Viel Luft nach oben
Bilbao feiert eine 25-jährige Erfolgsgeschichte – dank Guggenheim
In den 80er Jahren war der Nervión in Bilbao ein stinkender Fluss. Viele Werften, Eisenhütten und Fabrikanlagen zu beiden Seiten des Ufers verrotteten vor sich hin. Die Stadt war nach jahrzehntelanger industrieller Blüte nicht mehr wettbewerbsfähig und stand vor dem wirtschaftlichen Ruin. Eine Arbeitslosenquote von 25 Prozent und nicht zuletzt die Attentate der baskischen Separatisten (ETA) sorgten dafür, dass immer mehr Menschen wegzogen. Die Stadtoberen, aber auch die Provinz- und Regionalregierung wussten, es muss etwas geschehen, um dem Verfall Einhalt zu gebieten. Zu der Zeit suchte die Guggenheim-Foundation in New York nach einem weiteren Standort ihrer „Guggenheim-Kette“in Europa. Dutzende Städte waren interessiert, darunter Berlin, Barcelona, Venedig und Salzburg. Doch während die anderen über die Umsetzung stritten, wusste Bilbao die Gunst der Stunde zu nutzen. Man machte den Amerikanern ein unwiderstehliches Angebot: Ihr wählt den Standort, den Architekten und das Projekt und wir bauen es einfach. Dafür sollte die Stiftung ihre Sammlungen beisteuern und sich um das komplette Management kümmern. So lautet – grob erzählt – die Geschichte, die dazu führte, dass ausgerechnet diese nordspanische Industriemetropole den Zuschlag bekam. Ein risikoreiches Unterfangen für die Stadt, die Millionen von Euro in das Vorhaben stecken musste, zumal sich parallel zum Bau des Museums die gesamte Stadt in einer Art Masterplan einer Schönheits-OP unterziehen sollte. So wurden Grünflächen und Promenaden angelegt, eine Calatrava-Fußgängerbrücke, ein neues Flughafenterminal des Portugiesen Álvaro Siza sowie eine U-Bahn-Linie von Norman Foster gebaut. Kernstück aber blieb das Guggenheim-Gebäude, für das schließlich der Kanadier Frank O. Gehry beauftragt wurde. Ein Glück, verwandelte er doch mit seiner Architektur die sterbende Industriestadt in eine blühende Kulturmetropole.
Vier Jahre brauchten Gehry und sein Team, bis das formenreiche Gebilde, das mal einem Schiff, mal einem schillernden Fisch gleicht, am 18. September 1997 eröffnet werden konnte. Dekonstruktivismus lautete die Zauberformel: Ecken und Geraden scheinen nicht zu existieren, stattdessen Wellen, Bögen und Kurven. Alles wirkt chaotisch ineinander verschachtelt – und ist doch Architektur in Perfektion. Hier und da guckt eine Glasfassade hervor, das silberne Titan mischt sich mit dem hellen spanischen Kalksandstein. Alles ist lichtdurchflutet, wirkt leicht und verspielt. Ein Ensemble auf drei Ebenen mit Galerien, Nischen, Winkeln, Fenstern und Oberlichtern. Der höchste Raum ist mit 50 Metern die zentrale Atriumhalle mittendrin. Obwohl das Gebäude im Innern nicht weniger aufregend ist, stiehlt es der Kunst, die es beherbergt, keinen Augenblick die Show.
Bis dahin war der Pritzker-Preisträger schon mit sehr charismatischen Entwürfen in den USA, aber auch in Deutschland – Düsseldorf und Herford (Museum Marta) aufgefallen. Der grandiose Museumsbau am Ria de Bilbao aber, wird für immer das ikonischste Gebäude des Kanadiers (geb. 1929 in Toronto) bleiben. Inspiriert dazu, Architektur als Skulptur zu verstehen, wurde er von Richard Serra und Claes Oldenburg. Ein Werk von Serra gehört denn auch zu den größten Arbeiten der mit 147 Werken relativ kleinen Guggenheim-Sammlung: Die massive Großinstallation „A Matter of Time“aus verrostetem und gebogenem Stahl besteht aus acht riesigen begehbaren Ellipsen, Spiralen und Schlangenformen. Die zum Teil 30 Tonnen schweren Platten für die 20 Millionen Dollar teure Arbeit wurden in Deutschland gegossen. Das gute Stück braucht viel Platz. Aber daran fehlt es dem Museum mit 11 000 Quadratmeter Ausstellungsfläche nicht. Serras Werk kam in der 130 Meter langen „Galerie 104“unter und begeistert sowohl beim Durchlaufen wie durch ein Labyrinth, als auch bei der Betrachtung von oben.
Außenskulpturen wie die berühmte Spinne „Maman“von Louise Bourgeois, der „Tall Tree“aus Kristallkugeln von Anish Kapoor sowie – natürlich – Jeff Koons „Puppy“sind beliebte Selfie-Motive, nicht nur für den kunstaffinen Spaziergänger. Letztere Skulptur, die eigentlich nur zeitlich befristet den Eingang des Museums hätte zieren sollen, empfängt nach vielen Protesten und einer Crowdfunding-Aktion nun dauerhaft die Besucher, von denen es bisher schon reichlich gab.
Architektonisches Meisterwerk
Wirtschaftsmotor
In 25 Jahren zeigte das Museum 170 Ausstellungen aus der Sammlung sowie 37 Sonderausstellungen, die von 24,7 Millionen Menschen gesehen wurden. Auch im Pandemie-Jahr 2021 besuchten nach Museumsangaben immer noch 540 000 Kunstinteressierte das Haus, davon 57 Prozent aus Spanien und 43 Prozent aus dem überwiegend europäischen Ausland. Mit 21 127 wurde die Zahl der „Freunde des Museums“, als bisher höchste seit der Eröffnung beziffert, was für die starke Verankerung im unmittelbaren Umfeld spricht. Die meisten Besucher aber kämen, um Frank O. Gehrys Gebäude zu sehen, wie die Österreichische Nachrichtenagentur APA den Stadtplanungsexperten Roberto San Salvador vom CitiesLab der Deusto-Universität in Bilbao zitiert. Viele Städte versuchten die als „Bilbao-Effekt“bekannte Erfolgsgeschichte zu kopieren. Die meisten scheiterten jedoch, weil sie diesen schlichtweg mit einem „Guggenheim-Effekt“verwechselten: „Star-Architektur kann das Ansehen einer Stadt verbessern. Doch das Guggenheim-Museum ist nur das Schlagobershäubchen zahlreicher Entwicklungsmaßnahmen“, so der Experte.
Immerhin ein sehr bedeutendes: Allein im vergangenen Jahr spülte das Museum 196 Millionen Euro in die Stadt, weit mehr als die 90 Millionen Euro, die der Museumsbau kostete. Trotz des schwierigen Jahres konnten rund 3 670 Arbeitsplätze erhalten werden. Damit ist das Guggenheim Museum Bilbao einmal mehr führend unter den europäischen Kulturinstitutionen in Bezug auf seinen Selbstfinanzierungsgrad, der 2021 bei rund 62 Prozent lag. Im Jubiläumsjahr standen Ausstellungen von Jean Dubuffet, dem meistgesammelten Künstler der Guggenheim-Kollektion und Serra/Seurat auf dem Programm. Aber auch eine Schau rund ums Auto lockte viele Besucher. Damit zeigte das Museum einmal mehr, dass es in der Lage ist, kulturelle Besucherinteressen geschickt mit Wirtschaft(lichkeit) zu verbinden.
Und auch das muss noch lobend erwähnt werden: Der Nervión stinkt nicht mehr. Ausflugsschiffe fahren täglich den Fluss rauf und runter. Bis hin zu den Stränden am Atlantik und nach Getxo schippern sie, wo an der Biskaya-Brücke die älteste Schwebefähre der Welt die Menschen von der einen Seite des Flusses auf die andere bringt – an Drahtseilen wohlgemerkt. Eine Besonderheit, für die das Industriedenkmal 2006 zum UNESCO-Weltkulturerbe erhoben wurde. Leerstehen
Museo Guggenheim Bilbao, ein formenreiches Gebilde, das mal einem Schiff, mal einem schillernden Fisch ähnelt. Im Vordergrund des Bildes die berühmte Spinne „Maman“von Louise Bourgeois, rechts der Fluss Nervión.
de Fabriken und Docks säumen auch heute noch die Ufer des Nervión. Es hängt noch viel Potenzial in der Luft über Bilbao.
Museo Guggenheim Bilbao, Avenida Abandoibarra 2, 48009 Bilbao. www.guggenheim-bilbao.eus. Ab heute (20.10.) präsentiert das Museum mit einer weiteren Jubiläumsschau („Sections/Intersections“)
Installationen von John Chamberlain, Malereien von Cy Twombly, Yves Klein und Robert Rauschenberg und Skulpturen von Eduardo Chillida. Außerdem sind Andy Warhol, James Rosenquist und Jeff Koons in einem Pop Art-Saal zu sehen. Tipp: Wer sich auf den Weg machen sollte, sollte es nicht versäumen, sich auch das ebenfalls sehr sehenswerte Museum der schönen Künste (Museo de Bellas Artes de Bilbao) vorzunehmen! www.bilbaomuseoa.eus