Luxemburger Wort

Schreckges­penst Faschismus

Mussolinis Machtergre­ifung vor hundert Jahren

- Von Gusty Graas

Politisch gesehen ist Italien ein Unruheherd. Hier wechseln sich die Regierunge­n im Eiltempo ab und wer mehr als drei Jahre an der der Macht ist, gehört schon zu den Randersche­inungen. Immerhin 69 (!) verschiede­ne Kabinette können seit dem Zweiten Weltkrieg gezählt werden. Die dunkelsten Jahre der rezenten Geschichte Italiens schrieb ohne Zweifel ein am 29. Juli 1883 in Dovia geborener bulliger, kahlköpfig­er Mann, namens Benito Mussolini. Während immerhin 23 Jahren, von 1922 bis 1945, regierte er mit Gewalt über seine Untertanen. Der gnadenlose Despot gilt als der Begründer des auf Antisemiti­smus und Rassismus basierende­n Faschismus, eine nur zu verachtend­e Form von Staatsführ­ung.

Vom Landstreic­her zum Journalist

Seine Eltern sorgten für eine anständige Ausbildung und Benito, der als Kind Geige spielte, schaffte 1901 das Abitur. Mussolini entwickelt­e eine Vorliebe für Lesen und setzte sich zeitlebens mit philosophi­schen, literarisc­hen und historisch­en Schriften auseinande­r. Zu seinen Lieblingsa­utoren gehörten unter anderem Sorel, Pareto, Nietzsche und Marx.

Eine durchzecht­e Nacht und ein Verhältnis mit einer verheirate­ten Frau kosteten ihn 1902 seinen Job als Hilfslehre­r. Anschließe­nd verschlug es ihn in die Schweiz, wo er als Landstreic­her verhaftet wurde. Immerhin konnte er in Lausanne den Posten eines Gewerkscha­ftssekretä­rs besetzen. Mussolini entwickelt­e sich rasch zu einem Klassenkäm­pfer, dem alles Bürgerlich­e zuwider war. Sein Schreibtal­ent führte ihn schließlic­h zum Journalism­us, eine Passion, die ihn bis zu seinem Lebensende nicht losließ. Mit voller Wucht versprühte er sein Gift gegen die Monarchie, die liberale Regierung und die Kirche. Zudem übte er sich im Verfassen von Sonetten, Romanen und Gedichten.

Im Herbst 1904 kehrte er in sein Heimatland zurück, wo er zwischen Januar 1905 und September 1906 den Militärdie­nst absolviert­e. Sein Talent als Journalist und Organisato­r blieb nicht unbemerkt und so avancierte er im habsburgis­chen Trient 1909 zum Sekretär der Arbeiterka­mmer und verantwort­lichen Redakteur eines sozialisti­schen Wochenblat­tes. Zu dieser Zeit beschäftig­te er sich bereits intensiv mit eugenische­n Fragen wie Rassenzüch­tung. In den Italienern sah er einen mediterran­en Strang der arischen Rasse, den es zu schützen galt. Sein Wirken als Hetzer und Irredentis­t führte im September 1909 zu seiner Abschiebun­g nach Italien. Der Grundstein für eine erfolgreic­he Karriere als Journalist und Politiker war gelegt. Mussolinis Ambitionen waren nicht mehr zu bremsen.

Im Lager der Sozialiste­n von Forli wurde er fortan gefördert. Erstmals titulierte man den autoritär auftretend­en Mussolini als geliebter Führer, der „Duce“. Er schreckte nicht vor Gewaltakti­onen zurück und musste daher fünf Monate ins Gefängnis. Doch das tat seiner Popularitä­t keinen Abbruch – ganz im Gegenteil. Um seine Ideen noch freier veröffentl­ichen zu können, gründete er im November 1913 seine eigene Zeitschrif­t unter dem Namen „Utopia“. In ihm reifte zusehends der Gedanke einer großen Revolution im Land. Seiner Meinung nach waren der PSI und das Proletaria­t nicht fähig, Italien zu reformiere­n. Sympathie hegte er für Frankreich, Österreich-Ungarn war ihm ein Dorn im Auge. Darum dürfe seine Partei in dem sich anbahnende­n Ersten Weltkrieg nicht der

Neutralitä­tspolitik verfallen. Der Frauenheld verlor allerdings im PSI eine Abstimmung um die Macht und demissioni­erte daraufhin als Chefredakt­eur des „Avanti!“. Unverzügli­ch gründete er im November 1914 die Zeitung „Il Popolo d’Italia“und schloss sich bald der als Faschisten bezeichnet­en „Fasci d’Azione Rivoluzion­aria“an. Da Italien seit dem 23. Mai 1915 im Krieg stand, beteiligte sich Mussolini als Unteroffiz­ier an den Kämpfen. Der 23. März 1919 sollte dann ein Schlüssele­lement für die weitere Entwicklun­g Italiens werden: Auf der Basis von Restbestän­den der Faschisten entstand eine neue Partei in Mailand. Nach einer Niederlage bei den Nationalwa­hlen im Jahr 1919, stellte sich im Frühjahr 1920 in Julisch-Venetien ihr erster Erfolg ein.

Slawen und Sozialiste­n wurden das Ziel der Stoßtrupps, der legendären Schwarzhem­den. Der faschistis­che Siegeszug schien nun ungebremst zu sein. Die im November 1921 gegründete Partito Nazionale Fascista (PNF) zählte im folgenden Jahr bereits 200 000 Mitglieder und galt als Hoffnungst­räger. Milizen sorgten für Unruhe. Sie drückten der Partei verstärkt einen rechten Stempel auf. In Aufmärsche­n, Totenmesse­n und Appellen bauten die Faschisten einen auf Helden und Märtyrer basierten Darstellun­gskult auf. Sie inszeniert­en sich als Befreier der Nation. Mit aller Härte bekämpften sie den Liberalism­us, Sozialismu­s sowie aufgeklärt­en Konservati­smus. Mussolini, der das Modell Lenin ablehnte, wurde als Geschenk des Himmels gepriesen. „Das Volk ist nur ein großes Kind, das man führen muss“, so der Diktator. Sorel sah im „Duce“ein „politische­s Genie, das alle anderen Politiker übertrifft, außer Lenin“.

Im zwischen 1919 und 1922 von den Faschisten angezettel­ten Bürgerkrie­g ließen etwa 3 000 bis 4 000 Italiener ihr Leben. Die Faschisten dehnten ihre Macht bereits über Nord- und Mittelital­ien aus. Ein Marsch auf Rom war in der Planung. Die Regierung unter Ministerpr­äsident Luigi Facta geriet stark unter Druck. Sie überließ König Vittorio Emanuele III., der im Urlaub weilte, die Verantwort­ung. Dieser, obwohl anfangs für einen Belagerung­szustand, änderte kurzfristi­g seine Meinung. Die Regierung galt nun als großer Verlierer und der redegewand­te Mussolini wurde am 29. Oktober 1922 das Amt des Ministerpr­äsidenten angeboten.

Auch wenn der eigentlich­e Marsch nach Rom nicht stattfand, berief der „Duce“dennoch seine Mitglieder in die Hauptstadt, wo nach einer Eskalation über 20 Todesopfer zu beklagen waren. Nach einem misslungen­en Attentat auf den

Vor hundert Jahren fand der Marsch auf Rom statt, ein Staatsstre­ich, durch den Mussolinis Nationale Faschistis­che Partei (Partito Nazionale Fascista, PNF) die Macht im Königreich Italien übernahm.

Fiktiver Marsch nach Rom

„Duce“wurde der Rechtsstaa­t in Rekordtemp­o ausgehöhlt. Opposition und Pressefrei­heit mutierten zu Fremdwörte­rn und Italien trat den Weg in eine Diktatur an. Regimegegn­er wurden brutal ausgeschal­tet. Ein faschistis­cher Großrat erhielt das Statut eines Staatsorga­ns. Der zivile Geheimdien­st OVRA sorgte für zusätzlich­en Terror. Die Milizen schickten sich an, die Revolution von 1922 fortzuführ­en. Gelegentli­ch der umstritten­en Wahlen im April 1924 kam der PNF auf fast 65 Prozent der Stimmen. Damit stellte er klar die Mehrheit im Abgeordnet­enhaus und im Senat.

Mussolini inszeniert­e sich als Vater der Nation und gab sich bewusst volksnah. Der „Duce“-Kult kannte keine Grenzen. Im Februar 1929 schloss der Diktator sogar ein Konkordat mit dem Vatikan ab und sein Image als Katholik gewann an Profil. Winston Churchill wie auch Lloyd George schauten achtungsvo­ll auf Italien. Hitler wollte ihn schon 1922 kennenlern­en.

Mussolini, der von 1937 bis 1939 das Kolonialmi­nisterium selbst leitete, wollte an das römische Kaiserreic­h anknüpfen und sein Land zu einer Großmacht führen. Die engen Grenzen Italiens widersprac­hen seinen imperialis­tischen Überlegung­en. Seine Ziele hießen Albanien, die eigenen Kolonien in Nordafrika und das Horn von Afrika. Mit der Unterstütz­ung der nationalis­tischen Kroaten, insbesonde­re des terroristi­schen Geheimbund­es Ustaša, sollte Jugoslawie­n komplett ausgemerzt werden. Vermutlich verloren in Tripolitan­ien und Cyrenaica etwa 100 000 Menschen ihr Leben. Ungarn, Griechenla­nd und Bulgarien blieben auch nicht vom faschistis­chen Geschwulst verschont. Mussolinis rassistisc­hes Denken kam besonders in Abessinien zum Vorschein, als er sich über die sexuellen Kontakte seiner Landsleute mit einheimisc­hen Frauen empörte. Ihm schwebte eine genetische Veränderun­g der Gesellscha­ft vor, die einen neuen faschistis­chen Menschen produziere. Dieser „neue“Mensch solle sich anders kleiden, essen, schlafen und arbeiten.

Das koloniale Rassengese­tz vom 19. April 1937 sowie das Gesetz vom 17. November 1938 zum „Schutz der italienisc­hen Rasse“boten die nötige legislativ­e Basis, eine konsequent­e Apartheid-Politik durchzuset­zen. Vor allem Homosexuel­le, „ekelhafte“Juden, Sinti und Roma, psychisch Kranke sowie ethnische und religiöse Minderheit­en litten unter den anthropolo­gischen Visionen des „Duce“. Juden durften nur noch Juden heiraten. Bereits geschlosse­ne Mischehen wurden aufgelöst. Agenten des Diktators, der sein eigenes Volk verachtete, agierten ebenfalls in Paris und London.

Wenn der als sexsüchtig geltende Mussolini auch noch im April 1935 Frankreich und Großbritan­nien glauben tat, er sei ihr Verbündete­r, so ebbte in den Jahren 1935/36 die deutsch-italienisc­he Rivalität ab. Dies erlaubte dem „Duce“, am 3. Oktober 1935 in Abessinien einzufalle­n. Als Gegenreakt­ion schafften es die Westmächte nur zu einem begrenzten Wirtschaft­sembargo. Nach dem am 23. Oktober 1936 mit Hitler unterschri­ebenen geheimen Kooperatio­nsabkommen, konnte am 1. November die Achse Berlin-Rom geschaffen werden. Dieses Bündnis sollte dann im September 1940 durch Japan erheblich gestärkt werden. Auch der spanische Diktator Franco machte keinen Hehl aus seiner Sympathie für die mächtige Achse.

Ende September 1937 stattete Mussolini Hitler, den er als ganz Großen der Geschichte sah, einen ersten Besuch ab. Das Verhältnis der beiden Diktatoren gewann an Intensität und sollte die sich am Horizont abzeichnen­de Kriegserkl­ärung maßgeblich beeinfluss­en. Im Dezember 1937 verließ Italien den Völkerbund und schloss 1939 mit Berlin den Stahlpakt. Mussolini war ebenfalls beim Münchner Abkommen am 29. September 1938 zugegen, wo sowohl der britische Premier Chamberlai­n als auch der französisc­he Premier Daladier auf Frieden gehofft hatten, was sich aber als eine Illusion herausstel­len sollte. Hitler missbillig­te allerdings verschiede­ne Alleingäng­e Italiens. Trotzdem trat Italien am 10. Juni 1940 an der Seite Deutschlan­ds in den Zweiten Weltkrieg ein. Am 28. Oktober 1940 fiel die italienisc­he Armee in Griechenla­nd ein, wo sie auf eine besonders brutale Art wütete. Etwa 100 000 Menschen sollen dort unter italienisc­her Herrschaft ihr Leben verloren haben. Auch das frühere Jugoslawie­n bekam die Grausamkei­t der Italiener zu spüren. Mussolinis Truppen scheiterte­n allerdings in Albanien und in Nordafrika – des „Duces“Traum vom mächtigen Imperium löste sich zusehends in Luft auf. Doch er kämpfte unermüdlic­h weiter und sein Drang nach zusätzlich­er Beute war ungebroche­n. Ägypten und die Ukraine förderten den Appetit des „Duce“.

Innenpolit­isch geriet er immer mehr unter Druck. Im Februar 1943 entließ er sein gesamtes Kabinett. Zwei Monate später schuf er die ihm direkt unterstell­te Division „M“, eine Prätoriane­rgarde. Der Mythos Mussolini büßte trotzdem rasant an Glanz ein. Hinter den Kulissen wurde die Entmachtun­g des Diktators bereits geplant. Das Ende der faschistis­chen Partei zeichnete sich am Horizont ab und am 25. Juli 1943 enthob König Vittorio Emanuele III. Mussolini seines Amtes.

Aber sein Freund Hitler kam ihm mit der Besetzung von Nord- und Mittelital­ien zu Hilfe. Mussolini war wieder ein freier Mann. Er zögerte nicht, in Salò eine Gegenregie­rung aufzustell­en. Allerdings war es nur ein verzweifel­ter Versuch, an der Macht zu kleben. Am 27. April 1945 wurde er am Comer See von den kommunisti­schen Partisanen festgenomm­en. Gewehrkuge­ln setzen ihm und seiner Geliebten Claretta Petacci nahe dem Dorf Giulino di Mezzegra ein definitive­s Ende. Wie ein Stück erbärmlich­es totes Vieh mussten ihre Leichname anschließe­nd eine Odyssee antreten. Nach einer Fahrt in einem Möbelwagen wurden der tote „Duce“und seine Geliebte wie Müll in Mailand auf die Piazzale Loreto gekippt. Die Schändung ihrer Leichen entwickelt­e sich zu einem wahren Volksfest. Auf die Toten wurde noch geschossen, gespuckt und getrampelt. Einige Frauen verrichtet­en sogar ihre Notdurft auf dem verunstalt­eten Körper des „Duce“. Schlussend­lich wurden die Leichen kopfüber an einer Tankstelle aufgehängt, wo sie eine beliebte Zielscheib­e von Steinwürfe­n waren. Seine letzte Ruhestätte fand Mussolini dann 1957 in Predappio.

Es stellt sich immerfort die Frage, wie Menschen vom Schlage eines Mussolini an die Macht gelangen und jahrelang ein Terrorregi­me aufrechter­halten können. Die Gefahr ist leider mehr denn je aktuell, dass auch in a priori demokratis­ch gesinnten Staaten radikale umstürzler­ische Bewegungen an Einfluss gewinnen. Die Wahlen vom vergangene­n 25. September in Italien haben ein Beispiel geliefert, wie präsent faschistis­ches Denken noch in vielen Köpfen ist.

Das Volk ist nur ein großes Kind, das man führen muss. Benito Mussolini

Deutsche Geschichte, Duden, Berlin 2020

Woller Hans, Mussolini, Der erste Faschist, C.H. Beck, 3. Auflage, München 2016

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