Weltraum-Utopien gestern und heute
Der internationale Weltraummarkt ist mit rund 70 Unternehmen zu einer Säule der luxemburgischen Wirtschaft geworden, die ohne massive staatliche Subventionen gar nicht stehen würde. Spätestens seit dem nicht unumstrittenen Gesetz zur Ausbeutung von Himmelserzen, das 2017 unter der Federführung des damaligen LSAP-Wirtschaftsministers Etienne Schneider unterzeichnet wurde, ist das „Spacemining“in aller Munde. Doch welche ethischen, ökologischen und rechtlichen Fragen wirft die Weltraumeroberung auf?
„New Minett“heißt die Ausstellung, die aktuell als Gast-Expo in der Escher Konschthal zu sehen ist. In sechs unterschiedlichen künstlerischen Ansätzen schlägt sie Brücken zwischen der Minette-Region und dem fernen Mars, zwischen Weltraumprojekten und neoliberalen Utopien. Es ist die Abschlussphase des Projekts „Esch-Mars: De terres rouges en terres rouges“, das von dem Künstlerkollektiv „Cie Eddi van Tsui“im Rahmen von Esch2022, Kulturhauptstadt Europas, realisiert wurde. Es setzt in der Minette bei den roten Böden an, die ehemals Grundlage für den Wohlstand Luxemburgs waren, wie selbst EUKommissar Margaritis Schinas in dem einzigen nicht langweiligen Redebeitrag zur Eröffnung von Esch2022 mit einem Augenzwinkern in Richtung seines ehemaligen ExChefs Jean-Claude Juncker einräumte. In einer ersten Phase wurden Wissenschaftler eingeladen, in der zweiten Phase gab es eine öffentliche Debatte mit Bürgern, in einer dritten Phase stand die Kreation.
„Wir waren damals auf einen Artikel gestoßen, in dem stand, dass auf dem Mars eine neue Gesellschaft gegründet werden soll“, so Sandy Flinto vom Kollektiv „Cie Eddi van Tsui“. „Da dachten wir uns woow, das ist ja eigentlich weit weg von unserer Realität und so ist das Projekt entstanden und weil wir uns nicht damit auskannten, haben wir 40 Tage lang Wissenschaftler getroffen und sind dann in einen Dialog mit Bürgern getreten. Wir wollten wissen, was stellen die sich vor und wo ist die Grenze zwischen Science-Fiction und Realität?“
In verschiedenen Kapiteln durchleuchtet die Ausstellung die Raumfahrt, aber auch die unterschiedlichen Motivationen, die dazu führen, sich von der Erde (er-)lösen zu wollen. „New Minett“hinterfragt aber auch die von Hybris getragene, koloniale Einstellung, mit der man sich an die Erforschung und Nutzung des Weltraums begibt.
Sechs Kunstschaffende aus unterschiedlichen Bereichen, Justine Blau (plastische Kunst), Ezio D’Agostino (Fotografie), Raphaël Patout (Installation/Regie), Julie Schroell (Film), Bénédicte Vallet (Skulpturen/Keramik), Désirée Wickler (Druckgrafik/Zeichnung) und das Kollektiv „Cie Eddi van Tsui“werfen einen Blick auf dieses komplexe Thema.
Historische Fotografien von Luxemburg wirken in den unverputzten Räumlichkeiten der Konschthal wie aus der Zeit gefallen. Das heute willentlich postindustrielle Land hat bereits in seiner Vergangenheit einen großen Wandel durchgemacht, wie die Fotografien aus der Sammlung des „HI-SACS Institut Emile Metz“– eine Leihgabe des Nationalen Audiovisuellen Zentrum (CNA) – belegen. „Diese Fotos wurden seiner Zeit eher zu Werbezwecken genutzt, um zu zeigen wie schön unsere Industrie ist“, so Sandy Flinto.
In der kleinteiligen Schau wird man konfrontiert mit Zukunfts- und Fluchtutopien der Menschheit: von Gullivers „Fliegender Insel“über zahlreiche futuristische Cover von Zeitschriften: „A life for the stars“, liest man etwa, über die Aufnahme einer Weltraumkapsel auf dem Mars in 3D bis zur Darstellung einer Firma, die die Marskolonialisierung mit einem One-Way-Ticket finanzieren wollte, dann aber pleitegegangen ist. Der Weltraum ist der Ort der tausend Wünsche, der unendlichen Möglichkeiten, der Nicht-Ort schlechthin.
Die erste Kreation, „Jezero Crater’s River Delta“, ein Werk von Ezio d’Agostino, ist eine gigantische Fläche mit Zahlenspielen. „Er hat eines der letzten Fotos vom Mars genommen und die verschiedenen Signale transformiert, von 0 bis 255. Durch die Arbeit stellt er die Frage: Was ist das Bild, was erzählt es uns und wie realistisch ist es?“so Sandy Flinto. Dagegen gestellt: Bilder von der NASA,
Raphaël Patout hat in seiner Audio-Arbeit die menschliche Komponente interessiert ...
„New Minett“hinterfragt die Haltung, mit der wir uns auf diese Erforschung und Ausbeutung des Weltraums einlassen.
landläufige Ideen von Science-Fiction, wie die, ob man übers Radio mit anderen Planeten kommunizieren kann, sowie das erste Bild vom Mars.
Eine Aufnahme von David de Rueda „Lost in Time“zeigt Spuren und Reste vom Kalten Krieg. Dazwischen ein Stein vom Mars, sowie Szenarien von Weltraumtourismus, Klimawandel und Weltuntergangs-Szenarien (die Arche Noah – nur zwei Tier epro Art dürfen mit!) und Artikeln und Covern von Zeitschriften aus den 70ern und 80ern, die die Angst vor Meteoriten und dem sowjetischen Sputnik dokumentieren.
Unter dem Titel „Bien sûr que je suis fou!“stößt man in einem Glaskasten auf einem Auszug aus dem 2017 gestimmten Gesetz zur Ausbeutung von Weltraumressourcen (Loi du 20 juillet 2017 sur l'exploration et l'utilisation des ressources de l'espace). Es dokumentiert Luxemburgs Ambitionen im Weltall, der Künstler Daniel Marinangeli spricht in dem Zusammenhang von „Weltraumkapitalismus“.
Pizza-Essen im Weltall
Eine Aufnahme zeigt Kosmonauten mit fliegenden Pizzen – beruhend auf der Anekdote, dass „Pizza Hut“einen Deal mit der NASA hat, dass dort ihre Pizza konsumiert wird. „Die erste Pizza wurde 2001 dort hoch geschickt und von einem Astronauten gegessen. So wurde Pizza-Hut zum Pionier für Essen im Weltall“, erzählt Sandy Flinto. Ferner findet man einen Artikel aus der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“mit einem Leitartikel, der unter dem Titel „Les négriers de l’espace“, die Ausbeutung des Weltraums ironisiert und in dem Elon Musk, Gründer von SpaceX wie Milliardär und Amazon-Besitzer Jeff Bezos einmal mehr an den Pranger gestellt werden.
Die Arbeit „Hors-sol“von Justine Blau zeigt ein Video eines im Sand Kreise ziehenden Menschen, der seine Spuren im Boden hinterlässt (Choreographie: Giovanni Zazzera), dazu kann man parallel per Kopfhörer in die angebotenen Kontextualisierungen hineinhören.
Julie Schroell befasst sich in „Droplets 1-18“mit Umweltproblemen. Wie in Zeitlupe wirken ihre Aufnahmen von Tropfen, die auf Wasserproben basieren, die sie verschiedenen Orten im Süden Luxemburgs entnommen hat. Sie stammen aus Schlackendeponien und Teichen, die zu den ehemaligen Industriestandorten gehören. Die Aufnahmen, ausgehend von diesen Tröpfchen, werden mit der Technik des Dunkelfeldmikroskopie durchgeführt, die es ermöglicht, ein besonderes Relief zu erzeugen.
Der Weltraum ist der Ort der tausend Wünsche, der unendlichen Möglichkeiten, der NichtOrt schlechthin.
„New Minett“hinterfragt die Haltung, mit der wir uns auf diese Erforschung und Ausbeutung des Weltraums einlassen. Sie analogisiert dies mit dem Streben der Kolonialmächte, die die Ausbeutung der Bodenschätze und Bevölkerungen voraussetzten.
Eine Archäologie der Zukunft
Im Erdgeschoss der Konschthal stößt man auf Zeichnungen von Désirée Wickler. Mit „The Poppy Moment“entwirft die Künstlerin eine Archäologie der Zukunft, eine Retrospektive eines fiktiven Moments, in dem die Menschheit beschloss, eine andere Richtung einzuschlagen. Der „Poppy Moment“stellt diesen Moment der Veränderung in einer utopischen Zukunft dar. Es ist die Erschaffung eines Mythos, der im Widerspruch zum NegativTrend von Kriegen, Kolonisierung oder Weltuntergangsszenarien steht und die Möglichkeit bietet, von einer anderen gesellschaftlichen Vision zu träumen. Individualität wird nicht durch Leistung definiert, sondern durch eine gemeinsame Zusammenarbeit, die Freiheit für eine persönliche Entwicklung schafft.
Die vielschichtigen künstlerischen Ansätze spiegeln die Auseinandersetzung der Künstlerinnen und Künstler mit der Ausbeutung des Weltraums wider. Ein ambitioniertes Projekt – leider etwas versteckt in den Räumen der Escher Konschthal –, das angesiedelt in der Minette die Besucher mit den zahlreichen Entwürfen ein wenig erschlägt, doch als kritisches multidisziplinäres Projekt im Rahmen von Esch2022 durchaus Sinn ergibt.
Kunstschaffende: „Cie Eddi van Tsui“, Justine Blau, Ezio D’Agostino, Raphaël Patout, Julie Schroell, Bénédicte Vallet, Désirée Wickler; Kuratoren: Sandy Flinto, Pierrick Grobéty & Daniel Marinangeli.