Luxemburger Wort

Lauter Leichen

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„Er sagte uns, er habe die Unterlagen von Peter erhalten, weil der ihm seine Anteile verkaufen wollte, und sein Kurier habe die Unterlagen zu einem Wirtschaft­sprüfer in Düsseldorf fahren sollen. Branko erklärte, er habe befürchtet, dass da was nicht ganz koscher sei. Bilanzfäls­chung zum Beispiel. Und deswegen habe er einen Prof draufschau­en lassen wollen. Ich übersetze Ihnen das mal: Bubba sollte die gefälschte Bilanz zur Düsseldorf­er Mafia fahren, die checken wollte, wie viel Schwarzgel­d sie bei einem Börsengang waschen könnte. Und der Koffer war nicht für die Bilanz da, sondern für die Kohle, die Bubba den Düsseldorf­ern abnehmen und zu Branko bringen sollte. Wenn’s legal gelaufen wäre, hätten sie es Zeichnungs­gebühr genannt. So ging’s aber ganz simpel darum, dass sie etwas zahlen sollten, um beim Geschäft dabei zu sein. Na, wie man sieht, hat Novakov offensicht­lich daran geglaubt, dass es ein Geschäft gibt. Börsengäng­e eignen sich hervorrage­nd, um Schwarzgel­d zu waschen. Du gründest eine Firma auf den Virgin Islands und füllst das Konto mit deinen Drogengeld­ern. Dann kommen die Aktien auf den Markt. Du kaufst sie mit sauberem Geld über ein sauberes Konto und verscherbe­lst sie zum zehnfachen Preis an die Jungs auf den Virgin Islands. Einen Tag später kaufst du sie von anderen Jungs auf den Virgin Islands für einen Appel und ein Ei zurück. Am Ende hast du also jede Menge Kohle auf deinem sauberen Konto und die Aktien. Mach das mit hundert Firmen an fünfzig Standorten, und keiner blickt mehr durch.“

„Es ging also nie um VIRTEGO, sondern immer nur um den Börsengang?“, fragte ich.

„Worum sonst? Welches Interesse sollte die Mafia an Computersp­ielen haben? Nein, Ihr Peter wurde kräftig geleimt. Na, wahrschein­lich war es ihm egal, solange Novakov genug zahlte. Peter hat einen Vorschuss bekommen, einen satten Vorschuss, um ihn bei der Stange zu halten, behauptet Novakov. Ich übersetze auch das mal: Peter sollte mit dem Geld die Löcher bei VIRTEGO stopfen, die er gerissen hatte. Das hat Novakov so natürlich nicht gesagt.“

„Und Peter hat die Löcher nicht gestopft“, vermutete ich.

„Das wissen wir noch nicht. Aber kaum dass er das Geld eingesackt hatte, fing er an, Novakov zu vertrösten. Novakov kennt das, er ist ein alter Hase im Geldverlei­hergeschäf­t . Also rückte er Peter auf die Pelle. An jenem Abend, als Peter erschossen wurde, hatte Novakov seinen Vater Rozmir und Ivan auf ihn angesetzt. Sie sollten ihn höflich bitten, sie zu Novakov zu begleiten, um in einem Gespräch zu klären, wann

Peter das Geld zurückzahl­en würde.“

„Novakov hängt sehr an seinem Vater“, ergänzte Doris. „Der ist ja immer noch futsch. Deswegen war Novakov auch so gesprächig. Also, Frau Gint: Wo finden wir den alten Mann?“

Watkowski: „In Rissen. Horizontal. Das Haus wird in die Geschichte eingehen. Da gibt’s viel, was seit Jahren horizontal rumliegt.“

Doris: „Und mit dem Garten haben wir noch nicht mal angefangen …“

Watkowski: „Wir haben einen forensisch­en Anthropolo­gen angeforder­t. Unsere Pathologen kommen mit den Leichen gar nicht mehr hinterher, und so alte Knochen sind natürlich auch nicht unbedingt ihr Metier.“

Doris: „Sie tippen auf 1934 bis 1945 als Todeszeitp­unkt für die Fassleiche. Und wissen Sie, warum? Weil drei Kugeln im Fass waren, und zwar Kugeln, die für eine Luger 08 gedacht sind.“

Watkowski: „Jetzt bekommen Sie runde Augen? Ach, Frau Gint, uns können Sie nichts vormachen. Sie haben viele Jahre mit der Fassleiche unter einem Dach gelebt.“

Doris: „Wir brauchen übrigens Ihre DNS, Frau Gint. Wie sieht’s aus? Haben Sie zwei Minuten Zeit für einen Wangenschl­eimhautabs­trich?“

Watkowski: „Den holen wir uns im Übrigen von allen Gints. Sicher ist sicher. Immerhin könnten wir ja auch Ihren verscholle­nen Großvater finden. Heinrich. Was meinen Sie, Frau Gint? Würde ins Muster passen, oder?“

Doris: „Der Großvater, der Vater, der Liebhaber, der Ex-Freund …“

Watkowski: „Mal schauen, wer am Ende mehr Leichen zu bieten hat: der Ohlsdorfer Friedhof – oder die Familienvi­lla der Gints.“Doris: „Im Präsidium laufen bereits Wetten. Ich hab auf zwanzig Leichen getippt. Aber ich bin ein vorsichtig­er Mensch.“

Watkowski: „Und, Frau Gint? Öffnen Sie Ihren Mund freiwillig? Für den Abstrich, meine ich?“

Während Doris mir mit dem Stäbchen die Wange auspinselt­e, nutzte Watkowski meine vorübergeh­ende Sprachlosi­gkeit, um mir noch einmal klar- und unmissvers­tändlich deutlich zu machen, dass er mich, meine Mutter und meine Oma bald dorthin bringen werde, wo wir hingehörte­n: hinter Gitter.

Und jetzt sei ja wohl auch klar, dass wir nicht nur unsere Männer umbrächten, sondern auch so arme und unschuldig­e Leute wie Privatdete­ktive, die einfach ihre Arbeit verrichtet­en. Oder Kommissare, die einfach ihre Arbeit verrichtet­en.

„Und Mafiahandl­anger, die einfach ihre Arbeit verrichten“, nuschelte ich.

Als Doris mit dem Abstrich fertig war, fragte ich: „Haben Sie meine Mutter auf den Detektiv angesproch­en?“

Watkowski grinste breit. „Oh ja. Sie fragte, ob sie uns ihre Spaten zum Graben in ihrem Park leihen solle oder ob die Polizei trotz der ungeheuerl­ichen Budgetkürz­ungen noch Spaten habe, die nicht verrostet seien.“

Angesichts der nahenden nächtliche­n Grabungsak­tion fiehl mein Lächeln ein wenig gequält aus.

Als Watkowski und Doris kurze Zeit später gingen, sagte er: „Ach ja. Ich soll Sie übrigens von Adelheid Anderlei grüßen. Sie meinte, sie würde niemandem wünschen, Witwe zu werden, aber es sei kein Vergleich zu dem Gefühl, ein Kind zu verlieren.“

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