Lauter Leichen
25
Sie war eine kleine, durchtrainierte Erscheinung; ihre dunkelbraunen Haare erinnerten an Coco Chanel.
Helmut tauchte hinter uns auf. „Seh ich auch zwanzig Jahre jünger aus?“, fragte er.
Ich fuhr herum, meine Mutter nicht. Sie betrachtete weiterhin Adelheid und antwortete gelassen: „Nein. Sie sehen zehn Jahre älter aus. Ich empfehle den Verzicht auf Alkohol und andere Drogen .“
„Auch Frauen?“, fragte Helmut und lachte, und meine Mutter die Frau, die sich bemühte, ihre Mimik wegen der Faltenbildung auf ein Minimum zu reduzieren – lachte mit.
„Ich bin das Gegengewicht zu meinen Eltern“, sagte Helmut.
„Das schwarze Schaf. Meine Mutter versucht zwar immer noch, mich fürs Rudern zu begeistern, aber ich bin ein hoffnungsloser Fall. Ich sitze lieber mit einem Bier am Steg und schaue den anderen beim Schwitzen zu. Mein Vater ist nicht so beratungsresistent wie ich. Er fügt sich dem Trainingsplan meiner Mutter. Einen Tag trainiert er mit Gewichten, am nächsten stellt er sich aufs Laufband oder setzt sich aufs Rad. Ohne sie würde er vermutlich so alt aussehen, wie er ist.“
Nachdem wir uns ein Weilchen unterhalten hatten, stand unvermittelt Bengt mit seinen Großeltern vor uns. Erwartungsvoll beäugten die Anderleis uns, da wir uns prächtig mit Helmut unterhielten. Bengt straffte die schmalen Schultern und stellte uns förmlich vor: „Großvater, Großmutter – darf ich vorstellen: Martha und Elenor Gint. Martha, Elenor – meine Großeltern, Cornelius und Adelheid Anderlei.“
„Bengt, mein Lieber!“, rief meine Mutter strahlend. „Dass du uns deinen zauberhaften Onkel und deine bemerkenswerten Großeltern so lange vorenthalten hast, werde ich dir so schnell nicht verzeihen!“Sie wandte sich Cornelius und Adelheid zu. „Ich habe schon gehört, dass Sie meine Tochter und mich gern kennenlernen würden, und versichere Ihnen, dass dieser Wunsch ganz auf Gegenseitigkeit beruht.“
Adelheid warf ihrem Enkel einen strengen Blick zu: Du sollst nicht lügen, sagte der Blick, und: Hausarrest für mindestens eine Woche, mein Junge!
Unverbindlich ließ Adelheid uns in den Genuss eines schmalen Lächelns kommen. „Wie wir hörten“, sagte sie, ohne auf die Freundlichkeit meiner Mutter nur im Mindesten zu reagieren, „wollen Sie in die Firma unseres Enkels investieren.“
„Das stimmt“, sagte meine Mutter. „Peter hat mir einige Prozent seines Aktienpakets angeboten. Zuerst habe ich mich mit dem
Computerspielemarkt nicht anfreunden können, aber mittlerweile bin ich ernsthaft interessiert.“Cornelius schaltete sich ein. Bislang hatte er der Unterhaltung eher gelangweilt zugehört; jetzt belebte sich sein Gesicht. „Wie Bengt uns berichtete, investieren Sie vornehmlich in Immobilien“, bemerkte er. Das Wort „Immobilien“sprach er so aus, als handelte es sich um etwas so Anrüchiges wie Pornografie. Seine Stimme war klar, fast schon schneidend. Er würde garantiert nur in sehr großen Hallen ein Mikrofon brauchen.
„Oh ja“, sagte meine Mutter. „Der Grund und Boden in einer Großstadt wie Hamburg ist äußerst wertstabil. Das kann man von den meisten anderen Investitionen leider nicht behaupten.“
„Sie legen konservativ fragte Cornelius.
„Natürlich. Ich zähle zu den größten Verpächtern in Hamburg.“
Cornelius lächelte mit ganz vielen, sehr weißen und absolut geraden Zähnen: „Ah! Verpachtung! Nun, dann … Adelheid, meine Liebe, wir geben im Juni doch wieder unser Sommerfest …“
Adelheid reagierte sofort. „Frau Gint, Fräulein Gint – Sie sind herzlich eingeladen. Bengt, kümmerst du dich bitte darum?“
Bengt schaute verwirrt aus der Wäsche. “Um die Einladungen, Junge“, schnarrte seine Großmutter.
Helmut fragte seine Eltern, ob sie sich zu uns setzen wollten, was sie angesichts der Bestuhlung (hoch, unbequem) und des Orts (schnöde an der Bar wie jedermann) bestimmt ablehnten.
Wir verabschiedeten uns. Im Weggehen wanderte Cornelius’ Hand plötzlich an den Po meiner Mutter und drückte einmal kräftig zu. „Ahh!“, rief er leise aus. „So wunderbar fest wie eine krosse Schweineschwarte!“Adelheid tat so, als hätte sie nichts mitbekommen, Bengt wand sich wie ein Aal unter Stromstößen, ich erstarrte, und meine Mutter – die schnappte sich Cornelius’ Hand, schlug darauf, wandte sich an Adelheid und sagte leise: „Bei Ihnen traut er sich das nicht. Irgendwas mache ich falsch. Sie müssen mir bei Gelegenheit mal Ihr Geheimnis verraten.“
Anerkennend betrachtete Adelheid meine Mutter, ohne etwas an?“, zu entgegnen. Dann griff sie sich den Jackenärmel ihres nun wie betrunken vor sich hin kichernden Mannes und sagte scharf: „Wir gehen. Bengt, ruf das Auto!“Womit sie wohl den Chauffeur meinte.
Cornelius beugte sich so unvermittelt und blitzschnell zu ihr herab, dass sie nicht mehr reagieren konnte, und biss ihr herzhaft in den Hals.
Adelheid hatte sich erstaunlich gut im Griff : Sie blieb stehen, ließ den Smoking los und bedachte ihren Mann mit einem Blick, der lauter war als der schrillste Schrei in einem Horrorstreifen. Cornelius ließ seine Schultern fallen und senkte den Kopf.
„Ich war ein böser Junge!“, raunte er mit kaum gezügelter Stimme. „Du musst mich bestrafen!“
Ich fing den amüsierten Blick der Barfrau auf. „Immer wieder das Gleiche mit dem Kerl“, sagte sie. „Kann sich ein, zwei Stunden beherrschen, und dann ist es vorbei.“
„Ich würde sagen: Und dann fängt es an. Was wohl gleich im Auto los sein wird …“
„Nicht mit ihr.“Die Barfrau zwinkerte mir zu.
„Ich lehnte mich vor, so gut der Barhocker das zuließ. „Nicht mit ihr? Hat er eine Geliebte?“