COP27 und Katar-WM haben eine Gemeinsamkeit
Was haben die Weltklimakonferenz in Ägypten und die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar gemeinsam? In beiden Fällen nehmen es die Gastgeber nicht so genau mit den Menschenrechten nach westlichen Standards.
Was das im konkreten Fall bedeuten kann, erfuhr am Donnerstag Jessie Thill bei der COP27. Da die Abgeordnete von Déi Gréng einen Anstecker trug, der an das Schicksal politischer Gefangener in Ägypten erinnert, wurde ihr und ihren Mitstreitern am Eingang zum Konferenzgelände eine Sonderbehandlung zuteil: Die ägyptischen Sicherheitskräfte nahmen es ganz genau mit der Einlasskontrolle, die Abgeordnete wurde eingehend gefilzt und der Inhalt ihrer Tasche minutiös unter die Lupe genommen. „Das war keine schöne Erfahrung“, so die sichtlich beeindruckte Luxemburgerin.
Jessie Thill gibt denn auch zu, dass es ihr „Bauchschmerzen“bereitet, dass ein Land wie Ägypten, das Menschenrechte täglich missachtet, Gastgeber der COP sein darf. Gleichzeitig sei ein Ereignis von der Größenordnung der Klimakonferenz auch die Gelegenheit, um diese Missstände zu thematisieren und darauf aufmerksam zu machen. „Wegschauen ist keine Option“, betont die Grünen-Politikerin, die die COP auch dazu nutzte, um sich mit Menschenrechtsaktivisten aus Ägypten auszutauschen.
Kein Blatt vor den Mund nehmen
Die Bedeutung der Menschenrechte unterstreicht sie auch mit Blick auf die Klimapolitik. „Wenn wir Klimagerechtigkeit schaffen wollen, benötigen wir soziale Gerechtigkeit und die Abkehr von jedweder Form von Diskriminierung.“
Da in allen Fällen die Menschen in den Entwicklungsländern am meisten und ehesten betroffen sind, hofft Thill auf Fortschritte beim Anpassungsfonds – die Staatengemeinschaft soll eigentlich jährlich 100 Milliarden Euro aufbringen, Luxemburg hat sich zu rund 220 Millionen Euro bis 2025 verpflichtet und ist zurzeit Spitzenreiter beim Pro-Kopf-Engagement – und im Bereich der Verluste und Schäden durch den Klimawandel („loss and damages“), denn: „Die Situation, unter der diese Menschen leiden, ist auf unserem Mist gewachsen“, nimmt sie kein Blatt vor den Mund.
Wie herausfordernd es ist, eine Einigung bei den „loss and damages“zu erzielen, schildert Paul Galles – der CSV-Parlamentarier vertritt zusammen mit Jessie Thill die Chamber bei der Klimakonferenz in Scharm elScheich – an den beiden Ausrichtungen, die sich diametral gegenüberstehen. Einerseits verlangen die betroffenen Staaten des Südens nach einem neuen Fonds, über den sie verfügen können und den der reiche Norden speisen soll; andererseits plädieren die Industriestaaten für eine gemeinsame, partnerschaftliche Umsetzung, um verfolgen zu können, wo ihre Gelder hinfließen.
Beide Interpretationen erinnern an die Entwicklungszusammenarbeit, wo es auch die projektbezogenen Partnerschaften gibt und die sogenannte „aide budgétaire“. Unabhängig davon, welche Richtung sich durchsetze, spricht Galles von einer „moralischen Verantwortung“gegenüber den Entwicklungsländern.
Für Jessie Thill ist es auch aufgrund dieser Verantwortung, dass die Klimaaktivisten und innerhalb der Staatengemeinschaft die Europäer weiterhin Druck ausüben müssen, um das 1,5-Grad-Ziel doch noch zu erreichen und schlimmere Schäden infolge des Klimawandels abzuwenden. Wobei der Klimawandel nicht an den Toren Europas oder Luxemburgs Halt mache, hebt sie die Perspektivwechsel hervor, die eine Veranstaltung wie die COP biete. Da werde einem bewusst, dass jeder zum Klimaflüchtling werden könne: „Wir sollten uns nicht vormachen, dagegen immun zu sein.“
Die COP als Inspirationsquelle
Als weltgrößte Klima-Messeveranstaltung bietet die COP viele Möglichkeiten, sich an konkreten Projekten zu inspirieren und diese Eindrücke mit nach Hause zu nehmen. Als Beispiele nennt Paul Galles die 200 Empfehlungen des populären Klimaaktivisten Bertrand Piccard für resiliente Städte und Singapur mit seinem Nachhaltigkeitscheck, der verlangt, dass jede politische Entscheidung auf ihre klimapolitische Relevanz geprüft werde. Sowohl 2021 als auch 2022 hatte Premierminister Xavier Bettel (DP) einen solchen Check, den insbesondere Klimaverbände seit vielen Jahren fordern, auch für Luxemburg in Aussicht gestellt.
Auch wenn die Weltklimakonferenz unter dem Eindruck des Ukraine-Krieges und der Sorge um die Energieversorgung stattfindet, sind sich Thill und Galles darin einig, dass das Klima und die Klimarettung dennoch im Mittelpunkt der Konferenz stehen. Letztlich gehe es auch hier um die Perspektive, betont die Grünen-Abgeordnete: In Scharm el Scheich sei die ganze Welt vertreten, die Energieversorgung sei jedoch vor allem eine europäische Herausforderung.
Wegschauen ist keine Option. Jessie Thill (Déi Gréng) zum Umgang mit Menschenrechten