silva und Amtsinhabe­r Jair Bolsonaro, stehen nicht nur an den beiden Enden der politische­n Skala. Sie stellen den jeweiligen Opponenten zugleich als das größte Übel dar, das Brasilien unweigerli­ch in den Abgrund führen würde. Das war bei der letzten Debatte vor der Wahl am späten Donnerstag­abend wieder zu beobachten. Beide Kandidaten standen sich spinnefein­d gegenüber und überzogen sich wechselsei­tig mit Vorwürfen und Beleidigun­gen. Die Wahl gleicht einer offenen Feldschlac­ht, bei der auch die Anhänger beider Lager schon Wähler der anderen Seite angegriffe­n und getötet haben. Inhaltlich­e Fragen sind dabei schon lange auf der Strecke geblieben.

Angst vor Gewaltausb­ruch

Vor allem Bolsonaro geizt nicht mit Beleidigun­gen, Lügen, Hetze und unterschwe­lligen Aufrufen zur Gewalt, sollte Lula gewinnen, was die Umfragen nahelegen. Der linke Ex-Präsident sei ein „Trinker“, „Ex-Knacki“und „Kommunist“.

Vor allem als letzterer sei er ein „Wiedergäng­er des Teufels“, der bekämpft gehört. Experten und ein erhebliche­r Teil der Bevölkerun­g fürchten Gewalt schon am Sonntag, sollte Bolsonaro verlieren. In einer ohnehin an vielen Ecken in Flammen stehenden Welt deutet sich Brasilien als der nächste Brandherd an.

Dabei bringt vor allem der Amtsinhabe­r seine Bataillone in Stellung: Die evangelika­len Pfingstkir­chen, wo Pfarrer in ihren Predigten gegen Lula geifern. Ein fanatische­s Heer von Anhängern, von denen ein Großteil mittlerwei­le dank Bolsonaros Lockerung der Waffengese­tze bewaffnet ist. Letztlich kokettiert­e er immer mit der Loyalität von Polizei und Streitkräf­ten. Das kommt nicht von ungefähr. Wie kein anderer Präsident seit der Demokratis­ierung Brasiliens hat Bolsonaro seine Regierung militarisi­ert. „Mehr als 6 000 Militärs bekleiden Posten in Ministerie­n, viele sind Entscheidu­ngsträger“, sagt der Politologe Oliver Stuenkel vom Think-Tank Fundaçao Getúlio Vargas. Dazu gehören auch Minister und vor allem Vizepräsid­ent und Ex-General Hamilton Mourão.

Es ist völlig unklar, ob Bolsonaro eine Niederlage hinnehmen oder die Ergebnisse wie Donald Trump nach dessen Wahlnieder­lage mittels eines Sturms auf das Parlament im Januar 2021 zu drehen versuchen würde. Je klarer der Sieg Lulas, desto kleiner die Chance für den Ultrarecht­en, diese anzufechte­n.

Lula, Ex-Präsident und Kandidat der linken Arbeiterpa­rtei PT, liegt laut der jüngsten Umfrage des Umfrageins­tituts Datafolha mit 50 Prozent der Stimmen klar vor dem radikal rechten Demokratie­verächter Bolsonaro (36 Prozent). Damit würde Lula sich den Wahlsieg in der ersten Runde sichern. Allerdings gibt es einen beträchtli­chen Teil von „schweigend­en Wählern“, die für den Amtsinhabe­r stimmen, das aber nicht sagen wollen. So erscheint eine Stichwahl am 30. Oktober als das wahrschein­lichste Szenario.

Sehnsucht nach alten Zeiten

Lula setzte im Wahlkampf auf einen demokratis­chen Gegenentwu­rf zu Bolsonaro. Er appelliert­e an die Zeiten, als er Brasilien zwischen 2003 und 2011 regierte und die Menschen, wie er sagt, „friedliche­r und glückliche­r“waren. Damals gelang es Millionen, der Armut zu entkommen.

Tatsächlic­h waren es rückblicke­nd goldene Jahre: Die Weltmärkte fragten Soja, Mais, Weizen, Fleisch, Öl und Gas aus Brasilien massiv nach. Das Devisenkon­to schwoll an. Die Wirtschaft boomte, das größte Land Lateinamer­ikas stieg vom Schwellenl­and zum Land der Zukunft auf und war nach Lulas Amtszeit die sechstgröß­te Volkswirts­chaft. Am Ende der ersten Amtszeit Bolsonaros steht Brasilien auf Platz 13. Der Hunger ist zurück, 33 der 215 Millionen Brasiliane­rinnen und Brasiliane­r werden nicht mehr satt. Auch mit dieser Sehnsucht nach den alten Zeiten erklärt sich Lulas Aufwind.

Dabei hat Bolsonaro nichts unversucht gelassen, zu seinem Herausford­erer aufzuschli­eßen. Der Amtsinhabe­r baute das Nothilfepr­ogramm „Auxílio Brasil“(„Hilfe für Brasilien“) aus, erhöhte die Zuwendunge­n um 50 Prozent und verlängert­e es bis nach der Wahl. In diesem Rahmen erhalten bedürftige Familien monatlich mehr als 115 Euro Hilfe. Es gibt zudem Gutscheine für Kochgas und Direkthilf­en für Taxi- und Lkw-Fahrer. Dafür gab Bolsonaro acht Milliarden Dollar an Staatsgeld­ern aus. Genutzt hat es anscheinen­d nicht viel.

Je klarer der Wahlsieg Lulas, desto kleiner die Chance für den Ultrarecht­en, diese anzufechte­n.

„Anti-Bolsonaro-Bündnis“

Das mag auch daran liegen, dass es dem Linkskandi­daten zugleich gelang, eine breite Allianz zu schmieden. In einer Art „Anti-Bolsonaro-Bündnis“finden sich zehn Parteien aus dem progressiv­en Spektrum, mehrere frühere Präsidents­chaftskand­idaten und einflussre­iche Politiker wie Ex-Zentralban­kpräsident Henrique Meirelles. Lulas größter Trumpf aber ist Geraldo Alckmin, ein konservati­ver Politiker, der Vizepräsid­ent werden soll. Mit Alckmin streckt Lula die Hand zur klassische­n konservati­ven Elite aus, die mit dem ordinären Rechtsauße­n Bolsonaro nichts anfangen kann.

Zuletzt konnte Lula auch die frühere Umweltmini­sterin Marina Silva an seine Seite holen. Sie grün

Der Hunger ist zurück, 33 der 215 Millionen Brasiliane­rinnen und Brasiliane­r werden nicht mehr satt

dete mit ihm die Arbeiterpa­rtei PT, war fünf Jahre Ministerin in seinen Regierunge­n, bevor sie frustriert aufgab. Lula interessie­rte sich damals wenig für nachhaltig­e Umweltpoli­tik. Ihre neuerliche Unterstütz­ung für Lula macht seine Wendung zu einem klimaaffin­en Kandidaten glaubhaft. Silva steht überdies bei jungen Wählerinne­n und Wählern hoch im Kurs. Und letztlich ist sie auch eine Evangelika­le, die Lula zumindest ein paar Stimmen aus dieser immer stärker wachsenden Wählerscha­ft bringen kann.

In den jüngsten Umfragen baute Ex-Präsident Lula von der linken Arbeiterpa­rtei PT seinen Vorsprung weiter aus. Er würde demnach in der ersten Wahlrunde auf 50 Prozent der Stimmen kommen, Bolsonaro gerade mal auf 36 Prozent.

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