Wie lassen sich Wohlbefinden und Gesundheit im Handwerk steigern?
Gilles Walers, Chambre des Métiers.
Man kann es drehen und wenden, wie man will. Aber für die meisten Menschen ist der Arbeitsplatz am Ende der Ort, an dem sie den größten Teil ihrer täglichen Wachphase verbringen. Umso wichtiger ist deshalb, diesen Teil des Tages so angenehm wie möglich zu gestalten – damit darunter weder das Wohlbefinden oder aber die Gesundheit noch das Privatleben leidet. Mit einer Konferenz und Workshops greift die Chambre des Métiers am 10. November dieses Thema auf. Das „Luxemburger Wort“hat dazu mit Gilles Walers gesprochen. Er ist bei der Kammer unter anderem zuständig für die Bereiche Beschäftigung und soziale Angelegenheiten.
Gilles Walers, die Chambre de Métiers organisiert eine Veranstaltung, um den Arbeitsplatz zu einem besseren Ort zu machen. Was muss man sich darunter vorstellen?
Wir haben im Handwerk eine Vielzahl von spezifischen Untersektoren, weswegen wir uns gedacht haben, dass es sehr schwer ist, da eine einzige Herangehensweise herauszufiltern, wie man mit Mitarbeitern umgehen kann. Insofern war die Idee, den Unternehmen unterschiedliche Methoden an die Hand zu geben, um an das Thema Wohlbefinden am Arbeitsplatz in den jeweils spezifischen Fällen heranzugehen.
Die andere Überlegung, die uns dazu bewogen hat, uns mit diesem Thema zu befassen, ist der Fachkräftemangel. Hierbei geht es ja auch darum, nicht nur genügend Leute zu haben, sondern auch gut qualifizierte. Deshalb ist es umso wichtiger, die guten Mitarbeiter, die man hat, zu halten, und gleichzeitig auch attraktiv für neue Mitarbeiter zu sein. Auch hier ist ein Ansatz, der das Wohlbefinden am Arbeitsplatz steigert, sehr wichtig.
Wo setzt man da am Arbeitsplatz an?
Die Art und Weise, wie Wohlbefinden heute definiert wird, hat sich radikal verändert. Es geht deshalb um eine integrative Vorgehensweise, die im Bereich des Wohlbefindens am Arbeitsplatz immer wichtiger wird. Anstelle punktuell das Wohlbefinden zu analysieren, ist heute eine gesamtheitliche Vorgehensweise wesentlich wichtiger, welche sowohl körperliches als auch psychologisches Wohlbefinden in Einklang bringt.
Wie bekommt man dabei das Handwerk mit all seinen verschiedenen Berufsfeldern und Anforderungen unter einen Hut?
Wir haben dazu die Veranstaltung in fünf große Themen-Pfeiler unterteilt, die aus unserer Sicht wichtig sind. Der erste Aspekt ist dabei wohl die klassischste Herangehensweise, nämlich die Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz. Dazu zählt vor allem die Vermeidung von Arbeitsunfällen sowie körperlichen Beschwerden in Verbindung mit dem Arbeitsplatz. Das ist vor allem im Handwerk ein essenzieller Bestandteil, geht aber auch darüber hinaus.
Deshalb befasst sich Veranstaltung auch nicht nur mit dem Thema Sicherheit, sondern auch mit körperlicher Fitness und Gesundheit. Hierbei geht es um ergonomische Ansätze, wie etwas richtig zu heben, um spätere Rückenprobleme zu vermeiden, aber auch um scheinbar ganz banale Dinge, zum Beispiel wie man einen Besen richtig benutzt oder aber die Anpassung des Arbeitsplatzes an die ergonomischen Eigenschaften der Mitarbeiter und die auszuführenden Aufgaben, etwa durch höhenverstellbare Maschinen oder Instrumente.
Ein weiterer Punkt ist die mentale Gesundheit. Wir wollen dabei sowohl die Mitarbeiter als auch die Unternehmen dafür sensibilisieren, wie wichtig mentale Gesundheit ist. Und dass man Themen wie Mobbing oder sexuelle Belästigung nicht tabuisiert, sondern auch im Handwerk diskutiert. Mit einer offenen Herangehensweise an diese Problematik kann man schon sehr viel aus dem Weg räumen.
Ebenfalls ein Thema, auf das wir eingehen, ist die Integration von technologischen Aspekten im Arbeitsablauf, wie etwa Telearbeit und auch die Verbindung von Technologie und Arbeitsplatz. Wir haben ja oft das Problem, dass Mitarbeiter nicht abschalten können – was aber unbedingt notwendig ist. Wir müssen beide Seiten dafür sensibilisieren, dass Technologie ein Hilfsmittel ist, es aber nie nur Mittel zum Zweck sein darf.
Und ein letzter Aspekt ist schließlich noch das berühmte Gleichgewicht zwischen Arbeits- und Privatleben. Wir als Chambre des Métiers können natürlich niemandem vorschreiben, was oder wo der genaue Ausgleich ist. Wir können nur darauf hinweisen, dass jeder das Gleichgewicht für sich selbst finden muss.
Ist diese Work-Life-Balance etwas, das durch die Pandemie mehr an Bedeutung gewonnen hat?
Dieses Bedürfnis gab es ganz klar bereits vor Corona, die Pandemie hat aber wie ein Brennglas gewirkt. Die Entwicklung hat sich beschleunigt und auch die Aufmerksamkeit hat sich sehr erhöht.
Was allerdings jetzt hinzukommt, ist eine neue Arbeitergeneration mit ganz neuen Erwartungen und einer ganz neuen Lebensperspektive. Normalerweise ist das ein eher nahtloser Übergang, weil jedes Jahr neue Leute auf den Arbeitsmarkt kommen. Durch Corona, das uns inzwischen schon fast drei Jahre beschäftigt, ist das zeitweise ein wenig verpufft, sodass wir den Effekt jetzt erst richtig spüren.
Diese junge Generation bringt eine ganze Reihe an neuen Erwartungen mit, was die Sache natürlich sehr viel spannender macht. Weil auf einmal Themen aufpoppen, über die vorher nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen wurde, und weil generell eine Bewusstseinsfindung stattfindet. Nämlich, dass das Wohlbefinden am Arbeitsplatz ein essenzieller Bestandteil der Arbeitswelt von heute und morgen ist, und dass alle – vom Chef bis zum Mitarbeiter -, Teil dieses Wohlbefindens sind.
Wir verbringen einen Großteil unseres Lebens am Arbeitsplatz und sollten deshalb alle ein Interesse daran haben, diese Arbeitszeit so angenehm wie möglich zu gestalten, um die Arbeit anregend und effizient anzugehen.
Aus der Pandemie hervorgegangen ist ja auch eine verstärkte Forderung nach Telearbeit. Im Bürojob lässt sich das meist gut umsetzen, im Handwerk hingegen eher weniger. Für einen Großteil der arbeitenden Bevölkerung kommt Homeoffice also gar nicht infrage, während andere davon profitieren. Sorgt das nicht – gerade im Handwerk – für zusätzlichen Unmut beziehungsweise ein geringeres Wohlbefinden?
Telearbeit ist sicher ein Aspekt, den es so im Handwerk weniger gibt, zumindest als direkter Einfluss. Aber es gibt natürlich vor allem auch im Handwerk mittelgroße Betriebe, die eine größere verwaltungstechnische Abteilung integrieren. Während der Pandemie wurde bei solchen Betrieben verhältnismäßig mehr Telearbeit getätigt.
Bei anderen Handwerksunternehmen hat Homeoffice zumindest einen indirekten Einfluss. Während Friseure in Luxemburg-Stadt sicherlich weniger begeistert sind, wenn Büroangestellte mehr Homeoffice betreiben, freut sich der Dorfbäcker vielleicht umso mehr, weil dann mehr Leute zu Hause sind und deshalb auch mehr Kunden in seinen Laden kommen. Und für den Handwerker, der im Bausektor tätig ist, hat mehr Homeoffice womöglich den Vorteil, dass weniger Verkehr auf der Straße ist und er somit schneller zur Arbeit oder Baustelle kommt.
Ich glaube also nicht, dass die Diskussion um Telearbeit einen Einfluss auf das Wohlbefinden der Handwerker hat. Sondern es sind vielmehr die Begleiterscheinungen.
Aber es könnte ja durchaus Einfluss auf die Berufswahl junger Menschen haben, die mehr Wert auf eine Work-Life-Balance legen? Wenn man sich dank Homeoffice allein schon morgens und abends nicht durch den Berufsverkehr quälen muss, hat das doch auch was, oder?
Diese Gefahr sehe ich eher weniger. Denn jemand, der sich für das Handwerk entscheidet, will ja etwas Konkretes mit seinen Händen machen, was sich ja fundamental von Büroarbeit unterscheidet. Menschen, die im Handwerk tätig sind, sind sich dessen sehr bewusst. Für die jüngere Generation ist das sicher einer der weniger wichtigen Aspekte. Es ist nicht das Homeoffice oder aber das Gehalt, das den Ausschlag gibt, sondern am Ende die Balance zwischen den verschiedenen Aspekten.
Wenn sich gewisse körperliche und gesundheitliche Belastungen situationsbedingt aber nicht abschalten lassen, ist dann das Gehalt die letzte Stellschraube, um für mehr Wohlbefinden am Arbeitsplatz zu sorgen?
Das Gehalt ist sicher ein elementarer Bestandteil bei der Auswahl der Arbeit, und es wäre auch illusorisch zu behaupten, dass das Gehalt nicht wichtig ist. Aber es ist, so wie wir das sehen, keine Stellschraube im Bereich des Wohlbefindens. Wohlbefinden lässt sich eher über Gesundheitsaspekte – sowohl körperlich als auch mental – beeinflussen. Wohingegen gehaltstechnische Diskussionen eher in den Bereich der eigentlichen Arbeitsrelation anzusiedeln sind. Letzteres ist im Grunde das Skelett, während das Wohlbefinden das Fleisch um dieses Skelett ist.
Bei der Diskussion um mehr Wohlbefinden spielen ja auch neue Arbeitsmodelle eine Rolle, wozu neben Telearbeit zum Beispiel auch die Vier-Tage-Woche zählt. Wie sieht es damit im Handwerk aus?
Das Handwerk besteht ja vor allem aus kleinen und mittelständischen Betrieben, wovon viele auch Familienbetriebe sind. Da ist seit jeher eine Kultur des Einbindens der Mitarbeiter vorhanden. Und in diesen Strukturen ist es natürlich viel einfacher, individuell, informell und punktuell auf Bedürfnisse der Mitarbeiter einzugehen.
Wichtig ist – auch für uns als Handwerkskammer -, dass es zu einem langfristigen Mentalitätswechsel auf dem Niveau der Arbeitsorganisation kommt. Und dass die Herangehensweise an die Arbeit immer strukturierter wird und sich nicht nur fokussiert auf Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, sondern auch auf die Arbeitsorganisation, die Arbeitszeitorganisation, sowie die psychosozialen Aspekte erweitert wird.
Es geht also nicht nur darum, dafür zu sorgen, dass keine Unfälle geschehen oder es zu sonstigen Schäden kommt, sondern auch darum, Aspekte zu berücksichtigen wie: Wann arbeite ich und wo arbeite ich? Im Rahmen einer nachhaltigen Unternehmensführung ist das ein integraler Bestandteil, sowohl was das Image und die Attraktivität des Unternehmens betrifft als auch die Treuebildung der Mitarbeiter.
Ob jetzt mehr Telearbeit oder eine VierTage-Woche die Lösung für eine perfekte Arbeitsorganisation sein wird, können wir nicht sagen. Wir sind als Handwerkskammer aber der Meinung, dass wir eine Flexibilität in der Arbeitsorganisation brauchen, um den verschiedenen Arbeitsweisen, die es in dem sehr diversen Handwerk gibt, Rechnung zu tragen. Und ich glaube, dass das auch das ist, was Mitarbeiter fordern.
In Stellenausschreibungen werden immer häufiger als Alternative zur Vollzeitstelle auch Teilzeitstellen angeboten. Ist da bereits eine Flexibilität seitens der Arbeitgeber zu erkennen?
Es ist schon so, dass traditionell eine 100prozentige Stelle als das Maß aller Dinge gilt. Zu sehen ist aber auch, dass mit neuen Generationen neue Modelle gefahren werden. Und in der momentanen Arbeitszeitstruktur bieten Teilzeitmodelle die größte Flexibilität, also mit Blick auf die Arbeitszeitstruktur, die vom Gesetzgeber vorgesehen ist.
Das finden wir schade: dass wir im Moment per Gesetz eine ziemlich rigide Struktur haben, bei der Teilzeit das einzig wirklich flexible Modell ist. Was aber nicht unbedingt dem entspricht, was unterschwellig gefordert wird. Denn es geht ja in erster Linie nicht darum, weniger zu arbeiten, sondern es geht darum, flexibler und effizienter zu arbeiten.
Eine gute Arbeitsorganisation sorgt für mehr Zufriedenheit
Wir wollen, dass man Themen wie Mobbing oder sexuelle Belästigung nicht tabuisiert, sondern auch im Handwerk diskutiert.