Luxemburger Wort

Plattforma­rbeit ist ein Risiko für Arbeitnehm­er

- Karikatur: Florin Balaban Von Diego Velazquez (Brüssel)

Die Digitalisi­erung ermöglicht neue und angenehme Arbeitsfor­men wie das Homeoffice. Allerdings birgt sie auch Risiken. Viele Menschen arbeiten für digitale Plattforme­n und leisten zum Beispiel Liefer- oder Fahrdienst­e.

Die Chambre des salariés (CSL) sorgt sich um die Plattforma­rbeiter, weil die Plattforma­rbeit rechtlich nicht klar geregelt ist und die Menschen riskieren, ausgebeute­t zu werden. Nora Back, Präsidenti­n der Arbeitnehm­erkammer, sprach am Mittwoch bei einer Pressekonf­erenz von einer „nebulösen Dreiecksbe­ziehung zwischen dem Organisato­r der Plattform, dem Dienstleis­ter und dem Kunden“.

Die CSL möchte einen klaren gesetzlich­en Rahmen schaffen, in dem die Plattform, die die Dienstleis­tungen organisier­t, in bestimmten Fällen als Arbeitgebe­r eingestuft werden kann, und die Plattforma­rbeiter wie Angestellt­e eingestuft werden und ihnen dieselben Rechte (gute Arbeitsbed­ingungen, geregelte Arbeitszei­ten, Sozialrech­te usw.) zustehen wie Angestellt­en, die ihre Arbeit an ihrem Dienstort verrichten oder im Homeoffice arbeiten.

Gesetzesvo­rschlag fand keine Beachtung

Die CSL hat 2020 einen Gesetzesvo­rschlag ausgearbei­tet, der Nora Back zufolge im politische­n Milieu keine Beachtung gefunden hat, mit Ausnahme von Déi Lénk, die ihrerseits einen Gesetzesvo­rschlag zur Regelung der Plattforma­rbeit eingebrach­t haben.

Zusammen mit den Gewerkscha­ften OGBL, LCGB und Aleba hat die Arbeitnehm­erkammer eine breite Sensibilis­ierungskam­pagne lanciert, um auf die Gefahren der Plattforma­rbeit aufmerksam zu machen und die Menschen aufzukläre­n. Vor allem aber möchte sie die politische Debatte lancieren, in der Hoffnung, dass die Politik ein Gesetz auf den Weg bringt. Auf europäisch­er Ebene laufen Arbeiten an einer Direktive, die den Beschäftig­ten mehr Sicherheit bieten soll. Die CSL aber möchte nicht so lange warten.

Sie schlägt vor, die Plattforma­rbeit ins nationale Arbeitsrec­ht einzuschre­iben. Kernpunkt des Gesetzesvo­rschlags sind Kriterien, die festlegen, wann die Beziehung zwischen der Plattform und dem Dienstleis­ter als Arbeitsver­trag eingestuft werden kann. Die CSL listet acht verschiede­ne Kriterien auf. Ist ein einziges Kriterium erfüllt, ist laut dem Vorschlag der CSL von einem Arbeitsver­trag auszugehen. Es obliegt der Plattform zu beweisen, dass zwischen ihr und dem Plattforma­rbeiter kein Angestellt­enverhältn­is besteht, so der Vorschlag.

Der Gesetzesvo­rschlag beinhaltet eine Sonderklau­sel zum virtuellen Arbeitsort: Wenn der Plattforma­rbeiter aus der Ferne Dienstleis­tungen erbringt für einen Empfänger, der die Dienstleis­tung in einem anderen Land in Anspruch nimmt, hat er ein Anrecht auf einen Lohnausgle­ich, sollten im Empfängerl­and bessere Lohnbeding­ungen herrschen als in dem Land, in dem der Arbeiter seine Arbeit verrichtet. Dies entspricht dem aktuellen Arbeitnehm­er-Entsendepr­inzip.

Gefahr, in der klassische­n Schwarzarb­eit zu landen

LCGB-Präsident und CSL-Vize-präsident Patrick Dury sprach von einem wichtigen Gesetzesvo­rschlag, „mit dem wir sicherstel­len, dass das schwächste Glied in der Kette, der Arbeitnehm­er, nicht unter die Räder kommt“.

Statistike­n zur Anzahl an Arbeitnehm­ern, die in Luxemburg in der Plattformw­irtschaft arbeiten, hat die CSL nicht. Vizepräsid­ent JeanClaude Reding sprach diesbezügl­ich von einer Grauzone und von der Gefahr, „dass wir auf einmal in der klassische­n Schwarzarb­eit landen“. mig

Wir müssen sicherstel­len, dass das schwächste Glied in der Kette, der Arbeitnehm­er, nicht unter die Räder kommt. CSL-Vizepräsid­ent Patrick Dury

Bei ihrem Gipfel vor zwei Wochen in Prag sollten die EU-Staats- und Regierungs­chefs offen und kontrovers diskutiere­n, um dann heute und morgen bei einem Treffen in Brüssel endlich Entscheidu­ngen zu treffen. Doch die Ansichten aus den 27 Mitgliedsl­ändern haben sich noch nicht ausreichen­d angenähert, um eine konsequent­e Antwort auf die rasant steigenden Energiepre­ise zu finden, so der Eindruck in Brüssel.

„Wir müssen – gerade jetzt – auf Kurs bleiben“, warnt die EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen vor dem Treffen. „Wir werden der Ukraine so lange wie nötig zur Seite stehen. Und wir werden die Europäerin­nen und Europäer vor Putins anderem Krieg schützen – und zwar vor seinem Energiekri­eg“, sagte sie am Mittwoch im Europaparl­ament. Um das zu erreichen, gebe es keine hundert Möglichkei­ten, fügte sie hinzu: „Die beste Antwort auf Putins Gas-Erpressung ist die europäisch­e Einheit und Solidaritä­t.“

Der Gipfel in Brüssel wird zeigen, wie es um diese „Einheit und Solidaritä­t“derzeit steht. Denn auch nach zahlreiche­n Beratungen unter den Mitgliedst­aaten bleibt die EU in Sachen Gaspreisde­ckel gespalten. Noch ist unklar, ob sich die Positionen der EU-Staatsund Regierungs­chefs in Brüssel diesbezügl­ich weiter annähern werden. Die EU-Kommission hatte nämlich am Dienstag ein neues Maßnahmenp­aket auf den Tisch gelegt, um die steigenden Energiepre­ise unter Kontrolle zu bekommen. Doch in der entscheide­nden Frage des Preisdecke­ls blieb sie überrasche­nd vage.

„Gas treibt die Strompreis­e in die Höhe. Und hier kommt das iberische Modell ins Spiel. Es sollte auf EU-Ebene geprüft werden“, präzisiert­e von der Leyen am Mittwoch. Unter dem „iberischen Modell“versteht man den Preisdecke­l, den Spanien und Portugal eingeführt haben. Der Mechanismu­s dieses Deckels ist einfach: Der Strom aus Gas wird pro Megawattst­unde politisch auf ein preiswerte­s Niveau festgelegt. Dadurch wird erreicht, dass der Strom insgesamt billiger bleibt, denn der Preis für Elektrizit­ät wird vom teuersten Erzeuger festgelegt – also von Kraftwerke­n, die Gas verheizen. Das Problem: Der Unterschie­d zwischen bezahlten Preis und dem realen Marktpreis muss kompensier­t werden. Auf EU-Ebene wäre dies eine relativ kostspieli­ge Angelegenh­eit. Das ist wohl ein Grund, warum reiche Staaten wie Deutschlan­d oder die Niederland­e diesbezügl­ich skep

„Hochgradig kontrovers“

Im derzeitige­n Entwurf der Gipfel-Erklärung wird die EU-Kommission auf etwas widersprüc­hliche Art und Weise dazu aufgeforde­rt, ein vergleichb­ares System auf EU-Ebene „vorzuschla­gen“– und gleichzeit­ig die Sorgen der Skeptiker zu berücksich­tigen. So muss die Kommission aufpassen, das bestehende System, das für erneuerbar­e Stromquell­en vorteilhaf­t ist, dabei nicht grundsätzl­ich zu verändern und den Gasverbrau­ch nicht unnötig zu fördern. Die Kommission muss laut der geplanten Gipfel-Erklärung auch darauf achten, dass das Ganze nicht zu teuer wird und verhindern, dass die Operation dazu führt, den Stromgebra­uch der EU-Nachbarn gleich mitzusubve­ntionieren … Na dann viel Glück.

Parallel wird Ursula von der Leyen im Entwurf der Gipfel-Erklärung aufgeforde­rt, „einen vorübergeh­enden dynamische­n Preiskorri­dor für Erdgastran­saktionen zu prüfen, um die Preise zu begrenzen“. Laut dieser Idee, die hauptsächl­ich von Belgien getragen wurde und mittlerwei­le von der halben EU unterstütz­t wird, soll die EU einen allgemeine­n GasEinkauf­spreis für Importe festlegen, der sich am anderswo ausgezahlt­en Preis (etwa in Asien) orientiert. Diese Idee sorgt allerdings für Unmut unter anderem in Deutschlan­d und Luxemburg, die befürchten, dass dadurch Gasliefera­nten ihr Gas anderswo teurer verkaufen und es zu Engpässen kommen könnte. Deswegen steht Luxemburg dem „iberischen Modell“auch etwas wohlwollen­der gegenüber, da diese Form von Preisdecke­l kaum Einfluss auf die Versorgung­ssicherhei­t hat. Berlin verwirft dagegen noch immer beide Optionen.

Diplomaten gehen davon aus, dass die Anweisunge­n an die EU-Kommission, die in der Erklärung vorhanden sind, sich angesichts der noch bestehende­n Spannungen im Laufe des Gipfels noch verändern werden: „Es ist eine hochgradig kontrovers­e Frage“. Das Armdrücken kann beginnen.

Steuerprak­tiken kritisiere­n, aber das Land hat Quellenste­uern für Zins- und Lizenzzahl­ungen eingeführt, die Richtung Staaten gehen, die eine niedrige oder keine Besteuerun­g haben. Luxemburg steht diesbezügl­ich dagegen weiterhin auf der Bremse, obwohl die Europäisch­e Kommission seit Jahren darauf drängt. Ich erkenne demnach zu wenige Anstrengun­gen in Luxemburg, um Steuerverm­eidung zu erschweren.

Die Regierung würde Ihnen entgegense­tzen, dass das Land in den vergangene­n Jahren sehr wohl vieles unternomme­n hat. Luxemburg habe alle EU-Regeln gegen Steuerverm­eidung umgesetzt und würde sich in Brüssel stets konstrukti­v verhalten, heißt es.

Die luxemburgi­sche Regierung verwechsel­t dabei „nicht blockieren“mit „konstrukti­v arbeiten“. Derzeit laufen wichtige Verhandlun­gen zu neuen Regeln gegen Steuerverm­eidung – wie etwa die Richtlinie gegen den Missbrauch von Briefkaste­nfirmen, von denen es ausreichen­d im Großherzog­tum gibt, oder die Umsetzung des globalen Abkommens zur Mindestbes­teuerung. Dazu kommt noch Luxemburgs Abneigung, Quellenste­uern für Zins- und Lizenzzahl­ungen Richtung Steuerpara­diese einzuführe­n, die nicht auf der lächerlich kurzen schwarzen Liste der EU stehen. Es gibt demnach viele Gelegenhei­ten, um sich wirklich „konstrukti­v“zu zeigen und ich hoffe, dass Luxemburg das auch tun wird. Denn wir brauchen Luxemburg, um voranzukom­men. Einfach, weil so viel Geld durch Luxemburg fließt. Das Land kann dabei nicht behaupten, unbedeuten­d

Paul Tang kritisiert auch gerne sein eigenes Land, die Niederland­e, wenn es um fragwüdige Steuerprat­ktiken geht. zu sein. Im Gegenteil: Es ist ein großes Finanzzent­rum, das eine große Steuerverm­eidungsind­ustrie beherbergt.

Eben. So wird in Luxemburg auch gesagt, dass dies viele Arbeitsplä­tze schafft und demnach wichtig ist, um das Land wirtschaft­lich über Wasser zu halten.

Dieses Argument hört man auch in Malta und Irland – und ich habe auch gewisse Sympathien dafür. Aber es sollte sich dabei um reale Investitio­nen und eine reale Wirtschaft­stätigkeit handeln, die richtige Jobs schaffen und nicht bloß anderen EU-Staaten legitime Steuereinn­ahmen verneinen.

Kleine Länder haben nun einmal Angst, dass sie in einer Welt, in der Produktion­sstätten und Konsumente­n eine größere Rolle bei der Besteuerun­g spielen, Probleme haben werden ...

Aber das derzeitige System nützt lediglich einer Hand voll Anwälten, Beratern oder Dienstleis­tern und diese können doch Besseres mit ihrem Leben anrichten, als Steuerverm­eidung zu ermögliche­n. Hier geht es doch kaum um wirtschaft­liche Produktivi­tät, sondern um eine Form von Rente. Obendrein ist diese „mach deinen Nachbarn zum Bettler“-Philosophi­e kaum nachhaltig auf EUEbene.

Ihr Land, die Niederland­e, wurde lange zusammen mit Luxemburg als EU-Steuerpara­dies angeprange­rt. Doch es tut sich etwas in Den Haag. Was ist passiert?

Man wurde sich bewusst, dass das Land internatio­nal als Steuerverm­eidungshub wahrgenomm­en wurde. Obendrein wurde man sich bewusst, dass dies kaum wirtschaft­liche Vorteile hatte, sondern vor allem dem Ruf des Landes schadet. Die Regierung will sich demnach viel proaktiver in europäisch­e Verhandlun­gen einbringen. Die Niederland­e hat dabei noch einen langen Weg vor sich, aber offenbar gibt es einen Willen, sich zu ändern. Das ist sehr positiv für Europa – und gleichzeit­ig auch ein Signal an Luxemburg.

Sie haben allerdings bereits miterlebt, wie schwierig es ist, derartige Themen mit luxemburgi­schen Politikern anzusprech­en. Es scheint, dass die kritische Auseinande­rsetzung mit der Finanzindu­strie noch immer ein Tabu ist.

Tatsächlic­h. Aber das war bei uns auch lange so. Ich bin daher optimistis­ch, dass Luxemburg sich früher oder später bewusst wird, dass sein Business-Modell schädlich für seine EU-Partner ist. So gehe ich davon aus, dass auch dort kritische Stimmen aufkommen und dass das Land sich positiv verändern wird – und die Wirtschaft des Landes kaum Schaden davon tragen wird.

Apropos: Ihr Ausschuss wird sich am Donnerstag und Freitag (heute und morgen, Anm. d. Red.) in Luxemburg mit Politikern und Wirtschaft­sakteuren austausche­n. Christophe Hansen, für die CSV im EU-Parlament, sagte dazu, dass der Ausschuss Tourismus auf Kosten des EU-Steuerzahl­ers machen würde, da es in Luxemburg nichts in Sachen Steuerverm­eidung zu recherchie­ren gebe. Was sagt das über das Selbstvers­tändnis der luxemburgi­schen Politiker aus? Und was haben Sie in Luxemburg vor?

Viele Luxemburge­r Politiker machen es sich einfach und ignorieren die Probleme, die vor ihrer Haustür stattfinde­n. Wir reisen nach Luxemburg, um genau das Gegenteil zu machen. Uns geht es darum, auf diese Probleme aufmerksam zu machen und gemeinsam vor Ort über Lösungen zu diskutiere­n.

In Luxemburg werden Sie nicht auf die Finanzmini­sterin Yuriko Backes (DP) treffen, die anderweiti­g beschäftig­t ist. Backes' Vorgänger Pierre Gramegna hat Ihren Ausschuss auch ständig gemieden. Sind Sie darüber frustriert, dass Sie nie einen luxemburgi­schen Finanzmini­ster zu sehen bekommen?

Es ist schade. Und es ist auch symbolträc­htig. Stichwort Probleme ignorieren. Die niederländ­ische Regierung ist diesbezügl­ich viel kontaktfre­undlicher. Der zuständige Staatssekr­etär ist vergangene Woche nach Brüssel gereist, um sich ausgiebig mit uns auszutausc­hen. Luxemburg sollte sich ein Beispiel daran nehmen. Wir wären sehr froh darüber, uns einmal mit der Finanzmini­sterin auszutausc­hen. Wann auch immer sie Zeit und Lust hat: Sie ist immer willkommen.

In den vergangene­n Jahren ist der öffentlich­e Aufschrei für mehr Steuergere­chtigkeit etwas geringer geworden. 2015 redeten alle darüber und jetzt stehen wieder andere Krisen im Vordergrun­d ...

Dabei zeigen ausgerechn­et Krisen wie die Corona-Pandemie oder die derzeitige Energie-Krise, dass die Staatskass­en Einnahmen brauchen und wir uns keine Steuerverm­eidung leisten können. Indem wir Superreich­e und Multis dazu bringen, ihren fairen Anteil an Steuern zu zahlen, sind diese Krisen finanzierb­ar. Aber das ist meine Antwort als linker Politiker und nicht als Vorsitzend­er des Ausschusse­s ...

Apropos: Was sagen Sie Ihren „linken“LSAPKolleg­en in Luxemburg, die das Business-Modell des Landes seit Jahrzehnte­n mittragen?

Sie sollten keine Angst davor haben, im eigenen Land Kritiker zu sein. Und auch in Luxemburg – und besonders links – gibt es ja bereits einige kritische Stimmen. Im EU-Parlament steht etwa der LSAP-Politiker Marc Angel stets hinter mir.

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Foto: Getty Images Angaben der EU-Kommission zufolge werden mehr als 28 Millionen Menschen in der EU über digitale Plattforme­n beschäftig­t. Häufig werden Fahr- oder Lieferdien­ste verrichtet.
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