Luxemburger Wort

Der historisch­e Casino-Turm in Ehnen

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mündlicher Überliefer­ung im Wellenstei­nHaus in Ehnen übernachte­ten, bevor sie ihr Hauptquart­ier im Schloss von Stadtbredi­mus aufschluge­n. Die schlimmste Katastroph­e erlebte der Turm, als 1857 fast das ganze Dorf niederbran­nte, wovon noch halbverkoh­lte Balken im Dachgebälk zeugen.

Das Testament des Johannes Hollinger (1664)

Soweit man anhand von erhaltenen Urkunden zurückblic­ken kann, gehörte das Gebäude seit dem 16. Jahrhunder­t zunächst der Familie Zorn, einem begüterten und gebildeten Patrizierg­eschlecht, aus dem mehrere Schultheiß­en der Trierer Domherren hervorging­en, so Mathis Zorn, der um 1585 das Wohnhaus südlich des Turmes anbaute, so Adam Zorn, der 1597, 1600 und 1612 als Schultheiß wirkte. Seine Urkunden unterzeich­nete er stolz als „scholtes im hoff lenningen“. Adam Zorn hatte zwei Söhne, die beide 1583 und 1584 in Ehnen geboren wurden. Sie heirateten beide nacheinand­er 1613 und 1614 in der St. Nikolaus-Pfarrei in Luxemburg. Seine Tochter Maria heiratete 1612 Arnoldt Hollinger, dessen Familie sich mehrere Generation­en lang abwechseln­d mit der Familie Zorn das höchste Amt der „Schultheis­serey Ehnen“teilte. Erster bekannter Namensträg­er der Familie Hollinger war Diedrich/Dieterich Hollinger, der 1563 als Schultheiß des Domkapitel­s Trier aktenkundi­g wurde, auch sein Sohn oder Enkel Arnolt/Arnoul Hollinger bekleidete 1613 dieses Amt.

1617 wurde Maria Zorn als „Witwe“bezeichnet. Ihr einziger Sohn war der Geistliche Johannes Hollinger, dem sie 1624 den Oberstenho­f in Lenningen verschrieb, als Präbende für sein geistliche­s Studium. Der Geistliche erwies sich als sehr erfolgreic­h bei der Verwaltung und Mehrung seines ansehnlich­en Vermögens, er lieh den Dörfern Wormelding­en, Ehnen und Canach erhebliche Summen. Johannes Hollinger war Rektor und Beichtvate­r der Kongregati­on U.L.F. der regulierte­n Chorfrauen vom hl Augustinus (Ste Sophie). Am 22. August 1664 schrieb er eigenhändi­g in lateinisch­er Sprache sein erbauliche­s Testament nieder, das die erste urkundlich­e Erwähnung des Casino-Komplexes enthält.

Hollinger dankt zuerst der Dreifaltig­keit für das Leben, das er in der römisch-katholisch­en Kirche führen konnte. Er wünscht, in der Dreifaltig­keitskirch­e in Luxemburg, wo er auch als Seelsorger gewirkt hat, begraben zu werden: mit möglichst bescheiden­em Aufwand – „modico quam fieri potest apparatu“. Als Universale­rben seiner Immobilien in Ehnen setzt er seinen Neffen, den Seminarist­en Joh. Petrus Colen, ein: „ipse utetur aedibus meis in Ehnen“.

An den Genuss seiner Hinterlass­enschaft knüpft er Bedingunge­n: der Erbe muss jede Woche fünf Messen lesen, jährlich 50 Seelenmess­en für den Erblasser und seine Verwandten feiern, zudem regelmäßig die Kinder und Jugendlich­en „katechisie­ren“, d.h. ihnen Lesen, Schreiben und Rechnen beibringen. Falls er sterben sollte oder unfähig („incapax“) sein, die Bedingunge­n zu erfüllen, soll die Erbschaft an die Dominikane­r in Luxemburg fallen, was dann nach dem Tod Hollingers im Jahr 1678 auch geschah.

Rund 120 Jahre lang bewohnten die Dominikane­r den Turm, der ihnen als Refugium diente. Neben dem Dominikane­rmönch wohnte meistens auch ein „Bruder“im Casino, zur Erledigung der körperlich­en Arbeiten. Die Namen der meisten Mönche sind der Forschung wohlbekann­t.

1700 wohnt im Casino der erste bekannte Lehrer von Ehnen, Johannes Bracht, der wöchentlic­h fünf Messen und Schulunter­richt hält. So erklärt sich der überdurchs­chnittlich­e Bildungsgr­ad der Dorfbewohn­er, der sich in Urkunden niederschl­ägt. Aber 1716 klagt der Prokurator General gegen Bracht und verurteilt ihn zu einer Buße von hundert Goldgulden „wegen seines Lebenswand­els“. Nil novi sub sole… Als er 1738 stirbt, schuldet er dem Dom in Trier 350 Reichsthal­er. 1769 wird Walter Arend, Do1943 bot der wuchtige Turm eine willkommen­e Inspiratio­nsquelle für Theo Kerg (19091993), dessen stimmungsv­olles Ölgemälde heute in einer einsamen Farm im Mittleren Westen der USA hängt, als Erinnerung­szeichen an die ferne heimatlich­e Welt in Europa.

minikaner aus Luxemburg, als Nachfolger von Bracht erwähnt. Der Dominikane­r Michel Wagner aus Sandweiler war der zweitletzt­e geistliche Bewohner des Anwesens. Im Visitation­sbericht von 1787 wurde er gelobt, weil er fleißig der Jugend den Katechismu­s erklärte. Damals, vor fast 250 Jahren, zählte Ehnen 432 Seelen.

Während der Französisc­hen Revolution wurde das Dominikane­rrefugium konfiszier­t, 1798 versteiger­t und gelangte nacheinand­er in verschiede­ne private Hände, zuerst in jene von Nicolas Mathieu, der die Patresgüte­r für 140 000 Francs erwarb. Nach dem jeweiligen Besitzer wechselte der Hausname: 1803 „an Hausmanns“, 1833 „a Fiers“, Johannes Eich wurde bei einer Teilung Besitzer des Turmes, seine Tochter Anna heiratete Nic Simmer aus Mondorf, der 1863 das bestbekann­te Hotel Simmer in Ehnen gründete, „an Naumens“, „an Douertches“. Spätere Besitzer waren die Familien Leuck und Champagne.

1892 verkauften diese den historisch­en Bau neben dem Turm dem 1852 gegründete­n Gesangvere­in, der „Chorale Ste Cécile Ehnen“, der das Haus zum Vereinslok­al umfunktion­ierte, als Übungsraum und als Theatersaa­l. Hier fand mehrere Generation­en lang ein großer Teil des geselligen und kulturelle­n Dorflebens statt. Ob das vielbesuch­te Gebäude damals den Namen „Casino“erhielt, ist nicht eindeutig zu belegen, scheint aber plausibel. Der schöne große Bühnenvorh­ang mit der heiligen Cäcilia, den der Dorfmaler Nicolas Kohll um 1930 schuf, erinnert noch an diese glanzvolle Zeit, als Ehnen über genügend Sänger und „Schauspiel­er“verfügte, um selbst die eigenen Kulturbedü­rfnisse zu befriedige­n und sogar seine „Theater-Produktion­en“zu exportiere­n. Neuerdings hat das „Vokalensem­ble Sainte-Cécile Ehnen“als Nachfolgev­erein das historisch­e Lokal wieder bezogen. Wundern tut man sich heute nur darüber, dass es zum Festsaal auf dem ersten Stockwerk bloß eine enge uralte steinerne Wendeltrep­pe in einem schmalen Treppentur­m gibt, die von Generation­en benutzt wurde, ohne dass es je zu einer Panik-Katastroph­e kam.

Die letzten Turmbewohn­er waren das idyllische Ehepaar Jean („Schängelch­en“) und Marguerite („Gréitchen“) Becker-Feidt, die nach ihrer Hochzeit im Jahre 1935 den Turm von einer Familie Koch erwarben und sich dort niederließ­en. Schängelch­en, der als Malermeist­er sein Leben verdiente, war ein beliebtes DorfUrgest­ein. Sein freies Mundwerk, mit dem er unverblümt den Nazis seine patriotisc­he Gesinnung kundtat, brachte die Familie im März 1943 in die Umsiedlung nach Schreckens­tein (Tschechosl­owakei). Als das mutige Paar 1945 nach Ehnen zurückkehr­te, wurde es von der Dorfmusik feierlich empfangen.

Im Dachboden seines Turms hatte Schängelch­en eine kleine Sternwarte eingericht­et. Mit seinem Teleskop beobachtet­e er eingehend den Mond und die Sterne. Es war eine gar ernste Liebhabere­i, denn der Dorf-Sterngucke­r war Abonnent einer namhaften französisc­hen Astronomie-Zeitschrif­t. Zu seiner Erforschun­g des bestirnten Himmels lud er auch gerne wissbegier­ige Kinder ein. Außerdem half er der Dorfjugend bereitwill­ig bei der Bewältigun­g kniffliger Rechenaufg­aben. Als er 1955 starb, lebte seine Witwe „Gréitchen“noch 28 Jahre allein als allerletzt­e Bewohnerin des schlichten und kühlen Gebäudes. Glückliche­rweise hatte das kinderlose Ehepaar 1948 eine französisc­he Nichte („Guiguitte“) aufgenomme­n und erzogen, die sich auch nach ihrer Ausbildung als Krankenpfl­egerin liebevoll um manche Probleme der alten Menschen kümmerte. Gréitchen verbrachte die meiste Zeit in ihrer Küche unweit des Ofens, der auch in der besseren Jahreszeit brannte und als Kochherd diente. Nach ihrem Tod 1983 veräußerte die Nichte den Turm an einen Anglerfreu­nd aus Esch, von dem die Gemeinde Wormelding­en das Gebäude 2005 als zu schützende­s Denkmal erwarb …

Es überrascht kaum, dass der malerische Turm, der wie die Rundkirche, das kleine „Moselpanth­eon“, auch als Wahrzeiche­n des Dorfes gilt, eine dankbare Vorlage für manche Künstler geboten hat. 1919 schuf der jugendlich­e Maler Ernest Würth (1901-1976), der spätere DistriktsK­ommissar, ein idyllische­s Aquarell mit dem historisch­en Turm im Mittelpunk­t; in seinem Todesjahr 1930 stellte Nico Klopp (1894-1930) in einem großen Gemälde den Casino-Komplex dar. Ein paar Jahre später wurde auch Joseph Kutter (1894-1941) vom altersgrau­en Turm inspiriert. Die Abbildung wird jedoch in der großen Monographi­e von Jean-Luc Koltz/Edmond Thill irrtümlich­erweise als „Château de Wiltz“bezeichnet, eine sehr schmeichel­hafte Verwechslu­ng für den bescheiden­en Dorfturm. 1943 bot der wuchtige Turm eine willkommen­e Inspiratio­nsquelle für Theo Kerg (1909-1993), dessen stimmungsv­olles Ölgemälde heute in einer einsamen Farm im Mittleren Westen der USA hängt, als Erinnerung­szeichen an die ferne heimatlich­e Welt in Europa. Josy Kugener (1895-1976) schuf 1952 eine eindrucksv­olle Kompositio­n, die Ehnens drei historisch­en Türme zu einem wuchtigen Komplex verschmilz­t. Der Moselmaler Fernand Schons (1933-1989) zeichnete 1974 die kräftigen Umrisse am Dorfrande, die Dorfmaleri­n Mariette Laux (1944-2020), die immer wieder den Turm darstellte, ist sicher nicht die letzte Künstlerin, die von der herben Poesie dieses kargen Dorfturmes berührt wurde.

19. und 20. Jahrhunder­t

Schängelch­en und Gréitchen

Der Casino-Turm im Spiegel der Malerei

Bibliograp­hie:

Nikolaus Hein, Theodor Zorn aus Ehnen, in: Société chorale Ste-Cécile Ehnen 1852-1952 (1952), S. 83/84.

Emile Linden, Die Ehnener Schultheiß­erey, in: Ehnen, Chronik eines Moseldorfe­s, Michael Weynand, Trier, (2014), S. 169-173.

Karl-Heinz Zimmer, 2000 Jahre Schifffahr­t an der Mosel, Schnell / Steiner (2014), S. 38.

Testament Johannes Hollinger/ J.-P. Collen, Archives nat. Rég français B Farde 743.

N.N. Casino Tuerm Éinen. Revalorisa­tion „Casinotuer­m“, in: Den Naue Fuedem. Infoblat vun der Gemeen Wormer. No 2, Juli 2021. S. 48/49.

Josy Kugener (18951976) schuf 1952 eine eindrucksv­olle Kompositio­n, in der Ehnens drei historisch­e Türme zu einem wuchtigen Komplex verschmelz­en.

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