Von Blablabla bis staatsmännisch
Fast zwei Stunden dauerte die Rede zur Lage der Nation von Premier Xavier Bettel (DP). Die Reaktionen darauf fielen gemischt aus.
Bei Déi Lénk zeigte man sich nach der Rede wenig überrascht über den Inhalt in Bezug auf die Bekämpfung der Klimakrise. „Wäre ich Greta Thunberg, würde ich sagen: Blablabla. Es brennt, Flüsse trocknen aus, das Land ist geplagt von Überschwemmungen – und dennoch haben wir keine einzige konkrete Maßnahme heute aus der Rede entnehmen können“, monierte die Abgeordnete von Déi Lénk, Myriam Cecchetti. Schönrednerei sei hier das Stichwort, inhaltlich fehle es an konkreten Impulsen, um der Klimakrise entgegenzuwirken. „Der Klimawandel braucht die Politik nicht, aber wir brauchen Politik, wenn wir unsere Klimaziele umsetzen wollen“, so Cecchetti weiter.
Vom zukünftigen Budget erwarten sich Déi Lénk keine „richtige Steuerreform“mehr. „Das wird scheinbar zu teuer“, bemängelt Cecchetti den fehlenden Gestaltungswillen der Regierung. Der Sinn einer Steuerreform sei es, Betriebe an die Kasse zu bitten, die finanziell gut aufgestellt sind, um kleineren Betrieben unter die Arme zu greifen. „Wir müssen das Geld nehmen, wo es ist und es denen geben, die es brauchen. Unter einer solchen Regierung wird es wohl nicht möglich sein.“
Für Co-Fraktionschefin Martine Hansen (CSV) wurden die Abgeordneten eher mit einem „Jahresbericht“konfrontiert, bei dem Premier Bettel Regierungskollegen „auf die Schulter klopfte“als mit einer zukunftsgerichteten Rede, die sich an die gesamte Nation hätte richten sollen. „Er hat an alle Maßnahmen erinnert, die einmal versprochen, aber nie umgesetzt wurden. Jetzt bringt er diese wieder ins Spiel“, kritisiert Hansen unter anderem die versprochene und nie durchgesetzte Steuerreform, auf die der Premier in seiner Rede anspielte und verriet, Finanzministerin Yuriko Backes (DP) würde am Mittwoch eine Anzahl an steuerlichen Ansätzen präsentieren, die zur Entlastung der Bürger führen sollen.
„Die Menschen in diesem Land bleiben auf der Strecke, brauchen aber jetzt Entlastung“, reagierte Hansen auf die Ankündigung des Premiers. Viel erhofft sich Hansen von der Ankündigung der Finanzministerin nicht. Dies liege unter anderem an der aktuellen Verschuldung des Staates: „Dass die Staatsfinanzen nicht nachhaltig sind, liegt daran, dass diese Regierung keine Verantwortung übernommen hat, in guten Zeiten Geld auf die Seite zu legen“, so Hansen.
„Flickschusterei“vor den Wahlen
Man hat das Gefühl, dass nächstes Jahr Wahlen sind und dass die Regierung versucht, ihre Bilanz schönzureden. Sven Clement (Piratenpartei)
Als „Flickschusterei“verstand man bei den Piraten die Rede des Premiers. „Man hat das Gefühl, dass nächstes Jahr Wahlen sind und dass die Regierung versucht, ihre Bilanz schönzureden“, kommentierte Sven Clement (Piratenpartei) die Rede des Premiers. Einige gute Projekte seien erwähnt worden, wie der Wille, die energetische Sanierung voranzubringen oder das Montieren von Fotovoltaikanlagen finanziell zu begünstigen, doch fehle der Rede eine Gesamtvision, so der Pirat. „Premier Bettel hat viel davon erzählt, was er hätte besser machen können. Da würde ich sogar fragen, warum er neun Jahre für diese Einsicht gebraucht hat.“
Besonders einen Fauxpas des Premiers hebt Clement hervor. Dass Xavier Bettel scheinbar Verständnis für die Angst der Menschen vor zukünftigen Stromrechnungen aufzeige, war nicht nach Clements Geschmack: „Er versteht also die Angst, die seine Regierung selbst geschürt hat? Ich glaube eher, dass diese Ängste noch nicht bei Xavier Bettel angekommen sind.“Clement bezog sich hierbei auf die Ankündigung des grünen Energieministers, es werde im Winter zu keinen Stromsperren kommen. Indessen hatten sich in den letzten Tagen noch Betroffene an die Piraten gewendet und davon berichtet, aufgrund unbezahlter Energierechnungen Opfer von Stromsperren geworden zu sein.
Die Rede des Premiers interpretierte man bei der ADR als Zeichen für einen fehlenden Gestaltungswillen seitens der Regierung: „Blau-Rot-Grün verwaltet heutzutage mehr als dass sie regieren“, so der parlamentarische Sprecher der ADR, Fernand Kartheiser. Dass Luxemburg aufgrund seiner Klimapolitik seinen Beitrag zur Klimaneutralität leiste, sei „völlig unrealistisch“und die Ansagen des Premiers zur Wohnungsbaupolitik „ganz schwach“, kritisierte Kartheiser. „Der Premier lobt seine Regierung dafür, dass Wohnen ein Grundrecht ist. Wirklich? Ist eine so selbstverständliche Sache Thema in der Regierung?“
Mit der Warnung des Premiers, durch eine Überschreitung der 30 Prozent-Verschuldungsrate könnte Luxemburg als Wirtschaftsstandort geschwächt werden, zeigte sich besonders Kartheiser zufrieden – der in dem Kontext von einem „Rüffel“gegen die LSAP
Yves Cruchten (LSAP):
„Diese Koalition hat viel geleistet und hat noch viel vor.“ sprach. Denn der finanzielle Spielraum könnte laut der Rede des Premiers in Zukunft enger werden: Eine Verschuldung von 29,5 Prozent könnte Luxemburg bis 2026 bevorstehen. Das zukünftige „Erbe“Gambias sei einem „unnötigen und nicht gemäßen Konsum“geschuldet – eine Finanzentwicklung, um die sich die ADR sorge.
Mehrheitsvertreter sehr zufrieden
DP-Fraktionschef Gilles Baum sprach von einer staatsmännischen Rede vor dem Hintergrund einer tiefen Krise, „etwas, das von manchen Oppositionspolitikern manchmal ausgeblendet wird“. In der jetzigen Situation gehe es darum, die Inflation zu bekämpfen, die Kaufkraft der Haushalte und die Betriebe zu stärken und eine steigende Arbeitslosigkeit zu vermeiden.
Zu den wichtigen Maßnahmen, die umgesetzt werden müssten, zählte Baum Maßnahmen in den Bereichen Klima, Wohnen und Gesundheit. Von einer Endzeitrede der Koalition, wie von der Opposition dargelegt, könne keine Rede sein. „Es ist ganz klar die Rede einer Koalition, die noch Lust hat, weiterzumachen.“Eine dritte Auflage von Blau-RotGrün ist in den Augen des liberalen Frak
tionschefs „durchaus eine Option“. Aus der Rede des Premiers, aber auch „aus Gesprächen mit den Kollegen der LSAP und den Grünen“sei nichts hervorgegangen, was dagegen sprechen würde.
Die Grünen hatten bei ihrer Pressekonferenz zur parlamentarischen Rentrée am Monat klar gemacht, was sie sich für die Zukunft erwarten: eine Politik, die nicht auf Austerität, sondern auf Investitionen setzt. „Was das betrifft, sind unsere Erwartungen erfüllt worden, besonders in den Bereichen Umweltund Klimaschutz sowie im Bereich Wohnen, in denen wir mit einer großen Krise konfrontiert sind“, sagte die grüne Fraktionschefin Josée Lorsché.
„Was noch fehlt, sind konkrete Pisten, die zeigen, dass wir in Luxemburg ein Sozialmodell haben, das auf Solidarität basiert“, meinte Lorsché. Die Schere zwischen Arm und Reich gehe immer weiter auseinander. „Wir müssen uns um die vulnerablen Menschen
Blau-Rot-Grün verwaltet heutzutage mehr als dass sie regieren. Fernand Kartheiser (ADR)
kümmern, die in der Krise noch stärker belastet sind. Da müssen wir noch eine Schippe drauf legen“, so Lorsché. Im Klimaschutz müsse es gelingen, die Menschen mit ins Boot zu nehmen, „damit wir unabhängig von fossilen Energieträgern werden“.
LSAP-Fraktionschef Yves Cruchten fand, „dass diese Koalition viel geleistet hat und noch viel vorhat“. In der aktuellen Krise hätten viele Menschen Zukunftsängste. „Es ist wichtig für sie zu wissen, dass wir uns um ihr Wohl kümmern“, meinte Cruchten.
Premier Xavier Bettel sei es gelungen, den Menschen in der aktuellen Krise Sicherheit und Vertrauen zu geben. Im Bereich Energietransition und in Bezug auf die Hilfen für die Wirtschaft habe der Premier ganz präzise Maßnahmen aufgezählt. Es sei auch wichtig gewesen, noch einmal auf das funktionierende Sozialmodell hinzuweisen. „Das ist nicht in allen Ländern so garantiert wie bei uns.“
Im Streit ums Nordirland-Protokoll hat man kürzlich überraschende Worte vernommen, sowohl aus London als auch aus Dublin. Zuerst entschuldigte sich Steve Baker, Brexit-Hardliner vom rechten Rand der Tory-Partei, für seine eigene Borniertheit. Er und seine Kollegen hätten in den vergangenen Jahren wenig getan, um das Vertrauen Irlands und der Europäischen Union zu gewinnen, sagte er vor einer Woche. „Dafür entschuldige ich mich, denn die Beziehungen zu Irland sind nicht da, wo sie sein sollten, und wir werden extrem hart arbeiten müssen, um sie zu verbessern.“
Wenige Tage später zeigte der stellvertretende irische Regierungschef Leo Varadkar eine ebenso ungewohnte Kulanz: Das Nordirland-Protokoll sei „ein bisschen zu strikt“, gestand er ein. Es gebe durchaus Raum für „mehr Flexibilität“.
Lernkurve der Premierministerin
Die Kommentare geben die derzeitige Stimmung gut wieder: Nachdem der Zwist ums nordirische Grenzregime seit bald zwei Jahren für Reibungen zwischen Großbritannien und der EU gesorgt hat, ist auf einmal so etwas wie Harmonie ausgebrochen. Zumindest sieht es so aus, als habe sich der Streit merklich entspannt. Beim Disput geht es um die Grenzkontrollen zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem britischen Festland, die im Zug des EU-Austritts eingeführt wurden. Das sogenannte Nordirland-Protokoll, das Teil des BrexitVertrags bildet, schreibt dieses Grenzregime vor – aber auf britischer Seite hat es für viel Frust gesorgt. Der Vorwurf lautet, dass die EU das Protokoll viel zu streng auslege und damit nordirischen Importfirmen schade.
Während der Sommermonate, als Liz Truss einen bitteren Wahlkampf ums Premierministeramt führte, gab sich die heutige Regierungschefin kämpferisch. Im August etwa drohte sie damit, das Protokoll unilateral auszusetzen – womit sie den Streit mit der EU endgültig eskaliert hätte. Aber in den letzten Wochen ist die Regierung zunehmend von dieser konfrontativen Haltung abgekommen. Als die Protokoll-Gespräche zwischen London und der EU letzte Woche nach mehrmonatiger Pause wiederaufgenommen wurden, war die Stimmung auf jeden Fall prächtig. „Wir sind guter Dinge und arbeiten in guter Zusammenarbeit, um die Probleme mit dem Protokoll
Wir sind guter Dinge und arbeiten in guter Zusammenarbeit, um die Probleme mit dem Protokoll zu beheben. Chris Heaton-Harris, britischer Nordirland-Minister
zu beheben“, sagte der britische Nordirland-Minister Chris Heaton-Harris am Freitag.
Der irische Außenminister Simon Coveney meinte, dass er zum ersten Mal seit langer Zeit „wirkliche Anstrengungen“sehe, eine Einigung zu erzielen. Die beiden Minister hatten sich zur British-Irish Intergovernmental Conference in London getroffen, einer bilateralen Konferenz, die seit dem nordirischen Friedensabkommen 1998 abgehalten wird. Im Anschluss an die Konferenz sagte Simon Coveney zu den Protokoll-Gesprächen: „Wir versuchen, ein Unentschieden von null zu null zu erreichen, bei dem beide Seiten das Gefühl haben, weder gewonnen noch verloren zu haben.“
Dass sich die britische Regierung verstärkt um eine Einigung bemüht, hat sowohl innenpolitische als auch außenpolitische Gründe. Die russische Invasion in der Ukraine habe London den Wert einer Annäherung an Europa vor Augen geführt, sagt Brexit-Fan Steve Baker. Dazu kommt, dass die Regierung schon alle Hände voll zu tun hat. Vor allem die wirtschaftlichen Turbulenzen, die ihre Steuersenkungspolitik jüngst auslösten, haben Liz Truss stark in Bedrängnis gebracht. Da käme es ihr wohl gelegen, wenn sie wenigstens das Verhältnis zur EU verbessern könnte, um nicht an mehreren Fronten gleichzeitig kämpfen zu müssen.
Annäherung an Brüssel
Auch haben manche Regierungsinsider gegenüber der britischen Presse angedeutet, dass der Brexit in den nächsten Wahlen für die Bevölkerung keine große Priorität haben würde. Viel Energie darauf zu verwenden, würde sich also kaum auszahlen.
Dass die Premierministerin an einer Entspannung im Verhältnis zur EU interessiert ist, zeigt auch ihre Teilnahme am Gipfel der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) am vergangenen Freitag, einem neuen diplomatischen Forum. Anfänglich hatte sich Truss distanziert von der EPG, entschloss sich aber am Ende dennoch, zum ersten Gipfeltreffen nach Prag zu reisen – wenn sie auch betonte, dass dies überhaupt nicht als eine Annäherung an die EU gelesen werden sollte. Sie forderte sogar, dass keine EU-Flaggen gezeigt werden.
Dennoch überwogen bei dem Treffen positive Töne. Truss nannte den französischen Präsidenten Emmanuel Macron explizit einen „Freund“; während des Wahlkampfs im Sommer hatte sie sich noch weit unverbindlicher gegeben.