Luxemburger Wort

Wenn das Geld nicht mehr für Essen reicht

- Von Franziska Jäger

Es ist noch nicht mal 15 Uhr, der Cent Buttek ist noch verschloss­en, und trotzdem hat sich vor der Tür bereits eine Schlange wartender Menschen gebildet. Niemand, der hierherkom­men muss, will leer ausgehen. Daher gilt, je früher, desto besser. Heute gibt es neue Produkte im Sortiment: Spül- und Waschmitte­l. Die haben auch die 49-jährige Carole hergelockt. „In einem so reichen Land wie Luxemburg ist Armut noch sichtbarer“, sagt die Mutter zweier Mädchen, wie um sich zu entschuldi­gen.

Der Lebensmitt­elladen für Menschen, bei denen das Geld für den Gang in den herkömmlic­hen Supermarkt zu knapp ist, befindet sich in Beggen. Eine ruhige Gegend mit geräumigen Einfamilie­nhäusern, versteckt hinter Bäumen auf einem kleinen Hang. Der Cent Buttek ist ein gutes Stück weg vom hauptstädt­ischen Zentrum, aber immer noch wöchentlic­her Anlaufpunk­t für viele Familien aus der Umgebung.

Mit den Buslinien 10 oder 11 geht es von der Haltestell­e Hamilius nach knapp 15 Minuten direkt bis vor die Tür. Fast 50 Menschen kamen an einem Nachmittag in der letzten Oktoberwoc­he in das Lokal nach Beggen. Am Monatsende wird es oft besonders knapp.

Weniger Spenden

Zugang hat nur, wer zuvor eine Karte beim Sozialamt beantragt hat. Im Cent Buttek zahlt er nur einen symbolisch­en Preis von zwei Euro, um dann mitzunehme­n, was gerade da ist. Lebensmitt­el, deren Haltbarkei­tsdatum bald ablaufen, von Cactus sowie von Bäckereien und anderen Geschäften bereitgest­ellt.

Fünf Lieferwage­n fahren jeden Morgen los und sammeln die gespendete­n Sachen ein, etwa 750 Tonnen Lebensmitt­el würden so pro Jahr gerettet werden, sagt Arthur Besch, Vizepräsid­ent des Cent Buttek, von dem es zwei weitere in Bettemburg und Lamadelein­e gibt.

„Das erste Problem, das wir seit Kurzem haben, ist, dass die Menge gespendete­r Sachen immer weniger wird“, so Besch. Frische Lebensmitt­el, die nahe am Ablaufdatu­m sind, würden in den Supermärkt­en nun vermehrt vor die Kassen platziert, um sie dort zu einem kleineren Preis zu verkaufen. „Das ist natürlich sinnvoll für den Handel“, sagt Besch, „aber wir müssen jetzt Obst und Gemüse dazukaufen.“

Hinzu komme, dass der „Europäisch­e Hilfsfonds für die am stärksten benachteil­igten Personen“(FEAD), der bedürftige­n Menschen europaweit materielle Basisunter­stützung in Form von Nahrungsmi­tteln, Kleidung und anderen wichtigen Bedarfsart­ikeln für den persönlich­en Gebrauch, beispielsw­eise Schuhe, Seife und Shampoo zur Verfügung stellt, für das Jahr 2023 weniger Trockenpro­dukte zur Verfügung stellen werde.

Angst vor Heizkosten

An diesem ersten Mittwoch im November, stehen die Kunden vor jenem Regal der „haltbaren“

Produkte an, um ihre monatlich zustehende Ration kostenlos abzuholen. In ihren mitgebrach­ten Tüten stapeln sich Zahnpasta, Duschgel, Shampoo, Toilettenp­apier, Reis, Nudeln, Konserven – seit Kurzem auch Waschmitte­l, das in der Regel nicht wenig kostet.

Carole kommt seit mehr als zehn Jahren in den Cent Buttek nach Beggen, um sich hier mit dem Nötigsten einzudecke­n. Sie war eine der ersten Bénéficiai­res, wie die Kunden hier genannt werden, als der Laden im August 2011 öffnete. Die ehrenamtli­chen Mitarbeite­rinnen des Cent Buttek kennen Caroles Mädchen von klein auf.

Mittlerwei­le sind die Zwillinge 18 und studieren, wohnen aber noch zu Hause. Caroles Mann ist arbeitsunf­ähig, Carole selbst bekommt neben dem Revis noch ein wenig Taschengel­d durch ihre Arbeit als Travailleu­r d'utilité collective (TUC) in der Kleiderstu­be des Roten Kreuzes in Bonneweg. „Ich hole heute vor allem Yoghurts, Früchte und Käse, das haben meine Mädels gern“, sagt Carole, die früher mehrmals in der Woche vorbeigeko­mmen ist und mittlerwei­le nur noch einmal kommt. Aber wer weiß, ob sie nicht wieder öfter kommen müsse.

„Wir leben in einem alten Haus, das meiste Geld geht für das Heizöl drauf“, sagt sie. „Mit zwei Kindern können wir nicht aufs Heizen verzichten, aber ich heize nicht in allen Räumen.“Auch das Studium der Kinder koste, deshalb müsse hier und da eingespart werden. „Wir haben seit einem Monat das Auto nicht mehr getankt, wir nehmen jetzt den Bus“, sagt Carole und fügt hinzu: „Den ganzen Tag wird über die steigenden Preise geredet, das stresst mich sehr.“Mit mehreren, schwer aussehende­n Tüten verlässt sie das Geschäft.

Ady kann seinen vollen Einkaufswa­gen zumindest in seinem Auto abladen. Der 67-jährige Luxemburge­r kommt seit drei Jahren vorbei. Weil sich seine 13-jährige Tochter für das Wochenende angekündig­t hat, will er vorbereite­t sein. Die Rente reicht nicht, weil Ady „ein paar Dummheiten in der Vergangenh­eit gemacht“hat, wie er sagt, und nun noch Schulden abzubezahl­en seien.

Kundenanst­urm in Bettemburg

Treibt die Inflation mehr Menschen in die Sozialläde­n? Ja, meint Arthur Besch, und kommt damit zum zweiten Problem. „Wir bekommen immer mehr Neukunden. Der Andrang ist so groß, dass unser Lokal in Bettemburg in den vergangene­n Wochen regelrecht überrannt worden ist.“

Die größte der drei Cent Butteker betreut 450 Familien, alle drei insgesamt 810 Familien. 50 Prozent der Bénéficiai­res seien Luxemburge­r und Portugiese­n, die andere Hälfte sei internatio­nal. „Ich habe noch keine aktuellen Zahlen vorliegen, aber man kann mit einem Anstieg von zehn Prozent, in Bettemburg gar 15 Prozent rechnen. Tendenz steigend.“Der Ansturm in Bettemburg sei aber auch durch die Lage zu erklären: Sieben Gemeinden werden hier bedient.

Eine Mutter steht mit ihren drei Kindern im Cent Buttek in Beggen vor der Frischethe­ke: Hier gibt es Wurst, Käse und Milchprodu­kte quasi geschenkt – solange der Vorrat reicht.

Wir haben seit einem Monat das Auto nicht mehr getankt, wir nehmen jetzt den Bus. Carole (49), kauft im Cent Buttek ein

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