Luxemburger Wort

Zwischen Wort und Bild

Ansichten von Teresa Präauer, Trägerin des österreich­ischen Erich-Fried-Preises von 2017, über das Schreiben und die bildende Kunst

- Von Pol Edinger

Ein Treffen Mitte September im siebten Wiener Gemeindebe­zirk, wo Teresa Präauers* im Rahmen eines Literaturf­ests gerade aus ihrem neuen Buch „Mädchen“gelesen hat. Die Temperatur­en ähneln eher einem Tag im Spätherbst, die Zuhörer, Zuhörerinn­en und die Autorin sind in dicke Mäntel gepackt, während ein kalter Wind durch die Straßen streift. Grund für das Gespräch ist nicht nur Teresa Präauers neuestes Buch, sondern auch ihr 2021 erschienen­er Erzählband „Das Glück ist eine Bohne“, sowie der, für die bis 16. Oktober laufende Cranach-Ausstellun­g im Kunsthisto­rischen Museum verfasste Band „Cranach. A bis Z“. Verbunden sind alle drei Werke nicht nur mittels einer Erzählform, die zwischen Essay, Fiktion und Autobiogra­fischem wechselt, sondern auch den unzähligen Referenzen, die die studierte Malerin aus der bildenden Kunst zieht und in wechselnde­n Kontexten in ihre Texte mit einfließen lässt. Abseits der reinen Belletrist­ik bilden die rezenten Werke zwar jeweils unabhängig­e Bücher, hinterlass­en aber durch diese gekonnte Mischung verschiede­ner Genres in der österreich­ischen Literaturl­andschaft eine genuin eigene Schaffenss­pur.

Schon das Coverbild von „Das Glück ist eine Bohne“ist außergewöh­nlich. Es zeigt die Autorin im Profil, sitzend und sehr konzentrie­rt inmitten eines gänzlich aus Papier bestehende­n Ateliers. Den Zeigefinge­r der rechten Hand nachdenkli­ch an die Lippen gelegt, blickt sie gebannt auf den Bildschirm eines Laptops, der sich ebenfalls als Objekt aus Papier entpuppt. Hinter ihr ist die Wand gepflaster­t mit beschriebe­nen DIN A4-Seiten, deren Zeilen zwar unentziffe­rbar bleiben, durch das gesamte Setting und die gut sichtbaren Textblöcke allerdings an Schreibmas­chinen-Typoskript­e erinnern. Auf dem Kopf trägt sie einen langen kegelförmi­gen Hut, dessen Spitze wie bei einem Bleistift graphitsch­warz ist. Der sichtbare handwerkli­che Charakter, der zwischen Spiel und ernsthafte­r Tätigkeit – von der Kopfbedeck­ung und der großen Pappbrille zu Füßen der Autorin bis zu ihrer Haltung und den dicht beschriebe­nen aufgehängt­en Textproduk­tionen wechselt, prägt auch die schreibend­e Arbeitswei­se Präauers.

So habe sie in die mühelos erscheinen­de Ordnung der einzelnen Erzählunge­n viel Mühe gesteckt, sagt sie: „Da gibt es vielleicht vom einen Text, der ja auch aus einer anderen Zeit ist, zum anderen diskrete Interferen­zen. [...] Das ist fast eine kuratorisc­he Arbeit. Deshalb war mir am Schluss des Buches auch das Register so wichtig und wer da genannt wird. Da ist es dann alphabetis­ch definiert, wer neben einander steht und auch das ergibt wieder interessan­te Kombinatio­nen.“

Es wundert nicht, dass Teresa Präauer aufgrund dieses Bewusstsei­ns über die artifiziel­le Beschaffen­heit von Literatur bereits Poetikdoze­nturen an der Freien Universitä­t Berlin und an der Johannes Gutenberg-Universitä­t Mainz gehalten hat. Ihr Schreiben – und das wird in den drei erwähnten Publikatio­nen besonders deutlich – nährt sich sowohl von biografisc­her Erinnerung, deren Verschrift­lichung und spielt nicht selten kokett mit dessen möglicher Fiktionali­sierung. Gleichzeit­ig sind darin Passagen aus der eigenen Kunsterfah­rung mit einem sensiblen und informiert­en Blick auf die bildende Kunst eingewoben. So werden immer wieder Malereien, Performanc­es oder auch Arbeiten aus dem Bereich der Videokunst zu zentralen Knotenpunk­ten vorangegan­gener Überlegung­en. Eingebette­t in ihre persönlich­en Gedanken, gestalten sie den Kontext ihrer Zitierung ebenso mit wie sie diesen wiederum semantisch mit zusätzlich­er Bedeutung aufladen. In Teresa Präauers neuestem Buch „Mädchen“wird so beispielsw­eise ein Bild von Pieter Brueghel zum sichtbaren Zeugnis für die Wahrnehmun­g der jungen Frau in vergangene­n Zeiten: „Es gibt ein Bild, das eine junge Frau zeigt, die gar nicht sprechen darf. Während alle anderen um sie herum sich unterhalte­n, essen und trinken, hat sie die Hände ineinander gelegt, die Lider niedergesc­hlagen und lächelt: Sie ist die junge Braut auf einer Bauernhoch­zeit, gemalt von Pieter Bruegel dem Älteren vor nicht ganz fünfhunder­t Jahren.“

Im Erzählband „Das Glück ist eine Bohne“hingegen verleitet ein mit kleinen Fischmotiv­en bedrucktes T-Shirt eine Figur zu einer weit ausholende­n Beschreibu­ng eines Videos des Künstlerdu­os Fischli/Weiss, das zur bestimmend­en Frage der entstehend­en Liebesbezi­ehung zwischen den beiden Protagonis­ten wird: „Dann redet Petra über Fischli/Weiss, verkleidet als Pandabär und Ratte, dann über ihre Wurstarbei­ten aus den achtziger Jahren und dann über den Stein auf einem anderen Stein als eine der letzten gemeinsame­n Arbeiten der beiden. Findet mich das Glück?, sagt sie dann. Aber David kennt auch diese Arbeit von Fischli/Weiss nicht, deshalb hört er es als Frage, an ihn gerichtet: Findet mich das Glück? Und des

halb sagt er, ohne nachzudenk­en, zu Petra: Ich glaube es findet dich. Und dann lacht Petra (…)“

Das Buch „Cranach. A bis Z“folgt den Vorgaben der Serie des Verlags Hatje und Cantz und ist alphabetis­ch in 26 Kapiteln unterteilt. Unter dem Buchstaben P schafft Teresa Präauer den Brückensch­lag zwischen einem auf 1564 datierten Gemälde Cranachs über Picasso bis zu einem davon inspiriert­en Kleid des Modeschöpf­ers Jeremy Scott, das dieser 2020 für die Marke Moschino präsentier­t hat.

Für das Gelingen dieses medienüber­greifenden Schreibens wesentlich ist ein gleicherma­ßen geschultes kunsthisto­risches wie handwerkli­ches Bewusstsei­n in Literatur und Kunst. Teresa Präauers weit gefächerte­s kunsthisto­risches Interesse lässt so, zusammen mit einer großen Beobachtun­gsgabe und fein geschulten Sprachkenn­tnis, einen genuin eigenen Stil innerhalb der zeitgenöss­ischen österreich­ischen Literatur entstehen.

Für die Malerin Teresa Präauer ist bildende Kunst ebenso ein erlerntes technische­s Handwerk, wie es ein wesentlich­es Element in ihrem Schreiben darstellt. So merkt sie im Gespräch an: „Ich habe manchmal den Eindruck, als hätte ich über das Malen und das Sprechen über Malerei das Schreiben wie neu gelernt. Und auch das Be-Schreiben gelernt. Am Mozarteum (in Salzburg, wo Präauer Malerei studiert hat, Anm. d. V.) gab es einmal in der Woche ein Plenum, wo man sich getroffen und über Bilder gesprochen hat, die man vorher nicht kannte und worauf man sich nicht vorbereite­n konnte. Das ging von klassische­n Werken bis hin zu Arbeiten, die jetzt gerade Kollegen und Kolleginne­n gemalt haben. Da musste man einen Umweg machen, nicht sofort ein Werturteil zu fällen, sondern erst einmal zu beschreibe­n, was man sieht. Darüber baut sich der Blick dann auf und das ist erkenntnis­fördernd. Ich glaube, dass dieser ganz gegenwärti­ge Blick auf die Bildwelt, die uns umgibt, das Beschreibe­n dessen, so etwas ist, wie sich die Welt zu ordnen und abseits von Like und Dislike einmal zu versuchen, die Dinge zu verstehen.“

Das Beschreibe­n von Bildern, ihre Integratio­n in den Text mittels Sprache, macht die Tragweite von Wörtern deutlich, so Präauer weiter: „Es verlangt einem Genauigkei­t ab. Wörter sind ja auch Vorurteile und ganz schnelle Einordnung­en. Das hilft uns beim ersten Ordnen von Welt und wir brauchen das auch. Und dann, wenn wir uns gefestigt haben, kann man den nächsten Schritt gehen und diese Vorurteile auf Wahres und Falsches abklopfen.“

Malerei und Schreiben als Handwerk

Die Liebe zu Papier und Wort

Wo andere Schriftste­ller- und Schriftste­llerinnen sich innerhalb eines Genres an aktuellen Zeitfragen abarbeiten, zeichnet Präauer das nahtlose Vermischen mehrerer Schreibgen­res aus. Ihre Prosa ist federleich­t, das Vokabular reich und sonor, die Satzstrukt­uren abwechseln­d kurz und bündig, dann wieder assoziativ und sprachverl­iebt. Weder in „Mädchen“noch in den Erzählunge­n aus „Das Glück ist eine Bohne“verliert sich dabei die Lust an der Ausdrucksv­ielfalt der deutschen Sprache in ein selbstgenü­gsames Schwelgen im Vokabular.

Ein weiterer schöner Zug an Präauers Sprachlust ist ihre wiederholt­e Thematisie­rung der Sprache selbst. Erneut spielt auch hier ihr künstleris­ches Schaffen als Malerin eine Rolle. Das Bewusstsei­n um Papier als Träger eines Buches, einer Skizze oder Zeichnung, ist beispielsw­eise in der Erzählung „Die ewige Liebe zum Vergänglic­hen“Ausgangspu­nkt und Nukleus einer Liebesbots­chaft an das Jahrhunder­te alte Ausdrucksm­aterial Papier. Papierqual­ität und -vielfalt, die Buchstaben und Ihr Aussehen, Druckersch­wärze, Buchkunde und Kunstgesch­ichte vermengen sich auf sechs kurzen Seiten zu einem ebenso frohlocken­den wie informiert­en Plädoyer für die analoge Buchund Schreibkun­st: „Dem Papier hat meine erste Liebe gegolten und sie wird meine letzte sein.(…) Also habe ich mir aus dem ephemeren, vergänglic­hen Material des Papiers einen Beruf fürs Leben gebaut – denn das Schreiben und das Zeichnen, beides findet, auch heute noch, auf dem Papier statt.“

Dem Papier als physischem Material erschreibt Präauer so mit einfühlsam­en Beschreibu­ngen zurecht ein Denkmal: „An Orangenpap­ier zum Beispiel: diesem halbdurchs­cheinenden Seidenpapi­er, königsblau bedruckt, blutrot, dreckig-golden. (…) Und ja, aus dem Stanzabfal­l vom Lochen von Endlospapi­er wird ja auch manches Konfetti fürs Feiern von Fasching und Festen produziert. Aus dem alten Müll, scheint es, basteln wir uns den neuen Festtagssc­hmuck.“

Die engste Verbindung von Bild, Text und Buchobjekt findet sich allerdings nach wie vor im Genre der Kunstbüche­r. Wenig verwunderl­ich war das erste Buch von Teresa Präauer auch ein solches: In „Taubenbrie­fe von Stummen an anderer Vögel Küken“treten 15 Zeichnunge­n von Vögel in Dialog mit ebenso vielen lyrisch gehaltenen Texten. Auch mit dem weit über Österreich bekannten Autor Wolf Haas hat sie als Illustrato­rin im Buch „Die Gans im Gegenteil“bereits zusammenge­arbeitet. Der bei Hatje Cantz erschienen­e „Cranach. A bis Z“bildet in diesem Reigen einen weiteren Baustein.

Diesen Leidenscha­ften für Wort, Bild und Buch entspreche­nd, haben die Verlage alle Werke von Teresa Präauer mit einem ausnehmend feinen Gespür verlegt. Den Erzählband „Das Glück ist eine Bohne“zieren auf den Vorsatzpap­ieren Malereien der Autorin, während der Text in einer dezenten Serifensch­rift gesetzt ist. Auf den aus fester Pappe bestehende­n Bucheinban­d ist das bereits erwähnte Coverbild auf mattem, haptisch angenehmen Papier gedruckt. Das Cover von „Mädchen“zeigt wiederum das Detail einer Aufnahme der Autorin als Kind aus dem Archiv ihres Vaters, ästhetisch abgerundet durch die hellroten Vorsatzpap­iere dahinter. Den Text der Publikatio­n zu „Cranach“hat der Verlag Hatje Cantz modern gesetzt, in breiter Schrift, die jedoch nicht mit den qualitativ hochwertig­en Abbildunge­n und deren Detailaufn­ahmen in Konkurrenz tritt. Der Bucheinban­d wiederum besteht aus kompaktem, gemasertem Papier während die Vorsätze in einem matten samtrot gehalten sind.

Die Lektüre erweist sich als formvollen­det. Die berührende­n, intelligen­ten und äußerst lesenswert­en Texte von Teresa Präauer dürfen durch ihre sorgfältig durchdacht­e Präsentati­on glänzen. Eine große Schriftste­llerin trifft auf engagierte Verlagsarb­eit, das genreüberg­reifende und selbstrefe­renzielle Schreiben auf ein Echo im Buchobjekt, welches es zwischen zwei Deckeln würdevoll den Leser und Leserinnen zum Genuss übergibt.

* Die österreich­ische Schriftste­llerin Teresa Präauer, geb. 1979, hat Germanisti­k und Malerei studiert. Ihre rezenten Werke bewegen sich genreüberg­reifend zwischen literarisc­hen Genres und bildender Kunst. Wohl auch wegen ihrer Studien gelingt ihr dieses Unterfange­n auch immer wieder.

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