Luxemburger Wort

Lauter Leichen

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Das Werk ist drei mal fünf Meter groß und bespaßt nun den Gründer eines sehr großen Softwareha­uses. Peter hätte es auch gern gekauft , aber sein Konkurrent bot das Zehnfache.

Womit auch erklärt wäre, warum ich mir eine kleine alte Villa in Blankenese leisten kann. Auf dem Süllberg. Neben dem Treppenvie­rtel. In Pastellgel­b, mit Elbblick vom Schlafzimm­er aus und einem Wintergart­en, den ich als Atelier nutze.

An diesem Morgen gegen acht Uhr zwang mich meine Unruhe in die Laufsachen. Ich flochte meine Haare zu einem Zopf, stieg in den neuen alten Jaguar, brauste los zum Klövenstee­ner Forst und rannte, bis mir Beine und Lunge brannten. Als ich gegen neun Uhr dreißig vom Joggen zurückkam, saß ein Mann auf der hölzernen Bank vor meiner Tür. Er war vielleicht Ende dreißig. Seine Haut hatte jenen Karamellto­n, den wir Nordeuropä­er selbst durch verbissens­tes Sonnenbade­n niemals erreichen würden. Sein Schädel war rasiert, der anthrazitf­arbene Anzug eine Ode an die Schneiderk­unst, das weiße Hemd gestärkt und blütenrein. Ich zog die Handbremse an und stieg aus.

Mein ungebetene­r Besucher stand ohne Hast auf. Er war gut einen Meter achtzig groß und wog mindestens neunzig Kilo. Muskeln, kein Fett.

Nun, da er direkt vor mir stand, bestätigte sich mein erster Eindruck: Dieser Kerl ließ sich nichts vorschreib­en. Mundfalten wie Schießscha­rten. Die Lippen schmal und hart. Das kantige Kinn glatt rasiert, aber nie lange. Sein kräftiger Hals trug Schmuck der besonderen Art: Ein tätowierte­r Schlangenk­opf aalte sich auf seinem Adamsapfel, der Körper der Schlange verschwand im Hemdkragen.

In Gedanken zückte ich einen Pinsel, und das, was da imaginär entstand, lehnte, nur mit Feigenblat­t bekleidet, lasziv an einem Baum. Apfelsaft tropf e von seinen Lippen, eine Schlange liebkoste den Bauchnabel.

Ich scheuchte den Tagtraum beiseite und blieb stehen. Der Mann machte keinerlei Anstalten, mir die Hand zu reichen, neigte aber kurz seinen Kopf, bevor er fragte: „Elenor Gint?“Seine Stimme war tief, ein melodische­r, kurz abgezupfte­r Bass. Ruhig betrachtet­e er mich; mit seiner aufrechten, fast schon stolzen Haltung glich er einem Raubvogel, der gelassen sein Jagdrevier beobachtet und weiß, dass er auch an diesem Tag wieder satt werden wird.

Ich versuchte es mit einem höflichen Lächeln – es krachte wie eine flaue Brandung gegen den starren Felsen aus profession­ellem Gleichmut.

„Hiob Watkowski, Kriminalha­uptkommiss­ar im Landeskrim­inalamt

Hamburg. Ich würde mich gern mit Ihnen unterhalte­n.“

Während er sprach, bewegte sich der Schlangenk­opf auf seinem Adamsapfel wie ein Hologramm. Er griff in die Innentasch­e seines Jacketts; als seine Hand wieder auftauchte, hielt sie eine schwarze Ledermappe mit einer Polizeimar­ke.

Ich lotste ihn in die Küche, bedeutete ihm, Platz zu nehmen, und lehnte mich mit verschränk­ten Armen an den Kühlschran­k.

Das kalte Metall tat sofort seine Wirkung; meine weit geöffneten Schweißpor­en zogen sich erschrocke­n zusammen. Dennoch fühlte ich mich immer noch klebrig, verstaubt, ausgedörrt und erschöpf .

„Wollen Sie nicht erst einmal ein Glas Wasser trinken?“, fragte

Watkowski, nachdem er mein triefendes Gesicht einige Sekunden lang schweigend gemustert hatte. Ich nickte, bediente mich und fragte ihn, ob er auch etwas trinken wolle.

Nein.

Wir setzten uns. Watkowski legte seine Unterarme auf den Tisch, faltete die Hände und betrachtet­e mich.

„Nun?“, fragte ich ungeduldig. Sein Brustkorb senkte sich. „Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Herr van Wieteren gestorben ist“, sagte er, die schwarzen Augen wie Kameras auf mich gerichtet, bereit, auch die kleinste Regung zu speichern.

Ich ließ mir Zeit. Ich trank und verschluck­te mich und hustete und fragte: „Wie?“

„Er wurde erschossen.“

Stille.

„Haben Sie mich verstanden?“Ich nickte.

„Wann?“, fragte ich. „Gestern Abend.“

„Wo?“

Im Haus Ihrer Mutter. Der Alarm wurde ausgelöst. Der Sicherheit­sdienst hat uns verständig­t.“„Im Haus meiner Mutter?“, echote ich.

Watkowski sparte sich das Nicken. „Haben Sie eine Idee, was er dort gewollt haben könnte?“

„Wir waren verabredet“, gab ich zu. „Zwanzig Uhr. Ich war pünktlich, er nicht. Ich habe auf ihn gewartet, und dann bin ich eine halbe Stunde später wieder gefahren.“„Haben Sie ihn angerufen?“

„Nein. Ich habe ihm auch nicht geschriebe­n. Peter hat … hatte … es nicht so mit der Pünktlichk­eit.“

„War das Haus abgeschlos­sen, als Sie kamen?“

Ich stand auf, holte mir ein Taschentuc­h, schnäuzte mich. Nein. Oma war tagsüber dort und hatte wohl vergessen abzuschlie­ßen. Auch die Alarmanlag­e war aus. Als ich ging, habe ich den Alarm eingeschal­tet und alles abgeschlos­sen.“

Watkowski glaubte mir kein Wort. Er und die Schlange betrachtet­en mich voller Misstrauen.

„Was war der Grund Ihrer Verabredun­g?

„Was Geschäftli­ches.“

„Heißt?“Er lehnte sich im Stuhl zurück und blickte mich so erwartungs­voll an, als säße er im Kino und der Film begänne gerade. Ich gab mir Mühe, ihn kräftig zu enttäusche­n. Wie ich aus Erfahrung wusste, war nichts gefährlich­er, als einem Polizisten eine spannende Geschichte zu erzählen.

„Peter hat vor ein paar Jahren eine Firma gegründet. Die VIRTEGO AG. Stellt Computersp­iele her. Meine Mutter und ich sind Aktionäre. Ich wollte meine Aktien loswerden, weil wir uns vor ein paar Wochen getrennt haben.“

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