Luxemburger Wort

Kennenlern­en auf Spanisch

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Menschen aus bloßem Spaß an der Freude anzusprech­en, mag für die Meisten ein befremdlic­hes Konzept darstellen. Dies zu unterlasse­n, ist für mich, einen Introverti­erten, sogar eine unausgespr­ochene soziale Konvention, der ich als ehrlicher Bürger nicht zu trotzen wage. Unterwegs an der Nordsee wurde ich jedoch Opfer einer solch verwerflic­hen Gräueltat. Am Bahnsteig von Büsum, in Gedanken vertieft und auf meine Partnerin wartend, malte ich mir bereits ein Bild des noch vor mir liegenden Abends in meinem Hotel in Hamburg. „War das gerade Spanisch?“, riss eine durchdring­ende Stimme meinen Gedankenfa­den. Vor mir, ein bärtiger Mann, der über meine rechte Schulter hinweg schaute. Worauf war nicht zu erkennen, da wohlgemerk­t hinter mir niemand stand. „Sprichst du Spanisch?“, wiederholt­e Selbiger in akzentfrei­em Hochdeutsc­h. Ein Blick nach rechts, ein Blick nach links: niemand

War das gerade Spanisch?

zu sehen. „Ich habe nichts gesagt“, erwiderte ich. „Das war doch gerade Spanisch.“Ein paar Minuten lang drehte sich die Diskussion weiter darum, ob gerade am leeren Bahnsteig Spanisch gesprochen wurde. „Ich heiße Sebastian. Ich lebe nur eine Zugstation von hier entfernt. Ich hab auch Bier zu Hause“, offenbarte der Fremde seine Absichten. Als der Zug ankam und ich als Introverti­erter nicht zu antworten vermochte, übernahm meine nun anwesende extroverti­erte Partnerin, von der loriotesqu­en Situation belustigt, das Gespräch. Und das im Zug. Mit dem Fremden. Eine halbe Stunde lang. Ohne ein Wort Spanisch zu beherrsche­n. Warum auch? Sebastian sprach kein Spanisch. Und trotzdem hatte er zwei neue Freunde gefunden. Na ja, zumindest einen. Bei der nächsten Station stieg Sebastian aus. Ohne uns. Ein Sternchen für sein rhetorisch­es Geschick hat er sich dennoch verdient. Florian

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