Luxemburger Wort

Einfach loslegen: Was Luxemburg von Südkorea lernen kann

- Interview: Uwe Hentschel

Ende November wird eine Wirtschaft­sdelegatio­n aus Luxemburg nach Südkorea fliegen. Mit dabei sind neben Wirtschaft­sminister Franz Fayot und Erbgroßher­zog Guillaume auch zahlreiche Unternehme­r und Vertreter von Forschungs- und Wirtschaft­sinstituti­onen. Einer von ihnen ist Carlo Thelen, Generaldir­ektor der Chambre de Commerce.

Carlo Thelen, die vergangene­n Monate haben besonders gezeigt, wie wichtig gute Beziehunge­n zu anderen Staaten sind. Ist Südkorea diesbezügl­ich ein zuverlässi­ger Partner?

Ja, auf jeden Fall. Die Konkurrenz und der Wettbewerb werden immer größer. Und das gilt nicht nur für Güter und Dienstleis­tungen, sondern auch für Fachkräfte. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern lässt Südkorea noch immer junge gut ausgebilde­te Fachkräfte ins Ausland ziehen, damit sie dann mit einer entspreche­nden Arbeitserf­ahrung zurückkomm­en. Südkorea ist diesbezügl­ich offen und verfügt über eine junge Bevölkerun­g – ein Faktor, der sehr wichtig ist. Es gab bereits zahlreiche Aktivitäte­n mit Südkorea in den letzten Jahren, und umso wichtiger ist es, diese bestehende Partnersch­aft auch weiterhin zu pflegen und am Leben zu halten.

Können Sie ein paar Beispiele nennen?

Nun, es gab ja bereits während des Koreakrieg­s 80 luxemburgi­sche Freiwillig­e, die die Alliierten vor Ort unterstütz­t haben. Und das ist natürlich in positiver Erinnerung geblieben. Insofern gibt es bereits aufgrund der Historie gute Verbindung­en zwischen uns und Südkorea. Hinzu kamen dann im März 1962 der Aufbau der diplomatis­chen Beziehunge­n, 1987 das Shipping Agreement und 2003 schließlic­h noch das Luftverkeh­rsabkommen. 1996 hat zudem Paul Wurth den ersten Hochofen in Südkorea gebaut – 100prozent­ig „Made in Luxembourg“. Wenn man eine solch gewaltige industriel­le Anlage in ein Land bringt, dann ist das förderlich für zukünftige­s Zusammenar­beiten. Ein Jahr später haben wir das Luxembourg Trade and Investment Office in Seoul eröffnet, das für die Handelsbez­iehungen sehr wichtig ist. Dass wir dieses Büro ausgerechn­et in Südkorea eröffnet haben, war kein Zufall. Und in jüngster Zeit hatten wir dann noch 2014 und 2019 zwei sehr erfolgreic­he Wirtschaft­smissionen, bei denen zahlreiche Vereinbaru­ngen unterzeich­net wurden.

Inwiefern ist Südkorea im Vergleich zu anderen Ländern für Investoren interessan­t?

Oft ist es leider so, dass es einen Unterschie­d gibt, zwischen dem, was bei Treffen oder Absichtser­klärungen vereinbart und dann tatsächlic­h umgesetzt wird. Bei Südkorea hat man es mit einem zuverlässi­gen Partner zu tun. Das belegt zum Beispiel auch die neue Produktion­sstätte von Rotarex in der Stadt Asan, an deren Einweihung wir bei der kommenden Wirtschaft­smission teilnehmen werden. Gleichzeit­ig gibt es auch sehr viele südkoreani­sche Start-ups, die Luxemburg besucht und hier an Messen teilgenomm­en haben. Für Luxemburge­r ist es interessan­t, in Südkorea zu investiere­n, weil das Umfeld mit seinen jungen, meist hervorrage­nd ausgebilde­ten Arbeitskrä­ften äußerst unternehme­rfreundlic­h ist. Von daher wundert es mich auch nicht, dass wir trotz Krisenzeit­en 33 Unternehme­n haben, die uns jetzt auf der Mission begleiten.

Der technische Vorsprung Südkoreas zeigt sich unter anderem beim Mobilfunks­tandard 5G, der dort bereits vor einigen Jahren flächendec­kend eingeführt wurde. Beneiden Sie Südkorea diesbezügl­ich, weil sich dort solche Projekte einfach schneller umsetzen lassen?

Der Vorteil von Südkorea ist sicherlich, dass die Bevölkerun­g in diese technologi­sche Entwicklun­g stärker eingebunde­n ist. Die jungen Leute dort leben diesen Prozess, sind stolz darauf. Und die Älteren werden irgendwie mitgezogen, statt Genehmigun­gen infrage zu stellen oder zu blockieren – was in Luxemburg ja gang und gäbe ist.

Südkorea ist insgesamt eher „pro Business“eingestell­t. Dort gibt es weniger bürokratis­che Hürden als hier. Davon können wir vielleicht lernen – ohne dass die Bevölkerun­g hier dann die Befürchtun­g haben muss, dass es dadurch weniger demokratis­ch wird. Ich denke, dass dort der sogenannte Nimby-Effekt, also diese Nicht-neben-meinem-Grundstück-Mentalität, wie wir sie hier und in Europa allgemein haben, weniger zum Tragen kommt.

Gut 50 Kilometer von Seoul entfernt verläuft die Grenze zu Nordkorea, wo in den vergangene­n Wochen wieder Raketen getestet wurden. Beunruhigt Sie das – mit Blick auf die bevorstehe­nde Mission, aber auch mit Blick auf Südkorea als langfristi­gen Wirtschaft­spartner?

Bei Wirtschaft­smissionen gibt es immer wieder Entwicklun­gen, die man so im Vorfeld nicht abschätzen kann. Aber wir haben natürlich schon die Entwicklun­g im Blick.

Mit dem Krieg in Europa sind wir jetzt natürlich in einer besonders nervösen Situation. Hinzu kommen der Handelskri­eg zwischen China und Amerika und immer mehr politische Unstimmigk­eiten mit Populisten und Extremiste­n weltweit. Wir als Handelskam­mer versuchen unabhängig davon, weiterhin Alternativ­märkte zu identifizi­eren. Neben den europäisch­en und westlichen Märkten beziehen wir dabei durchaus auch Wachstumsm­ärkte ein, die Risiko und Potenzial zugleich bieten. Inwieweit Unternehme­n den Schritt in diese Märkte wagen, müssen sie dann für sich selbst entscheide­n. Wir haben Südkorea bislang immer als stabiles Land gesehen – natürlich immer verbunden mit dem Risiko, dass es dort zu einer politische­n Eskalation kommen kann. Ich kann mich daran erinnern, dass wir bei unserem letzten Besuch auch noch mal die Grenze zu Nordkorea besucht haben, was auch sehr beeindruck­end war. Damals herrschte keine Nervosität. Im Moment aber glaube ich nicht, dass ein solcher Besuch logistisch und auch aus Gründen der Sicherheit möglich wäre.

Wir können nicht darauf warten, bis alle Länder die gleichen Werte vertreten wie wir.

Ist Südkorea mit Blick auf das Wegbrechen oder Infrageste­llen von Handelsbez­iehungen mit Ländern wie Russland oder Iran ein Land, das für Luxemburg als Handelspar­tner mehr an Bedeutung gewinnen könnte?

Im Moment steht Südkorea als Exportpart­ner für uns auf Rang 26 und als Importpart­ner auf Rang 23. Das zeigt, dass noch viel Potenzial da ist. Deswegen ist es auch wichtig, regelmäßig solche Märkte zu bereisen, um ständig im Austausch zu sein. Auch gerade mit Blick auf die Raumfahrt und die Informatio­nsund Kommunikat­ions-Technologi­en.

Aber der unberechen­bare Nachbar im Norden birgt ja schon ein gewisses Risiko, oder?

Unternehme­n müssen immer abwägen, wenn sie im Ausland investiere­n. Sei es aus politische­n Gründen oder aber wegen Verstößen gegen Menschenre­chte. Diejenigen, die in Russland waren, mussten ihre Geschäftst­ätigkeiten natürlich aufgeben. Wir stellen schon fest, dass die Unternehme­n insgesamt vorsichtig­er werden und solche Risiken auch einkalkuli­eren. Unternehme­n haben gelernt auch immer einen Plan B oder sogar C zu haben, falls Ressourcen oder Güter wegbrechen. Auf der anderen Seite:

Wenn ein Absatzmark­t boomt, muss man

auch schnell reagieren, bevor es zu spät ist. Die Handelskam­mer versucht immer, das im Vorfeld abzutasten. Und da kann man nicht immer warten, bis alle Lichter auf Grün sind, sondern man muss – mit einer gewissen Risikoeins­chätzung natürlich – pragmatisc­h vorgehen.

Nun vertritt Südkorea ähnliche Werte wie wir hier in Europa. Doch gilt der pragmatisc­he Ansatz auch dort, wo es eine Regierung mit Demokratie und Menschenre­chten nicht so genau nimmt?

Wir sind der Meinung: Wenn ein Regime kritisch ist, so heißt das nicht, dass dort dann auch alle Geschäftsl­eute schlecht sind. Das haben wir auch in Saudi-Arabien gesehen. Dort gibt es ein fantastisc­hes Potenzial. Die Unternehme­n, die uns begleitet haben, waren begeistert und wollen, dass wir nächstes Jahr wieder dorthin reisen – was wir auch vorhaben, vorausgese­tzt die Verbesseru­ng des ESG Index (Environmen­t, Social and Governance) schreitet voran, genauso wie die Öffnung des Marktes. Das gilt natürlich ebenso für andere Weltmärkte. Gleichzeit­ig können wir aber auch nicht darauf warten, bis alle Länder die gleichen Werte vertreten wie wir. Denn sonst machen wir gar nichts mehr, und das können wir uns als stark exportorie­ntierte Wirtschaft nicht leisten. Mir ist bewusst, dass China als Handelspar­tner derzeit sehr delikat ist. Gleichzeit­ig aber haben wir sehr viele gut funktionie­rende Handelsbez­iehungen mit Unternehme­n und Investoren in diesem Land.

Glauben Sie trotz der Erfahrunge­n mit Russland und China nach wie vor an einen „Wandel durch Handel“?

Ich bin davon überzeugt, dass man diesen Slogan ein wenig umwandeln muss: Verantwort­ungsbewuss­ter Handel kann zu einem nachhaltig­en Wandel führen. Damit der Wandel längerfris­tig nachhaltig ist, muss er Schritt für Schritt erfolgen, und das braucht seine Zeit. Wir waren zum Beispiel 2016 im Iran, als dort damit begonnen wurde, die Sanktionen gegen das Land aufzuheben, um die Geschäftsb­eziehungen wieder aufzubauen. Wir waren dort und es ist super gelaufen – und dann kam Trump und hat die wirtschaft­liche Aufbruchst­immung komplett gebremst. So etwas weiß man natürlich nicht im Vorfeld, trotzdem war es wichtig, dort zu sein. In der aktuellen politische­n Situation ist der Iran ganz klar keine Option. Ich hoffe sehr, dass wir uns mit China in naher Zukunft wieder stärker aufeinande­r zubewegen werden. Wir dürfen jetzt keine Brücken einreißen, sondern müssen versuchen, neue zu bauen. Wir importiere­n sehr viel aus China, und wir brauchen diese Waren auch. Die Leute, die jetzt sagen, wir sollten die Handelsbez­iehungen zu China kappen, sind oft dieselben, die mehr Elektromob­ilität fordern oder Produkte konsumiere­n, die in China hergestell­t oder entwickelt werden. Natürlich bedauern wir, was in der Welt geschieht. Aber im Business muss man nun auch mal pragmatisc­h vorgehen und konsequent sein. Dass dabei jedoch Menschenre­chte nicht außer Acht gelassen werden dürfen, versteht sich von selbst.

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