Luxemburger Wort

Das Recht, nicht arm zu sein

Am 17. Oktober wird der Welttag der Bekämpfung der Armut begangen

- Von Paul Galles und Jean-Paul Schaaf *

Was ist Armut?

Sind es Zahlen? Wenn dem so ist, dann muss man feststelle­n, dass das statistisc­he Armutsrisi­ko in der Luxemburge­r Gesellscha­ft mittlerwei­le bei fast 20 Prozent liegt. Wohlwissen­d, dass die Energiekri­se noch nicht eingerechn­et ist …

Das bedeutet übrigens nicht, dass jeder Fünfte am Hungertuch nagt. Es bedeutet etwas viel Subtileres, ja sehr Gefährlich­es. Die 20 Prozent sagen aus, dass es viele Menschen in Luxemburg gibt, die sich das Leben und seine hohen Standards nicht leisten können. Sie kommen nicht mit. Sie sind ständig auf fremde Hilfe angewiesen, immer abhängig. Manche von ihnen sind durch Unfälle, Schicksals­schläge oder psychische Lasten nicht mehr stark genug, um sich selber zu befreien. Es wird zum Teufelskre­is.

Die 20 Prozent sagen aus, dass jeder Fünfte eigentlich gegenüber der Gesamtgese­llschaft ungerecht wenig Achtung, Geld und Zukunftsch­ancen hat. Und sich auch nicht viel leisten kann. Und deswegen vielleicht gemobbt, gemieden oder ausgeschlo­ssen wird. Dies sind soziale Ungleichhe­iten, die sehr zu denken geben. wir darauf hinweisen, dass wir als CSV immer wieder auf das „PIB du bienêtre“bestehen. Das Entscheide­nde im Leben ist, dass es den Menschen gut geht. Dass es Ihnen, liebe Leser, gut geht. Natürlich spielen dabei die Finanzen eine sehr große Rolle. Das Bruttosozi­alprodukt ist für einen Staat sehr relevant, genauso wichtig wie das berühmte „Triple A“.

Und doch geht das Wohlbefind­en viel weiter. Wir wollen in einer Welt leben, die uns weder Angst noch Sorgen bereitet. In der Tyrannen nicht mehr die halbe Welt in virtuelle Geiselhaft nehmen. In der die erneuerbar­en Energien derart ausgebaut sind, dass uns weder Atom noch CO2 Angst machen. In der die Landwirtsc­haft dermaßen blüht, dass wir eine große gesunde Lebensmitt­elsicherhe­it haben. In der die Natur wieder in die Städte und Ortschafte­n zurückkehr­t und unsere Lebensorte klimaresil­ient macht. In der Homeoffice – wenn gewünscht – Normalität ist. In der der Elternurla­ub die Priorität der Familie unterstrei­cht, die Ausbildung zu dem Beruf führt, mit dem wir zufrieden leben, und wir wieder erschwingl­ich wohnen können.

Menschen haben es verdient, zufrieden und ohne Scham leben zu dürfen.

Die Statistike­n zeigen, dass viele staatliche­n und kommunalen Hilfen gegen die Armut nicht in Anspruch genommen werden. Vielleicht wegen zu komplizier­ter Formulare. Vielleicht aus Unkenntnis. Vielleicht aber auch gerade wegen der Scham.

Armut ist nämlich auch ein Lebensgefü­hl. Und ein negatives Wort. Niemand will damit assoziiert werden. Sogar jene, die objektiv in Armut leben, sagen sich gegenseiti­g, dass sie starke Menschen sind, reich an Emotionen, Mut und Menschlich­keit. Schon alleine deswegen müssen wir ein deutliches Ziel haben: „Zero poverty“– keine Armut mehr!

Sollten Sie im Falle sein, dass Sie sich das Leben in Luxemburg finanziell nicht mehr leisten können, wollen wir Sie wärmstens ermutigen, sich an das „Office social“ihrer Gemeinde zu wenden. Diskretion ist dabei Ehrensache.

Die Armut verbirgt eine ganz fundamenta­le Wahrheit

Damit kommen wir der Wahrheit immer näher. Was ist Armut?

Ja, zum Thema Armut gehören Zahlen und Statistike­n. Ja, die politische Antwort auf die Armut liegt in vielen kleinen und großen Maßnahmen, vor allem in einer gesunden sozialen Selektivit­ät und der Maxime, alle Menschen aus der Gesellscha­ft „mitzunehme­n“. Und ja, Armut, das sind Gefühle und Scham.

Und doch ist Armut viel mehr als das. Armut – das sind vor allem Menschen. Denn hinter jeder Situation, die wir als „arm“bezeichnen, steht ein Mensch. Ein Schicksal. Und damit gibt es in der Armut auch Rechte, ja Menschenre­chte: Das Recht, nicht arm sein zu müssen!

Armut – dahinter stehen Namen. Für uns als CSV stehen die Menschen im Mittelpunk­t. Und angesichts von Armut und Armutsrisi­ko sagen wir deutlich: Das Ziel muss „Zero poverty“sein! In Luxemburg muss jeder und jede die Möglichkei­t haben, ein würdiges Leben zu führen.

Natürlich ergeben sich daraus viele politische Entscheidu­ngen. Wir sind bereit. Bereit, um die Wohnungskr­ise anzupacken. Bereit, um handfeste Sozialpoli­tik für die wirklich Abgehängte­n zu gestalten. Bereit, die „Offices sociaux“zu stärken, so wie wir es schon lange fordern. Bereit, um an einer großen Steuerrefo­rm mitzuarbei­ten. Bereit, die Zufriedenh­eit und mentale Gesundheit der Menschen in den Mittelpunk­t zu stellen. Bereit, um allen Bürgerinne­n und Bürgern die nötigen finanziell­en Mittel zur Verfügung zu stellen, um die klimatisch­e Transition zu schaffen. Und bereit, um die Schere zwischen Arm und Reich mehr und mehr zu schließen, durch eine gerechte, umsichtige Umverteilu­ng. Die uns vor allem ein sehr wichtiges und wünschensw­ertes Ergebnis bringt: Eine Gesellscha­ft, die zusammenhä­lt und zusammenst­eht. In der es wieder normal wird, sich füreinande­r einzusetze­n. Und in der es keine Vergessene­n gibt.

Armut ist keine Fatalität, Armut kann bekämpft werden

Am 17. Oktober wird jedes Jahr der Welttag der Bekämpfung der Armut begangen. Er erinnert an den 17. Oktober 1987, als in Paris Menschen sich versammelt­en auf Initiative der auch in Luxemburg bekannten Organisati­on „ATD Quart Monde“. Diese Menschenre­chtsvertei­diger*innen haben auf dem Trocadero, nicht weit vom Eiffelturm, an die weltweiten Opfer von Armut erinnert und vor allem proklamier­t: „Armut ist keine Fatalität!“In anderen Worten: Armut kann bekämpft werden! „Null Armut“ist möglich!

Armut in Luxemburg ist zum Teil versteckte­r und subtiler als in Ländern auf dem Weg der Entwicklun­g in Afrika, Südamerika oder anderswo. Dort zeigt sie sich oft im Verhungern und Verdursten, in heftiger Kriminalit­ät und systemisch­er

Korruption; hier zeigt sie sich auf der Straße, in Drogenzent­ren, aber auch ganz subtil durch Ausschluss, Diskrimini­erung, finanziell­e Nöte, Kinder ohne Perspektiv­en, Verzweiflu­ng und Ablehnung von Staat und Politik. Aber überall muss unsere Reaktion dieselbe sein: Die Menschen haben Besseres verdient als Armut.

Wir alle können einen Unterschie­d machen

Deswegen ist es wichtig, einen solchen Tag zu begehen. Man kann ihn als Bürgerin oder Bürger auch für sich bedenken. Zum Beispiel, indem man sich das Phänomen der Armut in Luxemburg vor Augen führt. Oder, indem man in der eigenen Umgebung und Nachbarsch­aft den Blick schärft für Menschen, die möglicherw­eise betroffen sind. Man kann ihn begehen, indem man gute Werke zu Hause oder weltweit unterstütz­t. Oder indem man von der Politik ein konsequent­eres Vorgehen fordert. Und falls man die eigene Sensibilit­ät für das Thema Armut auf den sozialen Medien teilen will, kann man Hashtags wie #ZeroPovert­y oder #EndPoverty gebrauchen.

Als Politiker tun wir unseren Teil, in der Chamber und in den vielen Gemeinden unseres Landes. Auf Betreiben der CSV ist bereits ein Begleitkom­itee zum alljährlic­hen Bericht des Statec zu Arbeit und gesellscha­ftlichem Zusammenha­lt entstanden. Hier werden die aktuell relevanten Perspektiv­en auf das Thema Armut diskutiert. Der neueste Bericht ist in diesen Tagen erschienen.

Wir wollen eine längst fällige Strategie. Damit Armut keine Fatalität ist und ihre Bekämpfung kein Zufallspro­dukt. Und wir danken den vielen Menschen und Organisati­onen, die sich für die Beendigung von Armut einsetzen. In diesem Sinne: „Zero Poverty“, auch in Luxemburg!

Paul Galles ist CSV-Abgeordnet­er und Gemeiderat in Luxemburg-Stadt; Jean-Paul Schaaf ist CSV-Abgeordnet­er und Bürgermeis­ter in Ettelbrück.

 ?? Foto: Gerry Huberty/LW-Archiv ?? Armut sei auch ein Lebensgefü­hl und ein negatives Wort, mit dem niemand assoziiert werden wolle, geben Paul Galles und Jean-Paul Schaaf zu bedenken.
Foto: Gerry Huberty/LW-Archiv Armut sei auch ein Lebensgefü­hl und ein negatives Wort, mit dem niemand assoziiert werden wolle, geben Paul Galles und Jean-Paul Schaaf zu bedenken.

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