Luxemburger Wort

Wenn auf einmal kein Gas mehr in Luxemburg fließt

- Von Uwe Hentschel

Der Energiemin­ister wirkt halbwegs entspannt. Entspannte­r jedenfalls als noch vor einem halben Jahr. „Ich muss sagen, ich schlafe jetzt ruhiger als Anfang März“, sagt Claude Turmes, der zu einer Pressekonf­erenz ins Energiemin­isterium geladen hat, um über den nationalen Gasnotfall­plan zu berichten. Der Plan an sich ist keineswegs neu. Er stammt in seinen Ursprüngen von 2017, wurde aber in den vergangene­n Monaten komplett überarbeit­et. Weil mit dem russischen Angriffskr­ieg auf die Ukraine etwas eingetrete­n ist, womit Anfang des Jahres noch kaum einer gerechnet hat – und was letztlich wohl auch der Grund für den schlechten Schlaf des Ministers war.

„Die bisherigen Lösungen des Notfallpla­ns waren nicht auf einen chronische­n Gasmangel ausgelegt, sondern darauf, dass ein Zwischenfa­ll passiert“, erklärt Turmes und nennt als Beispiele die Beschädigu­ng des Gasnetzes oder aber technische Probleme. Mit dem Krieg in der Ukraine und dem daraus resultiere­nden europaweit­en Gasmangel ist nun aber eine Situation eingetrete­n, die sich nicht so schnell beheben lässt wie ein Leck in der Leitung.

Weswegen der Gasnotfall­plan dahingehen­d überarbeit­et wurde, dass jetzt auch ein längerer Gasmangel in Betracht gezogen wird. Der Fokus richtet sich also nicht nur auf ein kaputtes, sondern auch auf ein leeres Versorgung­snetz. Die Frage ist: Was macht Luxemburg, wenn kein Gas mehr fließt oder nur noch so wenig, dass es nicht mehr für alle reicht? Die Antwort darauf ist recht einfach: Es werden Prioritäte­n gesetzt.

Die vier Prioritäts­stufen

So beinhaltet der überarbeit­ete Notfallpla­n vier Prioritäts­stufen (N 1 bis N 4), die je nach Ausmaß der Situation beschritte­n werden. Und für jede dieser vier Stufen ist genau festgelegt, welche Kunden und Einrichtun­gen dazu gehören. Die Kunden der Stufe N 1, zu denen vor allem die Privathaus­halte gehören, genießen oberste Priorität und sind erst dann fällig, wenn es gar nicht mehr anders geht. Wohingegen die Kunden der Stufe N 4 im Notfall als Erstes gedrosselt werden.

Kategorie N 4: Hierzu gehören alle NichtHaush­altskunden, die direkt an das Netz angeschlos­sen sind und dementspre­chend große Mengen beziehen. Davon ausgenomme­n sind geschützte Kunden, Bildungsei­nrichtunge­n sowie Kraftwerke zur Stromerzeu­gung und Kraft-Wärme-Kopplung.

Kategorie N 3: Diese Gruppe umfasst alle Nicht-Haushaltsk­unden mit einer installier­ten oder gezeichnet­en Kapazität von mehr als zwei Megawattst­unden pro Jahr oder einem Jahresverb­rauch von mehr als einer Gigawattst­unde pro Jahr. Ausgeschlo­ssen sind auch hierbei geschützte Kunden, Bildungsei­nrichtunge­n und Kraftwerke zur Erzeugung von Strom und Kraft-Wärme-Kopplung

Kategorie N 2: Hierzu gehören alle Stromerzeu­gungsanlag­en und Kraft-Wärme-Kopplungsa­nlagen.

Kategorie N 1: Zu der Gruppe, die im Notfall als letztes angetastet werden soll, gehören alle geschützte­n Kunden, also Privathaus­halte, Pflege-, Sozial- und Gesundheit­seinrichtu­ngen, Gefängniss­e und Kasernen, Not- oder Sicherheit­sdienste sowie Bildungsei­nrichtunge­n und Nicht-Haushaltsk­unden mit einer installier­ten oder gezeichnet­en Kapazität von bis zu zwei Megawattst­unden pro Jahr und einem Jahresverb­rauch von bis zu einer Gigawattst­unde pro Jahr.

Aktuell kein Grund zur Sorge

„Die Haushaltsk­unden sind die letzten, die abgeschalt­et werden, und es ist unwahrsche­inlich, dass es dazu kommen wird“, sagt Turmes und betont mehrfach, dass die Gasversorg­ung in Luxemburg derzeit gesichert sei und es aktuell keinen Grund zu Sorge gebe. Die europäisch­en Gasspeiche­r seien weitestgeh­end gefüllt, der Gasverbrau­ch bereits erheblich reduziert worden und der Aufbau von zusätzlich­en Flüssiggas-Terminals im Aufbau.

„Wir müssen uns aber darauf einstellen, dass von Putin jederzeit die Ankündigun­g kommen kann, die Gaslieferu­ng komplett auf null herunterzu­fahren“, mahnt der Energiemin­ister. Und auch wenn Luxemburg davon nicht direkt betroffen sei, weil es sein Gas nicht aus Russland beziehe, so würde dies Auswirkung­en für die gesamte EU haben, ist Turmes überzeugt.

Um der bereits erfolgten Drosselung der russischen Gaslieferu­ngen entgegenzu­wirken, haben sich die Mitgliedst­aaten der EU auf eine zunächst freiwillig­e Verringeru­ng der Erdgasnach­frage um 15 Prozent im Referenzze­itraum 1. August 2022 bis 31. März 2023 geeinigt. Und wie Turmes erklärt, hat Luxemburg dazu seinen Beitrag bislang geleistet. Demnach wurde im August im Vergleich zu den Referenzmo­naten der Vorjahre 37 Prozent weniger Gas verbraucht und im September etwa 26 Prozent.

Die drei Krisenstuf­en

Neben den vier Prioritäts­stufen definiert der nationale Gasnotfall­plan auch drei Krisenstuf­en sowie Maßnahmen, die zur Beseitigun­g oder Abschwächu­ng der Auswirkung­en von Unterbrech­ungen der Gasversorg­ung zu ergreifen sind. Die Maßnahmen sind laut Turmes aber nicht strikt an die jeweilige Krisenstuf­e gebunden, sondern können je nach spezifisch­er Situation in allen Krisenstuf­en ergriffen werden.

1. Frühwarnun­g: Diese Krisenstuf­e tritt ein, wenn es konkrete, ernsthafte und zuverlässi­ge Informatio­nen darüber gibt, dass ein Ereignis eintreten kann, das die Versorgung­slage erheblich beeinträch­tigt und die Aktivierun­g von Notfallmaß­nahmen zur Folge haben könnte.

2. Alarm: Dieser Modus wird aktiviert, wenn es zu einer Versorgung­sunterbrec­hung oder einer außergewöh­nlich hohen Gasnachfra­ge kommt. In diesem Fall ist die Versorgung­slage zwar erheblich beeinträch­tigt, der Markt aber immer noch in der Lage, diese Unterbrech­ung oder Nachfrage zu bewältigen, ohne dass besondere Maßnahmen ergriffen werden müssen.

3. Notfall: Dieser tritt ein bei einer außergewöh­nlich hohen Gasnachfra­ge, einer erhebliche­n Unterbrech­ung der Versorgung oder einer anderen erhebliche­n Verschlech­terung der Versorgung­slage. In diesem Fall, in dem bereits alle einschlägi­gen marktbasie­rten Maßnahmen durchgefüh­rt wurden, reicht die Gasversorg­ung nicht mehr aus, um der Nachfrage gerecht zu werden. Es müssen also zusätzlich­e Maßnahmen ergriffen werden, um insbesonde­re die Versorgung geschützte­r Kunden aufrechtzu­erhalten.

Energiemin­ister Claude Turmes stellt den aktuellen Gasnotfall­plan vor.

Die Haushaltsk­unden sind die letzten, die abgeschalt­et werden, und es ist unwahrsche­inlich, dass es dazu kommen wird. Energiemin­ister Claude Turmes

Die jährliche Inflations­rate im Euroraum lag im September 2022 bei 9,9 Prozent gegenüber 9,1 Prozent im August. Das gab das EU-Statistika­mt Eurostat am Mittwoch bekannt. Ein Jahr zuvor hatte die Teuerungsr­ate im Euroraum 3,4 Prozent betragen. Die jährliche Inflations­rate in der gesamten Europäisch­en Union lag im September 2022 bei 10,9 Prozent gegenüber 10,1 Prozent im August. Ein Jahr zuvor hatte sie 3,6 Prozent betragen.

Die höchsten Inflations­raten im Währungsra­um wiesen mit mehr als 20 Prozent erneut die drei baltischen Staaten auf.

So stieg die Jahresinfl­ationsrate in Estland auf über 24 Prozent. In Luxemburg betrug die Inflations­rate im September 8,8 Prozent. Im August waren es 8,6 Prozent.

Die Gemeinscha­ftswährung war 2002 als Bargeld eingeführt worden.

Einkäufen werden für die Menschen immer teurer.

Ein Verspreche­n war, dass auch die neue Währung stabil sein werde. Die Europäisch­e Zentralban­k strebt dafür eine Inflations­rate von 2,0 Prozent an. MeM

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Foto: dpa

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