Forscherteam um Luxemburger Christophe Ley sagt Weltmeister voraus
Der sportbegeisterte Wissenschaftler der Universität Luxemburg gibt mit seinen ausländischen Kollegen schon seit Jahren Prognosen ab
Heute Abend steigt bei der WM in Katar der große Favorit in den Wettbewerb ein – das sagt zumindest die Wissenschaft. Ein Forscherteam um Christophe Ley von der Universität Luxemburg hat mithilfe künstlicher Intelligenz herausgefunden, dass Brasiliens Titelchancen bei 15 Prozent liegen. Kein Team hat bessere Erfolgsaussichten. „Vor der WM 2018 haben wir zum ersten Mal ein Modell aufgestellt, um den Sieger vorauszusagen“, erzählt der 38-jährige Ley. „Bei einem internationalen Wettbewerb ging es darum, vor den einzelnen Spielen Prognosen abzugeben. Wir sind Zweiter geworden und lagen nur knapp hinter dem Sieger.“
Auch bei der Frauen-WM 2019 sowie der Männer-EM im vergangenen Jahr arbeitete das Team zusammen. Vor dem Turnier in Katar gab es allerdings Bedenken – und das nicht nur aus moralischen Gründen. „Bei dieser WM kann es sein, dass man teilweise ziemlich danebenliegt. Weil das Turnier mitten in der Saison und im Winter ausgetragen wird, ist es deutlich schwieriger, den Sieger vorauszusagen. Schlussendlich haben wir uns genau deshalb dazu entschieden, es doch zu machen. Schließlich finden wir so heraus, ob es wirklich anders ist.“
Gemeinsam mit Andreas Groll und Neele Hormann von der Technischen Universität in Dortmund, Gunther Schauberger von der Technischen Universität in München, Hans van Eetvelde von der Universität Gent und Achim Zeileis von der Universität Innsbruck füttert der Luxemburger eine künstliche Intelligenz mit zahlreichen Informationen.
Dabei werden Daten ab der WM 2002 gesammelt. „Das sind ökonomische Faktoren, aber auch das Durchschnittsalter der Spieler oder die Clubs, für die sie spielen.“Neben den öffentlich zugänglichen Zahlen gibt es noch einige „Spezialfaktoren“.
Ley und Co. analysieren die Resultate der teilnehmenden Teams, auch die Voraussagen der Buchmacher sind relevant. Bei der Wahl der einzelnen Faktoren sind sich die Wissenschaftler nicht immer einig. „Wir haben viel darüber diskutiert, inwiefern Marktwerte in unseren Vorhersagen eine Rolle spielen sollten, schließlich sind jene von 2002 nicht mit den heutigen vergleichbar. Deshalb kann es schwierig sein, den Einfluss dieses Faktors zu bestimmen.“
Über die 100 000 Computer-Simulationen des Forscherteams wird weltweit berichtet. „2018 haben wir zum ersten Mal festgestellt, wie groß die Resonanz ist. Ich freue mich darüber, weil die Wissenschaft so ins Rampenlicht rückt. Fußballspiele sind extrem schwer vorauszusagen, deshalb ist das für uns ein tolles Spielfeld, auf dem man neue Methoden ausprobieren kann. Diese benutze ich nun auch, um Vorhersagen in der Medizin zu tätigen, beispielsweise wenn es um Verletzungen von Sportlern geht.“
Sportfan und Buchautor
Ley verbindet den Job mit der Leidenschaft. „Wir sind alle Fußballfans.“Dass er sich über die WMPrognosen hinaus mit Statistiken und Zahlen im Sport beschäftigt, überrascht deshalb nicht. Ley hat zu diesem Thema bereits vor zwei Jahren ein Buch mit Co-Editor Yves Dominicy veröffentlicht, ein zweites soll schon bald erscheinen. „Anhand des Sports gelingt es uns, die Wissenschaft weniger abstrakt erscheinen zu lassen. Künstliche Intelligenz spielt in unserem Leben eine immer größere Rolle, das können wir so gut vermitteln.“
Bei der WM in Katar schaut sich Ley zwar „weniger Spiele an als sonst“, besonders die Resultate des von ihm und seinem Team prognostizierten Gewinners wird er aber genauer verfolgen.
„Wenn ich ganz ehrlich bin, kann ich mich nicht grundsätzlich davon freisprechen, zu hoffen, dass wir mit unserer Vorhersage recht behalten. Allerdings bin ich diesmal zwiegespalten, weil ich das Gefühl habe, dass alles anders ist. Bei vergangenen Weltmeisterschaften spielte es für uns etwa eine große Rolle, wenn ein Spieler mit seinem Verein in der Champions League antrat. Jetzt müssen genau diese Spieler mit der zusätzlichen Belastung klarkommen und könnten sich verletzen.“
Die Gefahr, dass Ley und Co. mit der Prognose danebenliegen, ist bei der Winter-WM deshalb umso größer. Das zeigen auch die ersten Tage. Die Argentinier, deren Titelchancen laut den Wissenschaftlern bei 11,2 Prozent liegen, zittern nach dem überraschenden 1:2 gegen Saudi-Arabien schon um den Einzug ins Achtelfinale. Brasilien muss es heute Abend ab 20 Uhr gegen Serbien besser machen.
Bei dieser WM kann es sein, dass man teilweise ziemlich danebenliegt. Christophe Ley