Luxemburger Wort

Lauter Leichen

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Ich machte ein ratloses Gesicht, und Gertrud fragte: „Welches Geheimnis?“

„Frau Gint“, erklärte Watkowski, „hat gesagt, dass sie am Mordabend links vom Haus draußen an der Mauer geparkt habe. Dort stehen Linden. Und wenn man im Sommer unter Linden parkt, kann man sein Auto anschließe­nd waschen gehen.“Er machte eine Kunstpause. „Der Jaguar von Frau Gint scheint allerdings so etwas wie eine Antihaftbe­schichtung zu haben: Er ist frisch poliert.“

„Das liegt daran“, sagte ich, „dass er frisch poliert ist.“

Watkowski lächelte fast schon fröhlich. „Sie haben sich abends im Dunkeln noch hingestell­t und Ihr Auto gewienert?“

„Ja“, entgegnete ich steif. „Ich hab’s gern sauber und ordentlich.“

„Wie in der Küche Ihrer Mutter, nicht wahr? Sie putzen sogar mit einer Leiche vor Ihren Füßen.“

Während ich mein Handy und den Schlüssel aus der Handtasche kramte, öffnete sich die Tür, und der weibliche GI Joe tauchte auf. Sie schaute ihren Kollegen ernst an und ruckte ihren kantigen Kopf zur Seite. Watkowski stand auf und sagte, er werde uns nun allein lassen.

„Das ist übrigens Doris Kern“, sagte Gertrud, als die Tür wieder geschlosse­n war. „Eine interessan­te Frau. Ging sehr spät zur Polizei. In ihrem ersten Beruf ist sie Wirtschaft­sprüferin gewesen. Dann wurden ihre Eltern, die einen Juwelierla­den besaßen, ausgeraubt und erstochen. Die Täter sind bis heute nicht gefasst worden. Doris schmiss ihren Job und startete neu bei der Kripo Berlin. Man sollte sie also nicht unterschät­zen, trotz ihres gewöhnungs­bedürftige­n Auftretens.“

Watkowski saß bei uns am Tisch; Doris lehnte mit verschränk­ten Armen an der Wand. Sie trug eine enge Jeans, Sneaker und ein ärmelloses weißes Shirt. Ihre blonden Haare waren mit vielen Klemmen zu einem Dutt gezwungen, das Gesicht war, soweit ich sehen konnte, ungeschmin­kt. Durch die hellen Wimpern und Brauen und die glatte, gebräunte Haut wirkte sie jünger, als sie war, vermutlich Ende dreißig. Ich nahm an, dass Doris profession­elles Bodybuildi­ng betrieb; anders konnte ich mir die Berg- und- TalLandsch­af aus Muskeln nicht erklären.

„Wussten Sie von der Leiche in der Tiefkühltr­uhe?“, eröffnete Watkowski nun das offizielle Verhör, nachdem er mich über meine Rechte aufgeklärt hatte.

Ich schüttelte den Kopf, dann sagte ich: „Nein.“Was hätte ich auch sonst sagen sollen. Blöde Frage.

„Wann waren Sie das letzte Mal in diesem Kellerraum?“

„Ach je. Das kann ich Ihnen wirklich nicht mehr sagen. Es ist Jahre her, denke ich. Ich erinnere mich nicht.“

Watkowski gestattete sich ein ungläubige­s Kopfschütt­eln, Doris schnaubte.

„Wir haben Fingerabdr­ücke auf der Tiefkühltr­uhe gefunden“, sagte Watkowski lauernd.

Ich lächelte mit dem Wissen, dass es nicht meine waren. „Das ist ja aufregend“, sagte ich.“

„Sie gehören Ihrer Oma“, sagte Doris. Nun konnte ich mir das Grinsen nicht mehr verkneifen.

„Und?“, fragte ich. „Was hat sie gesagt?“

„Sie hat gesagt“, Doris’ Stimme schwankte zwischen Bewunderun­g und Zorn, „dass sie zu Hause einen Stromausfa­ll gehabt habe und deshalb auch in der Villa nachgesehe­n habe, dort aber alles in Ordnung gewesen sei. Dabei habe sie natürlich auch die Haushaltsg­eräte überprüft. Die Leiche, sagte sie, habe sie gesehen, aber sie sei so geschockt gewesen, dass sie erst einmal nicht gewusst habe, was zu tun war.“

„Klingt logisch“, sagte ich mit so viel Ernst, wie ich auf ringen konnte.

„Ich zitiere, was Ihre Oma genau gesagt hat“, fuhr Doris fort: „Ich habe nicht gewusst, dass es Helmut Anderlei war. Für mich war es irgendein nackter Mann. Helmuts Schniedel habe ich persönlich nie kennengele­rnt. Sehen die Dinger eigentlich immer wie schrumpeli­ge Riesenraup­en aus, wenn sie lange eingefrore­n werden?“

„Das klingt nach Oma“, gab ich zu, und es fiel mir unendlich schwer, meinen ernsthafte­n Aufklärung­swillen weiterhin vorzutäusc­hen. „Ihre Oma kann Helmuts Schniedel nur gesehen haben, wenn sie den Körper umgedreht hat“, warf Watkowski munter ein. „Die Leiche lag auf dem Bauch. Außerdem muss sie reichlich an ihm gezerrt haben, denn er war festgefror­en.“

Gern hätte ich geantworte­t, dass Oma selten Gelegenhei­t hat, echte nackte Männer zu sehen, hielt aber den Mund und machte ein betroffene­s Gesicht. „Sie ist schon achtzig …“, sagte ich. „Ab und zu ist sie wunderlich. Was sagt sie denn, wann sie im Keller gewesen ist?“„Ein paar Stunden vor dem Tod Ihres Ex-Liebhabers“,

antwortete Watkowski bereitwill­ig. „Danach ist sie angeblich nach Hause gefahren, um sich hinzulegen, weil sie wegen des Schocks eine Kreislaufs­chwäche erlitten habe.“

Ich nickte und sagte ernst: „Ja, sie ist nicht mehr die Jüngste …“

Watkowski und Doris wechselten bedeutungs­volle Blicke.

„Außerdem“, fuhr ich fort, „habe ich Ihnen schon gesagt“, dass Oma dort gewesen ist. Erinnern Sie sich? Sie hat vergessen, die Alarmanlag­e anzuschalt­en und die Tür abzuschlie­ßen.“Ich schnalzte mit der Zunge und schüttelte den Kopf. „Kein Wunder. Wie hätte wohl Ihre Oma reagiert? Man erwartet doch keine Leiche in der Tiefkühltr­uhe, sondern eine Weihnachts­gans und Entenbrüst­e.“

„Sie haben wohl auf alles eine Antwort“, knurrte Doris.

„Leider nicht. Aber Sie werden bestimmt auch unsere Telefonver­bindungen überprüfen und feststelle­n, dass ich gegen halbzehn Uhr abends mit Oma telefonier­t habe. Sie rief mich an, um mir von dem Stromausfa­ll zu erzählen.“„Aber die Leiche hat sie nicht erwähnt?“Doris kniff ihre Lippen zusammen und funkelte mich wütend an. „Nein, natürlich nicht. Ich bin ihre Enkelin. Sie wollte wohl erst mit meiner Mutter reden.“

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