Das Recht, nicht arm zu sein
Am 17. Oktober wird der Welttag der Bekämpfung der Armut begangen
Was ist Armut?
Sind es Zahlen? Wenn dem so ist, dann muss man feststellen, dass das statistische Armutsrisiko in der Luxemburger Gesellschaft mittlerweile bei fast 20 Prozent liegt. Wohlwissend, dass die Energiekrise noch nicht eingerechnet ist …
Das bedeutet übrigens nicht, dass jeder Fünfte am Hungertuch nagt. Es bedeutet etwas viel Subtileres, ja sehr Gefährliches. Die 20 Prozent sagen aus, dass es viele Menschen in Luxemburg gibt, die sich das Leben und seine hohen Standards nicht leisten können. Sie kommen nicht mit. Sie sind ständig auf fremde Hilfe angewiesen, immer abhängig. Manche von ihnen sind durch Unfälle, Schicksalsschläge oder psychische Lasten nicht mehr stark genug, um sich selber zu befreien. Es wird zum Teufelskreis.
Die 20 Prozent sagen aus, dass jeder Fünfte eigentlich gegenüber der Gesamtgesellschaft ungerecht wenig Achtung, Geld und Zukunftschancen hat. Und sich auch nicht viel leisten kann. Und deswegen vielleicht gemobbt, gemieden oder ausgeschlossen wird. Dies sind soziale Ungleichheiten, die sehr zu denken geben. wir darauf hinweisen, dass wir als CSV immer wieder auf das „PIB du bienêtre“bestehen. Das Entscheidende im Leben ist, dass es den Menschen gut geht. Dass es Ihnen, liebe Leser, gut geht. Natürlich spielen dabei die Finanzen eine sehr große Rolle. Das Bruttosozialprodukt ist für einen Staat sehr relevant, genauso wichtig wie das berühmte „Triple A“.
Und doch geht das Wohlbefinden viel weiter. Wir wollen in einer Welt leben, die uns weder Angst noch Sorgen bereitet. In der Tyrannen nicht mehr die halbe Welt in virtuelle Geiselhaft nehmen. In der die erneuerbaren Energien derart ausgebaut sind, dass uns weder Atom noch CO2 Angst machen. In der die Landwirtschaft dermaßen blüht, dass wir eine große gesunde Lebensmittelsicherheit haben. In der die Natur wieder in die Städte und Ortschaften zurückkehrt und unsere Lebensorte klimaresilient macht. In der Homeoffice – wenn gewünscht – Normalität ist. In der der Elternurlaub die Priorität der Familie unterstreicht, die Ausbildung zu dem Beruf führt, mit dem wir zufrieden leben, und wir wieder erschwinglich wohnen können.
Menschen haben es verdient, zufrieden und ohne Scham leben zu dürfen.
Die Statistiken zeigen, dass viele staatlichen und kommunalen Hilfen gegen die Armut nicht in Anspruch genommen werden. Vielleicht wegen zu komplizierter Formulare. Vielleicht aus Unkenntnis. Vielleicht aber auch gerade wegen der Scham.
Armut ist nämlich auch ein Lebensgefühl. Und ein negatives Wort. Niemand will damit assoziiert werden. Sogar jene, die objektiv in Armut leben, sagen sich gegenseitig, dass sie starke Menschen sind, reich an Emotionen, Mut und Menschlichkeit. Schon alleine deswegen müssen wir ein deutliches Ziel haben: „Zero poverty“– keine Armut mehr!
Sollten Sie im Falle sein, dass Sie sich das Leben in Luxemburg finanziell nicht mehr leisten können, wollen wir Sie wärmstens ermutigen, sich an das „Office social“ihrer Gemeinde zu wenden. Diskretion ist dabei Ehrensache.
Die Armut verbirgt eine ganz fundamentale Wahrheit
Damit kommen wir der Wahrheit immer näher. Was ist Armut?
Ja, zum Thema Armut gehören Zahlen und Statistiken. Ja, die politische Antwort auf die Armut liegt in vielen kleinen und großen Maßnahmen, vor allem in einer gesunden sozialen Selektivität und der Maxime, alle Menschen aus der Gesellschaft „mitzunehmen“. Und ja, Armut, das sind Gefühle und Scham.
Und doch ist Armut viel mehr als das. Armut – das sind vor allem Menschen. Denn hinter jeder Situation, die wir als „arm“bezeichnen, steht ein Mensch. Ein Schicksal. Und damit gibt es in der Armut auch Rechte, ja Menschenrechte: Das Recht, nicht arm sein zu müssen!
Armut – dahinter stehen Namen. Für uns als CSV stehen die Menschen im Mittelpunkt. Und angesichts von Armut und Armutsrisiko sagen wir deutlich: Das Ziel muss „Zero poverty“sein! In Luxemburg muss jeder und jede die Möglichkeit haben, ein würdiges Leben zu führen.
Natürlich ergeben sich daraus viele politische Entscheidungen. Wir sind bereit. Bereit, um die Wohnungskrise anzupacken. Bereit, um handfeste Sozialpolitik für die wirklich Abgehängten zu gestalten. Bereit, die „Offices sociaux“zu stärken, so wie wir es schon lange fordern. Bereit, um an einer großen Steuerreform mitzuarbeiten. Bereit, die Zufriedenheit und mentale Gesundheit der Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Bereit, um allen Bürgerinnen und Bürgern die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen, um die klimatische Transition zu schaffen. Und bereit, um die Schere zwischen Arm und Reich mehr und mehr zu schließen, durch eine gerechte, umsichtige Umverteilung. Die uns vor allem ein sehr wichtiges und wünschenswertes Ergebnis bringt: Eine Gesellschaft, die zusammenhält und zusammensteht. In der es wieder normal wird, sich füreinander einzusetzen. Und in der es keine Vergessenen gibt.
Armut ist keine Fatalität, Armut kann bekämpft werden
Am 17. Oktober wird jedes Jahr der Welttag der Bekämpfung der Armut begangen. Er erinnert an den 17. Oktober 1987, als in Paris Menschen sich versammelten auf Initiative der auch in Luxemburg bekannten Organisation „ATD Quart Monde“. Diese Menschenrechtsverteidiger*innen haben auf dem Trocadero, nicht weit vom Eiffelturm, an die weltweiten Opfer von Armut erinnert und vor allem proklamiert: „Armut ist keine Fatalität!“In anderen Worten: Armut kann bekämpft werden! „Null Armut“ist möglich!
Armut in Luxemburg ist zum Teil versteckter und subtiler als in Ländern auf dem Weg der Entwicklung in Afrika, Südamerika oder anderswo. Dort zeigt sie sich oft im Verhungern und Verdursten, in heftiger Kriminalität und systemischer
Korruption; hier zeigt sie sich auf der Straße, in Drogenzentren, aber auch ganz subtil durch Ausschluss, Diskriminierung, finanzielle Nöte, Kinder ohne Perspektiven, Verzweiflung und Ablehnung von Staat und Politik. Aber überall muss unsere Reaktion dieselbe sein: Die Menschen haben Besseres verdient als Armut.
Wir alle können einen Unterschied machen
Deswegen ist es wichtig, einen solchen Tag zu begehen. Man kann ihn als Bürgerin oder Bürger auch für sich bedenken. Zum Beispiel, indem man sich das Phänomen der Armut in Luxemburg vor Augen führt. Oder, indem man in der eigenen Umgebung und Nachbarschaft den Blick schärft für Menschen, die möglicherweise betroffen sind. Man kann ihn begehen, indem man gute Werke zu Hause oder weltweit unterstützt. Oder indem man von der Politik ein konsequenteres Vorgehen fordert. Und falls man die eigene Sensibilität für das Thema Armut auf den sozialen Medien teilen will, kann man Hashtags wie #ZeroPoverty oder #EndPoverty gebrauchen.
Als Politiker tun wir unseren Teil, in der Chamber und in den vielen Gemeinden unseres Landes. Auf Betreiben der CSV ist bereits ein Begleitkomitee zum alljährlichen Bericht des Statec zu Arbeit und gesellschaftlichem Zusammenhalt entstanden. Hier werden die aktuell relevanten Perspektiven auf das Thema Armut diskutiert. Der neueste Bericht ist in diesen Tagen erschienen.
Wir wollen eine längst fällige Strategie. Damit Armut keine Fatalität ist und ihre Bekämpfung kein Zufallsprodukt. Und wir danken den vielen Menschen und Organisationen, die sich für die Beendigung von Armut einsetzen. In diesem Sinne: „Zero Poverty“, auch in Luxemburg!
Paul Galles ist CSV-Abgeordneter und Gemeiderat in Luxemburg-Stadt; Jean-Paul Schaaf ist CSV-Abgeordneter und Bürgermeister in Ettelbrück.