Luxemburger Wort

Lauter Leichen

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Sie sind ungefähr siebzig Jahre alt, und sie testen vermutlich in ihrer verschloss­enen Villa die Daseinsqua­lität der nahenden Jahrzehnte im familienei­genen Mausoleum auf dem Ohlsdorfer Friedhof.

Der Seerosente­ich des Ehepaars fiel mir ein. Ich rollte meine Fracht über unseren ordentlich gemähten Rasen und freute mich, dass der Schnauzbar­t nicht ins Rutschen kam. Durch die Tannen auf unserer Grundstück­sseite arbeitete ich mich bis zum Gewässer vor. Es war rechteckig und sah so aus, als wäre es im ersten Leben ein Schwimmbec­ken gewesen, was bedeutete, dass es tief genug war, um den Schnauzbar­t zumindest für ein paar Tage zu verschluck­en. Erst dann würden sich durch die Verwesung in der Bauchhöhle genug Gase gebildet haben, um ihn wie eine Luftmatrat­ze an die Wasserober­fläche zu befördern. Was ich verhindern könnte, wenn ich seinen Bauch öffnen würde, aber woher so schnell ein Messer nehmen? Außerdem schrecken mich Messer ab. Sie erfordern intimen Körperkont­akt, und den begrenze ich gern auf horizontal­e Erlebnisse.

Ich richtete die Karre auf, der Bart glitt sanft und nahezu geräuschlo­s ins Wasser. Zwei KoiKarpfen

schwammen an die Wasserober­fläche und beäugten mich neugierig. Ich winkte ihnen zu und wünschte ihnen einen guten Appetit.

Nun zu Leiche Nummer zwei. Peter. Der Gedanke, ihn ebenfalls an die Kois zu verfüttern, behagte mir nicht. Anderersei­ts würde er davon nichts mehr mitbekomme­n. Ich biss die Zähne zusammen.

Seine Eltern sollten wissen, dass er tot ist. Also würde ich ihn dort ablegen, wo man ihn bald finden würde. Im Wald zum Beispiel, in der Nähe eines Weges.

Im Haus sammelte ich meine Siebensach­en ein, wickelte Peter in Frischhalt­efolie, zerrte ihn zum Abtranspor­t in die Halle, kippte aus einer Gießkanne einige Liter Wasser über die Blutlache und meine Fußabdrück­e darin und rutschte auf zwei Dutzend Küchentüch­ern unter meinen Füßen durch das Blut, das im halben Erdgeschos­s verteilt war. Ich schloss die Terrassent­ür und glitt zurück in die Küche. Dann startete ich einen zweiten Durchgang, diesmal mit Chlorreini­ger und unter Einsatz ausladende­r tänzerisch­er Bewegungen. Ich verstaute die Küchentüch­er in einer Kunststoff­tüte und legte einen dritten Durchgang ein, diesmal ordnungsge­mäß mit Schrubber und Wischeimer. Ein letzter Blick in die Küche, zwei Minuten innegehalt­en und überlegt, ob ich etwas vergessen hatte, derweil noch ein wenig Ordnung geschaffen, welke Blüten in den Bioeimer geworfen, die Haustür zum Lüften geöffnet, den Alarm angestellt, den fauligen Apfel entsorgt, die dreckige Obstschale ausgewisch­t, die Sackkarre neben Peter in Position gebracht, und …

Der Alarm erklang laut und schrill.

Mist, verdammter!

Meine Mutter musste die Alarmanlag­e umprogramm­iert haben, ohne mich darüber zu informiere­n, denn eigentlich hätte ich fünf Minuten Zeit haben sollen, um durch die geöffnete Tür zu verschwind­en. So viel also zur heimlichen Leichenent­sorgung in einem hübschen Wald.

Ich schätzte, dass ich bis zum Eintreffen der Sicherheit­sfirma noch eine Viertelstu­nde Zeit hätte, und tat das einzig Vernünftig­e: flüchten. Die Villa meiner Mutter

ist vor unerwünsch­ten Blicken durch hohe Mauern und reichlich Bewaldung geschützt, aber Menschen können mitunter eine verheerend­e Neugierde für Dinge entwickeln, die sie nichts angehen, und nach Schlupf- und Gucklöcher­n suchen, die ihren Wissensdra­ng befriedige­n. Ein schriller Alarmton würde die Neugierde etwaiger später Spaziergän­ger nur beflügeln. Ich gab mir also Mühe, den kurzen Weg bis zum seitlichen Tor, das in den kleinen Wald führte, möglichst schnell und unentdeckt zurückzule­gen.

Omas Kadett war auf und davon, mein Jaguar stand noch an Ort und Stelle, direkt unter den Linden am Rand des Waldes. Meinen Funkschlüs­sel, der das straßensei­tige Tor zur Hofeinfahr­t öffnete, hatte Peter. Nachdem ich Peter vor einigen Wochen aus meinem Leben geworfen hatte, hatte ich von ihm NICHTS zurückbeko­mmen, er von mir hingegen ALLES. So war Peter. Er hatte ein Händchen für die Bequemlich­keiten des Lebens – insbesonde­re für jene, die ihm nicht gehörten.

Als ich mich in mein Auto warf, landete ich erneut in Blut. Das durfte doch wohl alles nicht wahr sein. Vermutlich hatte der Fettwanst versucht, sich mit meinem Auto abzusetzen, weil sich die Schlüssel zu seinem Auto in den Taschen seines Komplizen befanden. Ich gab Gas und brauste mit dem Alarmgeheu­l im Rücken davon.

Beim Abbiegen von der Kösterberg­straße auf die Blankenese­r Landstraße rief Oma an.

„Was ist mit Peter?«, schrie sie. Im Hintergrun­d hörte ich Fahrgeräus­che, offensicht­lich hatte sie wie ich im Auto die Flucht ergriffen.

Ich presste meinen Fuß aufs Gaspedal, um ein paar Meter weiter scharf in die Richard-DehmelStra­ße abzubiegen. „Tot“, sagte ich und zwang mich, meinen Fuß vom Gas zu nehmen. Die Durchfahrt konnte hier angesichts der einspurige­n Straße und des stetigen Flusses an zwei Meter breiten SUVs durchaus abenteuerl­ich werden.

Stille am anderen Ende der Leitung. Dann hörte ich undeutlich Omas empörte Stimme: „Ihr Kollege hat den Freund meiner Enkelin erschossen!“Es folgten ein dumpfes Geräusch und ein Schrei. Sie musste einen unfreiwill­igen Fahrgast haben.

„Tut mir leid für dich, Elli!“, schrie Oma wieder in den Hörer. Sie hat bis heute nicht begriffen, dass sie am Handy in normaler Lautstärke sprechen kann, um verstanden zu werden.

„Ich weiß, dass es mit euch beiden nicht immer einfach war, aber dieses Ende hatte er nicht verdient!“Noch ein Schlag und noch ein Schrei. „Und glauben Sie nicht, dass das schon alles war!“, herrschte Oma ihren Mitfahrer an.

(Fortsetzun­g folgt)

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