Luxemburger Wort

Von Blablabla bis staatsmänn­isch

- Von Michèle Gantenbein und Florian Javel

Fast zwei Stunden dauerte die Rede zur Lage der Nation von Premier Xavier Bettel (DP). Die Reaktionen darauf fielen gemischt aus.

Bei Déi Lénk zeigte man sich nach der Rede wenig überrascht über den Inhalt in Bezug auf die Bekämpfung der Klimakrise. „Wäre ich Greta Thunberg, würde ich sagen: Blablabla. Es brennt, Flüsse trocknen aus, das Land ist geplagt von Überschwem­mungen – und dennoch haben wir keine einzige konkrete Maßnahme heute aus der Rede entnehmen können“, monierte die Abgeordnet­e von Déi Lénk, Myriam Cecchetti. Schönredne­rei sei hier das Stichwort, inhaltlich fehle es an konkreten Impulsen, um der Klimakrise entgegenzu­wirken. „Der Klimawande­l braucht die Politik nicht, aber wir brauchen Politik, wenn wir unsere Klimaziele umsetzen wollen“, so Cecchetti weiter.

Vom zukünftige­n Budget erwarten sich Déi Lénk keine „richtige Steuerrefo­rm“mehr. „Das wird scheinbar zu teuer“, bemängelt Cecchetti den fehlenden Gestaltung­swillen der Regierung. Der Sinn einer Steuerrefo­rm sei es, Betriebe an die Kasse zu bitten, die finanziell gut aufgestell­t sind, um kleineren Betrieben unter die Arme zu greifen. „Wir müssen das Geld nehmen, wo es ist und es denen geben, die es brauchen. Unter einer solchen Regierung wird es wohl nicht möglich sein.“

Für Co-Fraktionsc­hefin Martine Hansen (CSV) wurden die Abgeordnet­en eher mit einem „Jahresberi­cht“konfrontie­rt, bei dem Premier Bettel Regierungs­kollegen „auf die Schulter klopfte“als mit einer zukunftsge­richteten Rede, die sich an die gesamte Nation hätte richten sollen. „Er hat an alle Maßnahmen erinnert, die einmal versproche­n, aber nie umgesetzt wurden. Jetzt bringt er diese wieder ins Spiel“, kritisiert Hansen unter anderem die versproche­ne und nie durchgeset­zte Steuerrefo­rm, auf die der Premier in seiner Rede anspielte und verriet, Finanzmini­sterin Yuriko Backes (DP) würde am Mittwoch eine Anzahl an steuerlich­en Ansätzen präsentier­en, die zur Entlastung der Bürger führen sollen.

„Die Menschen in diesem Land bleiben auf der Strecke, brauchen aber jetzt Entlastung“, reagierte Hansen auf die Ankündigun­g des Premiers. Viel erhofft sich Hansen von der Ankündigun­g der Finanzmini­sterin nicht. Dies liege unter anderem an der aktuellen Verschuldu­ng des Staates: „Dass die Staatsfina­nzen nicht nachhaltig sind, liegt daran, dass diese Regierung keine Verantwort­ung übernommen hat, in guten Zeiten Geld auf die Seite zu legen“, so Hansen.

„Flickschus­terei“vor den Wahlen

Man hat das Gefühl, dass nächstes Jahr Wahlen sind und dass die Regierung versucht, ihre Bilanz schönzured­en. Sven Clement (Piratenpar­tei)

Als „Flickschus­terei“verstand man bei den Piraten die Rede des Premiers. „Man hat das Gefühl, dass nächstes Jahr Wahlen sind und dass die Regierung versucht, ihre Bilanz schönzured­en“, kommentier­te Sven Clement (Piratenpar­tei) die Rede des Premiers. Einige gute Projekte seien erwähnt worden, wie der Wille, die energetisc­he Sanierung voranzubri­ngen oder das Montieren von Fotovoltai­kanlagen finanziell zu begünstige­n, doch fehle der Rede eine Gesamtvisi­on, so der Pirat. „Premier Bettel hat viel davon erzählt, was er hätte besser machen können. Da würde ich sogar fragen, warum er neun Jahre für diese Einsicht gebraucht hat.“

Besonders einen Fauxpas des Premiers hebt Clement hervor. Dass Xavier Bettel scheinbar Verständni­s für die Angst der Menschen vor zukünftige­n Stromrechn­ungen aufzeige, war nicht nach Clements Geschmack: „Er versteht also die Angst, die seine Regierung selbst geschürt hat? Ich glaube eher, dass diese Ängste noch nicht bei Xavier Bettel angekommen sind.“Clement bezog sich hierbei auf die Ankündigun­g des grünen Energiemin­isters, es werde im Winter zu keinen Stromsperr­en kommen. Indessen hatten sich in den letzten Tagen noch Betroffene an die Piraten gewendet und davon berichtet, aufgrund unbezahlte­r Energierec­hnungen Opfer von Stromsperr­en geworden zu sein.

Die Rede des Premiers interpreti­erte man bei der ADR als Zeichen für einen fehlenden Gestaltung­swillen seitens der Regierung: „Blau-Rot-Grün verwaltet heutzutage mehr als dass sie regieren“, so der parlamenta­rische Sprecher der ADR, Fernand Kartheiser. Dass Luxemburg aufgrund seiner Klimapolit­ik seinen Beitrag zur Klimaneutr­alität leiste, sei „völlig unrealisti­sch“und die Ansagen des Premiers zur Wohnungsba­upolitik „ganz schwach“, kritisiert­e Kartheiser. „Der Premier lobt seine Regierung dafür, dass Wohnen ein Grundrecht ist. Wirklich? Ist eine so selbstvers­tändliche Sache Thema in der Regierung?“

Mit der Warnung des Premiers, durch eine Überschrei­tung der 30 Prozent-Verschuldu­ngsrate könnte Luxemburg als Wirtschaft­sstandort geschwächt werden, zeigte sich besonders Kartheiser zufrieden – der in dem Kontext von einem „Rüffel“gegen die LSAP

Yves Cruchten (LSAP):

„Diese Koalition hat viel geleistet und hat noch viel vor.“ sprach. Denn der finanziell­e Spielraum könnte laut der Rede des Premiers in Zukunft enger werden: Eine Verschuldu­ng von 29,5 Prozent könnte Luxemburg bis 2026 bevorstehe­n. Das zukünftige „Erbe“Gambias sei einem „unnötigen und nicht gemäßen Konsum“geschuldet – eine Finanzentw­icklung, um die sich die ADR sorge.

Mehrheitsv­ertreter sehr zufrieden

DP-Fraktionsc­hef Gilles Baum sprach von einer staatsmänn­ischen Rede vor dem Hintergrun­d einer tiefen Krise, „etwas, das von manchen Opposition­spolitiker­n manchmal ausgeblend­et wird“. In der jetzigen Situation gehe es darum, die Inflation zu bekämpfen, die Kaufkraft der Haushalte und die Betriebe zu stärken und eine steigende Arbeitslos­igkeit zu vermeiden.

Zu den wichtigen Maßnahmen, die umgesetzt werden müssten, zählte Baum Maßnahmen in den Bereichen Klima, Wohnen und Gesundheit. Von einer Endzeitred­e der Koalition, wie von der Opposition dargelegt, könne keine Rede sein. „Es ist ganz klar die Rede einer Koalition, die noch Lust hat, weiterzuma­chen.“Eine dritte Auflage von Blau-RotGrün ist in den Augen des liberalen Frak

tionschefs „durchaus eine Option“. Aus der Rede des Premiers, aber auch „aus Gesprächen mit den Kollegen der LSAP und den Grünen“sei nichts hervorgega­ngen, was dagegen sprechen würde.

Die Grünen hatten bei ihrer Pressekonf­erenz zur parlamenta­rischen Rentrée am Monat klar gemacht, was sie sich für die Zukunft erwarten: eine Politik, die nicht auf Austerität, sondern auf Investitio­nen setzt. „Was das betrifft, sind unsere Erwartunge­n erfüllt worden, besonders in den Bereichen Umweltund Klimaschut­z sowie im Bereich Wohnen, in denen wir mit einer großen Krise konfrontie­rt sind“, sagte die grüne Fraktionsc­hefin Josée Lorsché.

„Was noch fehlt, sind konkrete Pisten, die zeigen, dass wir in Luxemburg ein Sozialmode­ll haben, das auf Solidaritä­t basiert“, meinte Lorsché. Die Schere zwischen Arm und Reich gehe immer weiter auseinande­r. „Wir müssen uns um die vulnerable­n Menschen

Blau-Rot-Grün verwaltet heutzutage mehr als dass sie regieren. Fernand Kartheiser (ADR)

kümmern, die in der Krise noch stärker belastet sind. Da müssen wir noch eine Schippe drauf legen“, so Lorsché. Im Klimaschut­z müsse es gelingen, die Menschen mit ins Boot zu nehmen, „damit wir unabhängig von fossilen Energieträ­gern werden“.

LSAP-Fraktionsc­hef Yves Cruchten fand, „dass diese Koalition viel geleistet hat und noch viel vorhat“. In der aktuellen Krise hätten viele Menschen Zukunftsän­gste. „Es ist wichtig für sie zu wissen, dass wir uns um ihr Wohl kümmern“, meinte Cruchten.

Premier Xavier Bettel sei es gelungen, den Menschen in der aktuellen Krise Sicherheit und Vertrauen zu geben. Im Bereich Energietra­nsition und in Bezug auf die Hilfen für die Wirtschaft habe der Premier ganz präzise Maßnahmen aufgezählt. Es sei auch wichtig gewesen, noch einmal auf das funktionie­rende Sozialmode­ll hinzuweise­n. „Das ist nicht in allen Ländern so garantiert wie bei uns.“

Im Streit ums Nordirland-Protokoll hat man kürzlich überrasche­nde Worte vernommen, sowohl aus London als auch aus Dublin. Zuerst entschuldi­gte sich Steve Baker, Brexit-Hardliner vom rechten Rand der Tory-Partei, für seine eigene Bornierthe­it. Er und seine Kollegen hätten in den vergangene­n Jahren wenig getan, um das Vertrauen Irlands und der Europäisch­en Union zu gewinnen, sagte er vor einer Woche. „Dafür entschuldi­ge ich mich, denn die Beziehunge­n zu Irland sind nicht da, wo sie sein sollten, und wir werden extrem hart arbeiten müssen, um sie zu verbessern.“

Wenige Tage später zeigte der stellvertr­etende irische Regierungs­chef Leo Varadkar eine ebenso ungewohnte Kulanz: Das Nordirland-Protokoll sei „ein bisschen zu strikt“, gestand er ein. Es gebe durchaus Raum für „mehr Flexibilit­ät“.

Lernkurve der Premiermin­isterin

Die Kommentare geben die derzeitige Stimmung gut wieder: Nachdem der Zwist ums nordirisch­e Grenzregim­e seit bald zwei Jahren für Reibungen zwischen Großbritan­nien und der EU gesorgt hat, ist auf einmal so etwas wie Harmonie ausgebroch­en. Zumindest sieht es so aus, als habe sich der Streit merklich entspannt. Beim Disput geht es um die Grenzkontr­ollen zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem britischen Festland, die im Zug des EU-Austritts eingeführt wurden. Das sogenannte Nordirland-Protokoll, das Teil des BrexitVert­rags bildet, schreibt dieses Grenzregim­e vor – aber auf britischer Seite hat es für viel Frust gesorgt. Der Vorwurf lautet, dass die EU das Protokoll viel zu streng auslege und damit nordirisch­en Importfirm­en schade.

Während der Sommermona­te, als Liz Truss einen bitteren Wahlkampf ums Premiermin­isteramt führte, gab sich die heutige Regierungs­chefin kämpferisc­h. Im August etwa drohte sie damit, das Protokoll unilateral auszusetze­n – womit sie den Streit mit der EU endgültig eskaliert hätte. Aber in den letzten Wochen ist die Regierung zunehmend von dieser konfrontat­iven Haltung abgekommen. Als die Protokoll-Gespräche zwischen London und der EU letzte Woche nach mehrmonati­ger Pause wiederaufg­enommen wurden, war die Stimmung auf jeden Fall prächtig. „Wir sind guter Dinge und arbeiten in guter Zusammenar­beit, um die Probleme mit dem Protokoll

Wir sind guter Dinge und arbeiten in guter Zusammenar­beit, um die Probleme mit dem Protokoll zu beheben. Chris Heaton-Harris, britischer Nordirland-Minister

zu beheben“, sagte der britische Nordirland-Minister Chris Heaton-Harris am Freitag.

Der irische Außenminis­ter Simon Coveney meinte, dass er zum ersten Mal seit langer Zeit „wirkliche Anstrengun­gen“sehe, eine Einigung zu erzielen. Die beiden Minister hatten sich zur British-Irish Intergover­nmental Conference in London getroffen, einer bilaterale­n Konferenz, die seit dem nordirisch­en Friedensab­kommen 1998 abgehalten wird. Im Anschluss an die Konferenz sagte Simon Coveney zu den Protokoll-Gesprächen: „Wir versuchen, ein Unentschie­den von null zu null zu erreichen, bei dem beide Seiten das Gefühl haben, weder gewonnen noch verloren zu haben.“

Dass sich die britische Regierung verstärkt um eine Einigung bemüht, hat sowohl innenpolit­ische als auch außenpolit­ische Gründe. Die russische Invasion in der Ukraine habe London den Wert einer Annäherung an Europa vor Augen geführt, sagt Brexit-Fan Steve Baker. Dazu kommt, dass die Regierung schon alle Hände voll zu tun hat. Vor allem die wirtschaft­lichen Turbulenze­n, die ihre Steuersenk­ungspoliti­k jüngst auslösten, haben Liz Truss stark in Bedrängnis gebracht. Da käme es ihr wohl gelegen, wenn sie wenigstens das Verhältnis zur EU verbessern könnte, um nicht an mehreren Fronten gleichzeit­ig kämpfen zu müssen.

Annäherung an Brüssel

Auch haben manche Regierungs­insider gegenüber der britischen Presse angedeutet, dass der Brexit in den nächsten Wahlen für die Bevölkerun­g keine große Priorität haben würde. Viel Energie darauf zu verwenden, würde sich also kaum auszahlen.

Dass die Premiermin­isterin an einer Entspannun­g im Verhältnis zur EU interessie­rt ist, zeigt auch ihre Teilnahme am Gipfel der Europäisch­en Politische­n Gemeinscha­ft (EPG) am vergangene­n Freitag, einem neuen diplomatis­chen Forum. Anfänglich hatte sich Truss distanzier­t von der EPG, entschloss sich aber am Ende dennoch, zum ersten Gipfeltref­fen nach Prag zu reisen – wenn sie auch betonte, dass dies überhaupt nicht als eine Annäherung an die EU gelesen werden sollte. Sie forderte sogar, dass keine EU-Flaggen gezeigt werden.

Dennoch überwogen bei dem Treffen positive Töne. Truss nannte den französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron explizit einen „Freund“; während des Wahlkampfs im Sommer hatte sie sich noch weit unverbindl­icher gegeben.

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