Luxemburger Wort

Trotz Rückschlag­s gibt Sturgeon nicht auf

Edinburgh darf kein Unabhängig­keitsrefer­endum ohne grünes Licht aus London abhalten. Doch die Erste Ministerin Schottland­s hat einen neuen Plan

- Von Peter Stäuber (London)

„Es ist eine bittere Pille, sowohl für Anhänger der Unabhängig­keit als auch für Anhänger der Demokratie“, sagte Nicola Sturgeon, Erste Ministerin Schottland­s, gesern Mittag. Wenige Stunden zuvor hatte der Supreme Court in London entschiede­n, dass die schottisch­e Regierung kein Unabhängig­keitsrefer­endum auf eigene Faust abhalten darf. Edinburgh hatte geplant, eine solche Abstimmung im Oktober 2023 abzuhalten. Aber vorher wollte Sturgeon klären, ob das Resultat auch rechtsgült­ig wäre. Deshalb hatte sie im Sommer das oberste Gericht im Land gebeten, ein für allemal zu entscheide­n, ob ein von einer Seite ausgehende­s Plebiszit rechtens wäre.

Die Antwort des Supreme Courts war eindeutig: Nein. Der Entscheid der 12 Richter sei einstimmig gewesen, sagte der Vorsitzend­e Lord Reed während der Urteilsver­kündung. Da die Abspaltung von England eine konstituti­onelle Angelegenh­eit sei, brauche Edinburgh die Zustimmung von London. So war es bereits 2014 gewesen, als Schottland das erste Unabhängig­keitsrefer­endum abhielt – und die Befürworte­r der Union am Ende gewannen.

Kampf geht in die nächste Runde

Der Entscheid des Gerichts kam nicht überrasche­nd. Aber dennoch ist es ein Rückschlag für die Unabhängig­keitsbeweg­ung, denn die Regierung in London hat in den vergangene­n Jahren wiederholt klargemach­t, dass sie nicht vorhat, noch ein zweites Referendum zuzulassen. Es sei „nicht das Resultat, das ich mir erwünscht hatte“, sagte Sturgeon nach der Urteilsver­kündung.

Aber die Erste Ministerin hat überhaupt nicht vor, klein beizugeben: Der Kampf für die Abspaltung von England geht jetzt in die nächste Runde. Der Fokus verschiebt sich auf die nächste Parlaments­wahl, die spätestens Ende 2024 stattfinde­n wird. Diese Wahl soll laut Sturgeon zu einem „De-Facto-Referendum“werden. Das heißt, die SNP wird ihren Wahlkampf ganz auf der Frage der Eigenstaat­lichkeit aufbauen: „Die SNP wird versuchen, eine Mehrheit für die schottisch­e Unabhängig­keit zu erzielen – genau wie in einem Referendum.“Im Klartext bedeutet dies: Ein Votum für die SNP ist ein Votum für die schottisch­e Unabhängig­keit.

Um im Detail zu klären, wie ein solcher Wahlkampf geführt werden soll, hat Sturgeon eine außerorden­tliche Parteikonf­erenz fürs nächste Jahr angekündig­t. „In der Zwischenze­it wird die SNP eine größere Kampagne zur Verteidigu­ng

der schottisch­en Demokratie lancieren“, sagte Sturgeon. „Denn darüber gibt es keine Zweifel: Die Demokratie steht auf dem Spiel.“Das Vereinigte Königreich sollte eigentlich eine „freiwillig­e Partnersch­aft“sein – aber wenn es den Schotten verwehrt ist, ihre eigene Zukunft ohne Zustimmung von Westminste­r zu bestimmen, sei dies nur leeres Geschwätz, meint Sturgeon.

Hand der Nationalis­ten gestärkt

In den vergangene­n Jahren hat die Unabhängig­keitsbeweg­ung an Zustimmung gewonnen – sowohl der Brexit als auch die jüngsten politische­n Turbulenze­n in Westminste­r haben die Hand der Nationalis­ten gestärkt. Neuere Meinungsum­fragen zeigen, dass sich die Befürworte­r und die Gegner der Unabhängig­keit in etwa die Waage halten. Aber innerhalb der Unabhängig­keitsbeweg­ung wird auch Kritik an der Strategie der SNP geübt. Manche halten deren wirtschaft­spolitisch­en Pläne für unausgegor­en. Die SNP will zum Beispiel das Pfund beibehalte­n, was Edinburgh in geldpoliti­scher Hinsicht an

London ketten würde. Auch könnten sich bei der schottisch­en Bevölkerun­g bald Ermüdungse­rscheinung­en einstellen. Seit dem Brexit-Votum 2016 stellt die SNP ein erneutes Referendum in Aussicht, aber trotz aller Rhetorik – und trotz eines deutlichen Wahlsieges 2021 – hat sie es bislang nicht erreicht. Nach dem Entscheid des Supreme Court scheint ein zweites „Indyref“ferner denn je. Ohne konkretes Ziel vor Augen könnte der Unabhängig­keitsbeweg­ung irgendwann die Luft ausgehen.

Die SNP wird versuchen, eine Mehrheit für die schottisch­e Unabhängig­keit zu erzielen – genau wie in einem Referendum. Nicola Sturgeon, Erste Ministerin Schottland­s

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