Von liebreizenden Frauen und echten Kerlen
Welchen Rollenmustern unterliegen Frauen? Gintare Parulyte ist in ihrem Stück „Lovefool“im TNL dem Erwartungsdruck, dem Frauen ausgesetzt sind, auf der Spur
„Wann ist ein Mann ein Mann?“, sang Herbert Grönemeyer inbrünstig in den 1980ern in seinem testosterongeladenen Männersong. Der Liedtext war zwar ironisch – und ob Grönemeyer singen kann, darüber kann man streiten – aber der Song benennt das in den Köpfen vorherrschende Männerbild der harten Kerle, die in den Krieg ziehen und eine starke Schulter zum Anlehnen bieten sollen. Wer solche Parolen verinnerlicht, hat wohl zwangsläufig das Gefühl, der Welt etwas beweisen zu müssen.
Wann aber ist eine Frau eine Frau, zumal eine „richtige Frau“? Und gibt es „die Frau“in Zeiten, in denen die Heteronormativität infrage gestellt wird und ein nicht-binäres Selbstverständnis sich auch in der Kunst durchsetzt (wie etwa der Erfolg von Kim de l’Horizons „Blutbuch“beweist)? Ist es altbacken, überhaupt noch nach Frauenrollen zu fragen?
#FengShui
Im Mittelpunkt von „Lovefool“, dem neuen Stück der litauisch-luxemburgischen Schauspielerin und Regisseurin Gintare Parulyte, steht Grace, eine junge Frau (gespielt von Kristin Winters), die sich nach Zuneigung sehnt und an den falschen Orten nach Liebe sucht. In Parulytes’ Stück geht es um Weiblichkeitsvorstellungen. Die junge Frau macht Erfahrungen, trifft sich mit Männern und entdeckt irgendwann über ungesunde (Gewalt-)Erfahrungen, wie gesunde (Selbst-)Liebe aussehen könnte.
Parulytes’ Ein-Frau-Stück zeigt aber auch Freundschaft, Traumata, Zwangsstörungen und Abhängigkeit(en). „Lovefool“klingt wie eine Collage, eine Identitätsfindung und schließlich eine Heilung.
„#FengShui – das ist unser Leitmotiv!“, so die vor Energie sprühende Regisseurin am Rande der Proben. Auf die Frage, wie sie auf das Stück gekommen sei, holt sie weit aus: „Ich habe erst mit 15 angefangen zu schauspielern. Das habe ich dann fast 20 Jahre gemacht. Vor drei Jahren habe ich meinen ersten Film gedreht. Seitdem mache ich fast nur das: Skripte schreiben.“2018 habe sie erstmals am „Monodrama Festival“teilgenommen.
Das Stück „A Lithuanian in the land of bananas“war ihre erste Regiearbeit, eine Auftragsarbeit. „Es handelt davon, wie ich unter der sowjetischen Diktatur in Litauen aufgewachsen bin“, ein autobiografisches Stück. In der Sowjetunion habe sie illegale Videos geguckt und sich gedacht: „Der Westen ist ein Musikvideo“. Als ihr Vater nach der Unabhängigkeit Litauens zufällig eine Arbeit in Luxemburg fand, war ihr erster „Schock“, dass es hier immer und überall Bananen gab.
Ihr erstes Stück war ein Erfolg, und so wurde sie direkt danach gefragt, ein weiteres zu schreiben. Es ist erneut ein Monolog, diesmal nicht autobiografisch; und sie steht nicht mehr selbst auf der Bühne.
Das Thema „toxische Männlichkeit“lag auf der Hand. Frauen machen in allen Milieus Erfahrungen von Missbrauch und schweigen. Weil sie sich schämen oder weil eben jene toxischen Männer sie durch üble Nachrede in die Knie zwingen oder isolieren. Wenn sie über das Thema des Stücks spricht, redet Parulyte eher von einer „Heilung“und von der Frage, was sie von je her auf der Bühne vermisst habe und nun darstellen will. Die Bühne als Labor.
Anfangs unterzieht sich die Schauspielerin in „Lovefool“vor den Zuschauern einem Casting. Denn die Hauptfigur, Grace, ist auch Schauspielerin ... „Das Publikum soll sie bewerten!“, so Parulyte. So wird sie auf der Bühne bewertet – wie im wahren Leben.
Ein Ziel von ihr ist die Enttabuisierung. „Fast jede dritte Frau wird mindestens einmal im Leben vergewaltigt. Das ist sehr viel.“Ist ihr Stück eine Art Selbstheilung? „Ich glaube, ich schreibe auch, um mich besser zu verstehen.“Je mehr Distanz sie habe, desto besser könne sie über die Dramaturgie des Stücks nachdenken. Ein Freud’scher Ansatz. „Ich brauche Distanz, glaube ich, wenn ich schreibe und einfach Humor.“
In der Ankündigung heißt es, dass die Inszenierung das Phänomen der toxischen Männlichkeit zwischen Verletzlichkeit und Humor erforschen will. Ist es humorvoll umgesetzt?
„Ich finde, es ist auch sehr, sehr lustig“, so Parulyte. Es gebe ein paar Möglichkeiten, mit Humor auf der Bühne umzugehen. Man könne grotesk und absurd sein, um über ein Tabuthema zu reden. Manchmal sei gerade dies tröstlich. Es gebe Absurdität und Menschlichkeit in den traurigsten Momenten. „Ich benutze Humor im Grunde als Tool, um über Sachen zu reden und zugleich nicht über sie zu reden.“Zugleich sei dies für Parulyte eine Möglichkeit, mit dem Druck umzugehen, dem Publikum etwas Bedeutsames bieten zu müssen. .
Humor als Tool
In der szenischen Umsetzung sieht sich die Figur Grace vielen Kommentaren ausgesetzt. Äußerungen, die sie beurteilen, ausfragen oder vorschreiben, wie sie zu sein habe. In einer Szene hört man Kinderstimmen, die auf die Frage antworten: „Was ist deiner Meinung nach eine Frau?“Eine bunte Collage in unterschiedlichen Sprachen: „Eng gutt Fra ass eng, déi ëmmer léif ass.“
Selbst ohne vehementer Indoktrination ausgesetzt zu sein, antworteten schon Dreiund Vierjährige: „Eine Frau putzt, eine Frau muss Kinder haben.“In „Lovefool“werden genau diese Fragen aufgeworfen, Erwartungen an Frauen formuliert und hinterfragt. Oft sei für sie eine Frau all das, was ein Mann nicht ist .. die fehlende Rippe, die einseitig interpretierte alte Geschichte von Adam und Eva!
In einer Szene führt die Schauspielerin mit Blick auf eine Dating-App auf ihrem Smartphone ein Selbstgespräch. Als sie „ein Match!“(kein Tennisturnier, sondern einen „Treffer“) mit einer Person hat, die sie potenziell „daten“könnte, beschließt sie erst mal vorzugeben, sehr „beschäftigt“zu sein … die üblichen Spielchen.
Die Haupt-Darstellerin Kristin Winters, eine kroatisch-amerikanische Schauspielerin, hat an der Rolle die Doppelbödigkeit der Hauptfigur gereizt. Das Besondere an der Erfahrung erstmals in Luxemburg zu spielen, ist für sie in einem Team mit drei Frauen zusammenzuarbeiten. Es sei „ein geschützter Raum unter Frauen.“
Parulytes' Antwort auf die Frage, was sie mit dem Stück vermitteln will, fällt bescheiden aus: „Ich glaube nicht, dass ich diese Wichtigkeit habe, dass ich mir denke: Jetzt werde ich mal Menschen berühren.“Wie viele männliche Regisseure so geantwortet hätten?
Ich brauche Distanz, glaube ich, wenn ich schreibe und einfach Humor. Gintare Parulyte
„Lovefool“; Text und Regie: Gintare Parulyte; Schauspiel: Kristin Winters; Dramaturgie: Liv Morris, Florian Hirsch; Eine Produktion des Théâtre National du Luxembourg mit Unterstützung von FOCUNA und dem Kulturministerium. In englischer Sprache. Die Premiere ist am 26. November, um 20 Uhr im TNL. Weitere Spieltermine: 27. November, um 17 Uhr; 30. November, um 20 Uhr; 7. und 8. Dezember 20 Uhr.