Luxemburger Wort

Die Frage der Teezuberei­tung scheidet die Gemüter

- Von Christian Satorius

Newcastle. Die perfekte Tasse Tee ist eigentlich kein großes Geheimnis, meint zumindest Ian Brown von der Universitä­t Newcastle: 200 Milliliter frisch aufgekocht­es Wasser in eine Tasse mit einem Teebeutel geben, zwei Minuten ziehen lassen, Teebeutel entfernen, 10 Milliliter Milch hinzufügen – und dann sechs Minuten warten, bis die optimale Trinktempe­ratur von 60 Grad Celsius erreicht ist. Fertig!

Was sich hier so leicht liest, löst bei den Traditiona­listen unter Großbritan­niens Teeliebhab­ern wahre Stürme der Entrüstung aus. Einen Teebeutel verwenden? Wie kann man nur? „We are not amused!“, hätte die verstorben­e Queen Elisabeth II. wohl an dieser Stelle gesagt. Aber hat es sich der Ernährungs­wissenscha­ftler aus dem Nordosten Englands wirklich zu einfach gemacht, wie die Kritiker einwenden, denn schließlic­h geht es hier ja um nichts Geringeres als um ein britisches Nationalhe­iligtum? Allein schon die Frage, wann die Milch in die Tasse eingefüllt werden sollte, sofern Milch denn überhaupt zulässig ist – vor dem Tee oder doch besser erst danach –, entzweit die Nation bis heute.

Veraltete goldene Regeln

Ganz so einfach scheint die Sache dann auch wirklich nicht zu sein. Zwar werden in Großbritan­nien auch heute noch einige geradezu „goldene“Regeln der Teezuberei­tung ehrfurchts­voll von Generation zu Generation weitergere­icht, aber dass manche davon inzwischen längst ihre Berechtigu­ng verloren haben, wird dabei gerne übersehen.

Jeder Teeliebhab­er wird zwar auch jetzt noch mit Joseph M. Walsh übereinsti­mmen, wenn dieser in seinem Grundlagen­werk über die hohe Kunst der Teezuberei­tung

(„Tea-Blending As A Fine Art“) von 1896 eindringli­ch davon abrät, Gefäße aus Zinn zu verwenden. Aber schon Walshs nächste Regel ist heute mit einiger Vorsicht zu genießen, wenn er dazu rät, für einen „nicht zu starken Tee“pro Viertellit­er Wasser „etwa einen Teelöffel voll Tee“zu verwenden. Wenn Walsh von „Tee“spricht, dann meinte er damals natürlich ganz selbstvers­tändlich „Teeblätter“, von denen ein gehäufter Teelöffel voll etwa drei bis vier Gramm wiegt.

Ein Teelöffel voll des zerkleiner­ten Broken-Tees bringt heutzutage aber schnell das Doppelte auf die Waage ... und nicht nur das: Aufgrund der viel größeren Oberfläche des Broken-Tees, auf die das Wasser einwirken kann, ist selbstvers­tändlich auch die Ziehzeit eine ganz andere. „Chinesisch­e und japanische Tees brauchen etwa acht bis zehn Minuten, verlangen danach aber auch nach etwas Milch und Zucker“, meint Walsh 1896, wohingegen „Tees aus Indien, Java und Ceylon generell nicht länger als fünf bis sieben Minuten ziehen sollten“.

Bei diesen Zeiten rät der Fachmann wohlweisli­ch schon einmal zu einer „Extraporti­on“Milch und Zucker – heute lässt man Ganzblattt­ees aus dem Hochland von Java und Ceylon zumeist nur etwa halb so lange ziehen. Broken-Tees hingegen können schon nach einer knappen Minute genussfert­ig sein, je nach Mischung auch nach zwei, drei Minuten.

Im Vergleich zeigt sich aber auch, dass die Briten damals wie heute einen eher kräftigere­n (Schwarz-)Tee bevorzugen, den sie allerdings auch gerne mit Zucker und Milch abmildern. Wobei man beim Kern des Problems angelangt wäre: Darf man den Tee mit Zucker und Milch trinken – und falls ja: Wann fügt man beides hinzu?

Der britische Schriftste­ller und Journalist George Orwell weist in seinen bis heute vielbeacht­eten „Goldenen Regeln“für eine „nette“Tasse Tee schon in den 1940er-Jahren darauf hin, dass Zucker im Tee dazu führen kann, dass man den Tee nicht mehr schmeckt, und rät aus diesem Grund auch rigoros vom Süßen ab. „Ich weiß natürlich sehr gut,“kommt Orwell Kritikern zuvor, „dass ich damit hier in der Minderheit bin.“

Nun könnte man ja meinen, dass es sich mit der Milch eigentlich ähnlich verhalten müsste – viele Teeliebhab­er sehen das in der Tat so und genießen ihren Tee ohne Zucker und auch ohne Milch. Orwell allerdings rät zu einem guten Schuss Milch. In Bezug auf diese für ihn sehr wichtige Zutat zählt sich George Orwell selbst zur „Tea first school“, plädiert also dafür, zuerst den Tee in die Tasse zu geben und erst danach die Milch hinzuzufüg­en.

Streitthem­a Milchzugab­e

Orwell weiß natürlich, dass es sich hier um ein äußerst heikles Thema handelt, denn schließlic­h gäbe es in absolut jeder Familie in England Befürworte­r der einen wie auch der anderen Seite. Dennoch: „Wird der Tee zuerst in die Tasse eingefüllt“, ist Orwell überzeugt, „lässt sich die Milch anschließe­nd viel einfacher dosieren und von der Menge her genau auf den Tee abstimmen.“

Chinesisch­e und japanische Tees brauchen etwa acht bis zehn Minuten, verlangen danach aber auch nach etwas Milch und Zucker. Joseph M. Walsh

Ein wichtiges Argument der konkurrier­enden „Milk first school“ist dann auch schon zu Orwells Zeiten hinfällig: Ursprüngli­ch hatte die kühle Milch in der Tasse nämlich einmal die Aufgabe, den später hinzugefüg­ten heißen Tee augenblick­lich abzukühlen, damit das kostbare feine und hauchdünne chinesisch­e Porzellan nicht auf der Stelle in tausend Teile zersprang. Heutzutage allerdings dürften wohl nur noch die allerwenig­sten Menschen ihren Tee aus uralten chinesisch­en Porzellant­assen genießen.

Dennoch gibt es auch weiterhin noch einen guten Grund, die Milch vor dem Tee in die Tasse einzufülle­n, wie Dr. Andrew Stapley von der Loughborou­gh-Universitä­t in Leicesters­hire weiß. Die Proteine der Milch können mit ihren langen, vielfach gefalteten Ketten die Tanninmole­küle des Tees nämlich praktisch einwickeln und ihm so die Bitterkeit nehmen: „Wird die Milch nun aber in den heißen Tee gegeben, denaturier­t die große Hitze die Proteine der Milch und sie verlieren so ihre Einbindung­skraft“, sagt Stapley. „Gießt man aber umgekehrt den heißen Tee in die kalte Milch, dann ist die Mischung zunächst noch nicht warm genug, um die Proteine zu denaturier­en, und so neutralisi­eren sie das Tannin und die Bitterkeit verschwind­et.“

Ganz ohne Wirkung bleibt die Milch aber natürlich auch in diesem Falle nicht, denn schließlic­h verdünnt sie durch ihre Anwesenhei­t die Menge des Tees in der Tasse und somit natürlich auch bis zu einem bestimmten Grad die Bitterkeit. Kein Wunder also, dass Stapley mit seiner Äußerung sofort auf wortwörtli­ch „erbitterte­n“Widerstand der „Tea first school“trifft. Die Temperatur des Wassers sei entscheide­nd, wenden die Kritiker ein, auf die Milch komme es dabei überhaupt nicht an. Eine wirklich köstliche Diskussion, very british.

Ob mit Milch oder ohne, mit Zitrone oder gar Zucker – die Auseinande­rsetzung mit dem Nationalge­tränk der Briten und vieler anderer Nationen gleicht einer Wissenscha­ft. Ein Blick in die Forschungs- und Triviallit­eratur

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Foto: Shuttersto­ck Huhn oder Ei? Ist doch völlig egal! Viel wichtiger ist doch: Milch oder Tee – was kommt eigentlich zuerst in die Tasse?

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