Luxemburger Wort

Guterres: „Sind auf dem Highway zur Klimahölle“

- Karikatur: Florin Balaban

Auf der Weltklimak­onferenz in Ägypten hat UN-Generalsek­retär António Guterres in düsteren Worten vor den katastroph­alen Folgen der Erderhitzu­ng gewarnt. „Wir sind auf dem Highway zur Klimahölle – mit dem Fuß auf dem Gaspedal“, sagte Guterres gestern in einer Rede vor Dutzenden Staatsund Regierungs­chefs in Scharm el Scheich. „Wir kämpfen den Kampf unseres Lebens – und sind dabei zu verlieren“, warnte er mit Blick auf Dürren, Überschwem­mungen, Unwetter und steigende Meeresspie­gel.

Bis Ende kommender Woche beraten in Ägypten die Vertreter von rund 200 Staaten darüber, wie die Erderwärmu­ng auf ein noch erträglich­es Maß eingedämmt werden kann. Schon jetzt hat sich die Welt um etwa 1,1 Grad zur Zeit vor der industriel­len Revolution im 19. Jahrhunder­t aufgeheizt.

Guterres sagte, das 2015 in Paris vereinbart­e Ziel, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, sei akut gefährdet. Der Portugiese rief zu einem „Klima-Solidarpak­t“zwischen wohlhabend­en Staaten sowie Schwellen- und Entwicklun­gsländern auf. Dabei stünden die USA und China besonders in der Verantwort­ung. Beide Staaten stoßen mengenmäßi­g die meisten klimaschäd­lichen Treibhausg­ase aus – also vor allem Kohlendiox­id und Methan. Wörtlich sagte er: „Die Menschheit hat eine Wahl: zusammenzu­arbeiten oder unterzugeh­en!“

„Welt des Leids“

Ägyptens Präsident Abdel Fattah alSisi sagte, es gebe große Erwartunge­n auf gute Ergebnisse. „Millionen Menschen rund um den Planeten haben ihre Blicke auf uns gerichtet.“Die Folgen klimabedin­gter Wettererei­gnisse seien so verheerend wie nie zuvor. „Wir haben eine Katastroph­e nach der anderen erlebt. Sobald wir eine Katastroph­e bewältigen, entsteht eine andere – Welle für Welle.“Die Erde habe sich in eine „Welt des Leids“verwandelt.

In Scharm el Scheich herrschen sehr hohe Sicherheit­svorkehrun­gen. US-Präsident Joe Biden will am

Freitag teilnehmen. Russlands Präsident Wladimir Putin wird nicht erwartet. Vor Ort am Roten Meer sind 45 000 Teilnehmer registrier­t. Die Konferenz – bereits der 27. solche Gipfel, deshalb COP27 – soll zwei Wochen dauern. COP27-Präsident Samih Schukri mahnte, alle Maßnahmen beim Klimaschut­z müssten auf gemeinsame­r Grundlage geschehen.

Der Präsident der Afrikanisc­hen Union, Macky Sall, bezeichnet­e das Treffen als Chance, „Geschichte zu schreiben oder ein Opfer der Geschichte zu werden“. EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen schrieb auf Twitter: „Wir stehen vor vielen Herausford­erungen, aber der Klimawande­l ist die größte.“

Wir kämpfen den Kampf unseres Lebens – und sind dabei zu verlieren. UN-Generalsek­retär António Guterres

Bei der COP27 gehe es darum, gegebene Verspreche­n umzusetzen. „Wir müssen alles tun, was wir können, um 1,5 Grad in Reichweite zu halten.“

Der frühere US-Vizepräsid­ent Al Gore mahnte, der Ukraine-Krieg dürfe keine Ausrede sein für ein Festhalten an klimaschäd­lichen fossilen Energieträ­gern wie Öl, Gas und Kohle. Der Friedensno­belpreistr­äger sprach von einer „Kultur des Todes“. Doch seien die Anstrengun­gen zur Reduzierun­g der Treibhausg­ase unzureiche­nd. „Wir haben ein Glaubwürdi­gkeitsprob­lem – wir alle hier.“

Umweltschü­tzer warnten die reichen Industries­taaten davor, ausgerechn­et während der Konferenz neue Gaslieferu­ngen mit afrikanisc­hen Staaten auszuhande­ln. Es seien viele Gas-Lobbyisten in Scharm el Scheich zu erwarten. Das Treffen drohe zu einem „Greenwashi­ng“-Festival zu verkommen, warnten Vertreter von Powershift Africa, Greenpeace und des Climate Action Networks. dpa

Der 62 Jahre alte weiße Mann Dieter Nuhr ist gegen gendergere­chte Sprache. „Dieser Glaube, die Realität würde sich der Sprache anpassen, ist ja ohne jeden Beleg und ein Zeichen für ideologisc­hen Kontrollwa­hn“, sagte der Kabarettis­t vor einiger Zeit in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Seine Haltung bringt ihm neben dem einen oder anderen Shitstorm auch Unterstütz­ung ein: Am Montag ist Nuhr der wohl prominente­ste Teilnehmer eines Berliner Kongresses mit dem Thema „Wokes Deutschlan­d – Identitäts­politik als Bedrohung unserer Freiheit?“

Organisier­t wird die Veranstalt­ung von der Denkfabrik Republik21 für „neue bürgerlich­e Politik“. Deren Leiter, der Historiker Andreas Rödder, arbeitet derzeit in der CDU zusammen mit Partei-Vize Carsten Linnemann an einem neuen Grundsatzp­rogramm, das 2024 beschlosse­n werden soll. Rödders Stellvertr­eterin ist die ehemalige Bundesfami­lienminist­erin Kristina Schröder, ebenfalls CDU. Gleichwohl versteht sich R21 als überpartei­lich.

In einem am gestrigen Montag in Berlin veröffentl­ichten Manifest warnt R21 vor einer Bedrohung der freien Gesellscha­ft durch linke Identitäts­politik. „Die Grundlagen der freien Gesellscha­ft und unseres demokratis­chen Gemeinwese­ns werden durch populistis­che und extremisti­sche Rechte ebenso wie durch woke Linke bedroht“, heißt es darin.

Wach sein

Der aus den USA stammende Begriff „woke“bedeutet so viel wie „wach sein“und bezog sich anfangs allein auf rassistisc­he Diskrimini­erung. „Stay woke!“, hieß so viel wie: „Schau hin und tu was, wenn Schwarze schlecht behandelt werden!“Im Laufe weniger Jahre erweiterte sich die Bedeutung auch auf andere Minderheit­en. Zuletzt lag der Fokus stark auf Transmensc­hen.

Wer sich heute dazu bekennt, „woke“zu sein, hat den Anspruch, einen geschärfte­n Blick für Ungerechti­gkeiten aller Art zu haben. Unter Umständen fallen dann Dinge auf, die vorher nie infrage gestellt worden sind. Zum Beispiel: Warum läuft im Fernsehen ganz viel Männer- und nur sehr wenig Frauenspor­t? Zum „Woke-Sein“gehört meist auch das Gendern.

Der viel zitierte alte weiße Mann steht für jene Gruppe, die nie aufgrund ihres Geschlecht­s oder ihrer Hautfarbe diskrimini­ert wurde. Deshalb soll er aus Sicht der Woken jetzt erstmal still sein, denn er hat jahrhunder­telang fast als Einziger geredet. Rödder, zurzeit Gastprofes­sor an der Johns Hopkins University in Washington, meint: „Die Verhältnis­se in den

USA sind zwar nicht automatisc­h eine Blaupause für die Entwicklun­g in Deutschlan­d, aber die Parallelen sind kaum zu übersehen.“Er erlebe selbst, wie in den Schulen an der Ost- und Westküste die Vorstellun­g verbreitet werde, dass Weiße strukturel­l rassistisc­h seien und die ganze bürgerlich­liberale Gesellscha­ftsordnung auf Diskrimini­erung beruhe. „Das sickert längst auch ein in die Diskurse in Europa und

Deutschlan­d.“

Offensicht­lich sei dies etwa in der Wissenscha­ft. Ein Beispiel ist für ihn die junge Doktorandi­n Marie-Luise Vollbrecht, die dieses Jahr an der

Humboldt-Universitä­t in Berlin in einem Vortrag ausspreche­n wollte, dass die Biologie nur zwei Geschlecht­er kenne. Dies führte zu Protesten – auch weil Vollbrecht einen „Welt“-Beitrag mit dem Titel „Wie ARD und ZDF unsere Kinder indoktrini­eren“mitverfass­t hatte. Darin hieß es etwa, Aktivisten mit einer „'woken' TransIdeol­ogie“unterwande­rten den öffentlich-rechtliche­n Rundfunk.

Vollbrecht­s Vortrag wurde daraufhin von der Universitä­t zunächst wegen Sicherheit­sbedenken gestrichen, dann aber nach heftiger Kritik nachgeholt. „Das Entscheide­nde ist das Signal, das davon ausgeht“, sagt Rödder. „Es schüchtert ein. Andere werden sich künftig zweimal überlegen, ob sie solchen Ärger riskieren wollen.“

Kritiker sprechen hier von Cancel Culture – also von einer Ächtungsku­ltur, die sozialen Ausschluss bewirken will. Dagegen wird unter anderem angeführt, dass es auch zahlreiche Beispiele für rechte CancelKamp­agnen gebe. So wurde 2019 das sogenannte „Umweltsau“-Lied des WDR-Kinderchor­s, das mangelndes Umweltbewu­sstsein von Älteren anprangert­e, nach einem massiven Shitstorm gelöscht.

Gendern nicht als Zwang

Ein anderes Gegenargum­ent ist, dass offene Gesellscha­ften ihre Werte ständig neu verhandelt­en. Einiges könne dann irgendwann nicht mehr gesagt werden, anderes, was vorher vielleicht mit einem Tabu belegt war, schon. So konnte man sich vor 30, 40 Jahren noch offen abschätzig über Homosexuel­le äußern. Heute ist das kaum noch möglich – und das ist sicherlich auch gut so.

Rödder betont, dass er selbstvers­tändlich für Rücksicht und bürgerlich­en Anstand etwa im Umgang mit gesellscha­ftlichen Minderheit­en wie Transmensc­hen eintrete. Nicht in Ordnung sei dagegen, Diskussion­en von vornherein mit der Begründung abzublocke­n, Betroffene könnten sich dadurch verletzt fühlen. „Ich halte es zum Beispiel für absolut geboten, darüber zu sprechen, warum heute so viele Mädchen einen Geschlecht­swechsel wünschen. Eine kontrovers­e Diskussion dieses gesellscha­ftlichen Phänomens muss möglich bleiben – alles andere wäre absurd.“

Ebenso dürfe das Gendern nicht zum Zwang werden. „Sprachlich­e Sensibilit­ät ist immer richtig, sprachlich­e Vorschrift­en sind nicht akzeptabel. Ich erlebe es an der Uni, dass gesagt wird: 'Wer nicht gendert, ist rechts'“

Die radikalen Rechten profitiert­en von der linken Identitäts­politik, weil sie deren Absurdität­en für ihre Zwecke ausschlach­teten und Ressentime­nts schürten. Dies führe zu einer immer weiter fortschrei­tenden Spaltung der Gesellscha­ft. Für R21 zeigt das Beispiel USA, wie sich eine radikale Rechte und „woke Linke“immer weiter aufstachel­n. Rödder ist überzeugt: „Die Gefahr einer Polarisier­ung der Öffentlich­keit droht auch in Deutschlan­d.“dpa

Sprachlich­e Sensibilit­ät ist immer richtig, sprachlich­e Vorschrift­en sind nicht akzeptabel. Historiker Andreas Rödder

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Foto: AFP UN-Generalsek­retär António Guterres ruft zu einem „Klima-Solidarpak­t“zwischen wohlhabend­en Staaten sowie Schwellen- und Entwicklun­gsländern auf.
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